Kickls Poltern und Van der Bellens Warnung: Die Aschermittwochsrede
Der Tag hat in der Politik eine lange Tradition. Die Ansprache dient vor allem der Mobilisierung der eigenen Wähler. Wenngleich diese auch schon einmal enttäuscht wurden.
Im Vorjahr musste er sich von FPÖ-Chef Herbert Kickl als „senile Mumie“verunglimpfen lassen. Heuer bat Bundespräsident Alexander Van der Bellen bereits im Vorfeld per Online-Posting, die Grenzen des Anstands nicht zu überschreiten. „Am Aschermittwoch werden in Österreich traditionellerweise Reden gehalten. Dabei wird immer öfter über andere Menschen geredet – und nicht mit ihnen“, mahnte das Staatsoberhaupt. „Egal, ob Sie eine Rede vor Tausenden Menschen halten, im Freundeskreis ein Gerücht weitererzählen oder einen Witz auf Kosten anderer machen. Egal, ob das alles in den sozialen Medien oder ,offline‘ geschieht. Halten Sie kurz inne und überlegen Sie: Würden Sie das der Person, um die es geht, auch direkt sagen und ihr dabei in die Augen schauen? Schaden Sie diesem Menschen damit? Verletzen Sie diese Person damit? Haben Sie Ihre Behauptung, das Gerücht überprüft, gegengecheckt?“
Herbert Kickl schritt am gestrigen Mittwoch in Ried im Innkreis zur Tat, Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) in Klagenfurt und SPÖ-Chef Andreas Babler im steirischen Kobenz (alle nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe). Die Chance, den Aschermittwoch als Bühne zu nützen, ließen sich im Wahljahr die Vertreter der drei stärksten Parteien nicht entgehen. Traditionell helfen solche Auftritte vor allem, die eigenen Fans zu mobilisieren, die Botschaften an einem Aschermittwoch sind dementsprechend meist recht simpel geraten.
Im besten Fall wird Österreichern darin ein ewiges Leben versprochen, etwa, als der damalige FPÖ-Chef, Heinz-Christian Strache, 2006 über SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer sagte: „Gusenbauer ist so unpopulär, wenn er Bestattungsunternehmer wäre, würde keiner mehr sterben.“Aus der Unsterblichkeit wurde nichts, Gusenbauer gewann die Wahl und wurde Kanzler. Dafür ward die nächste blaue Aschermittwoch-Pointe zur Koalition geboren: „Der Gusenbauer hat eine Krautsuppendiät gemacht, damit es ihm leichter gefallen ist, vor der ÖVP die Hosen runterzulassen.“Während solche Wortmeldungen noch einen gewissen humoristischen Wert haben, fielen andere rund um den Aschermittwoch aber so derb aus, dass sich sogar strafrechtliche Fragen stellten.
Die Wurzeln
Seinen Ursprung hat der politische Aschermittwoch im bayerischen Vilshofen an der Donau, in dem die Bauern im 16. Jahrhundert rund um den Viehmarkt nicht nur über die Rindviecher, sondern auch schon über die Politiker diskutierten. 1919 lud dann der Bayrische Bauernbund an dem Ort nahe Österreich zum Aschermittwoch. In den 1930er-Jahren nutzten mehrere Parteien im Nachbarland diese Tradition, darunter auch insbesondere die NSDAP, erfolgreich.
In alten österreichischen Zeitungen finden sich zwar schon Hinweise auf eine „Aschermittwochrede“des wegen seines Antisemitismus umstrittenen christlich-sozialen Politikers und Wiener Bürgermeisters Karl Lueger (1844– 1910). Die moderne Aschermittwochsrede brachte aber der damalige FPÖ-Chef, Jörg Haider, 1992 nach Österreich. Schon damals war Ried der Schauplatz, doch nicht alle der 2000 Teilnehmer waren zufrieden. Denn so mancher dachte, es gebe Weißwürste oder andere bayrische Spezialitäten. Man nahm den Aschermittwoch aber insofern ernst, als nur Bratheringe und geräucherte Forellen serviert wurden. Bier gab es jedoch zur Rede, es blieb bis heute ein wichtiger Bestandteil.
Die Deftigkeit
Abseits des Essens fielen die Sprüche zum Aschermittwoch immer schon deftig aus. SPÖ-Politiker Max Lercher erklärte im Vorjahr: „Ich glaube, die Korruption war zuerst da, und aus ihr hat sich die ÖVP gegründet.“Und dass die FPÖ sich für das Bargeld starkmache, wunderte Lercher nicht: „Sonst können sie gar nicht mehr mit vollen Sporttaschen handeln.“Heuer kam mit Babler der Parteichef zu Besuch zu Lerchers Veranstaltung in der Steiermark, wenngleich Lercher zum Flügel des im Vorjahr als Parteichefkandidat unterlegenen Hans Peter Doskozil zählte.
Am Härtesten teilt hierzulande traditionell aber die FPÖ selbst aus. „Ich verstehe überhaupt nicht, wie einer, der Ariel heißt, so viel Dreck am Stecken haben kann“, sagte Haider im Jahr 2001 über den damaligen Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde, Ariel Muzicant. Der damalige Präsident des Verfassungsgerichtshofs, Ludwig Adamovich, wurde von Haider ein Jahr später wegen des Ortstafel-Erkenntnisses verspottet: „Wenn einer schon Adamovich heißt, muss man sich zuerst einmal fragen, ob er überhaupt eine aufrechte Aufenthaltsgenehmigung hat.“
Von grüner Seite versuchte sich Peter Pilz im Jahr 2013 auf dem Aschermittwoch-Parkett. „Fast die Hälfte des Kabinetts sind Beschuldigte in Strafverfahren. Wir wissen nicht, wo die Regierungsbank aufhört und die Anklagebank anfängt.“
Das klingt noch harmlos, wenn man das Poltern des einstigen bayrischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß im Ohr hat. 1988 forderte er wegen der steigenden Zahl an Aids-Infizierten etwa, „dass Kranke, die uneinsichtig sind, interniert werden“.
Die Gastfreundschaft
Beliebt ist es auch, sich zum Aschermittwoch einen Gast aus Deutschland zu holen. Zu ihrem politischen Aschermittwoch lädt die ÖVP Kärnten diesmal etwa neben Nehammer auch den früheren deutschen Minister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU). Im Vorjahr war der einstige Bundespräsident Christian Wulff (CDU) zu Gast.
Dessen Worte „Für mich ist Kärnten ein wach zu küssender Bär“fielen für eine Aschermittwochsrede freilich nicht besonders deftig aus.
Man besucht sich aber auch umgekehrt: So war etwa Strache am Aschermittwoch 2017 als Ehrengast von Frauke Petry bei der AfD zu Gast. Als Vormittagsprogramm, denn am Abend hatte er in Ried zu reden. Aber auch hochrangige Vertreter von SPÖ und ÖVP wirkten schon am deutschen Aschermittwochsprogramm mit.
Das Recht
Kickl, einst Schreiber von Pointen für seine Parteichefs, ist inzwischen selbst an der Spitze angelangt. Wenn etwa Strache wie 2006 am Aschermittwoch den Kalauer „Grieskirchen darf nicht Griesmoschee werden“losließ, klang das schon deutlich nach Kickls Feder. Er selbst formuliert am Rednerpult aber nun noch härter. Seine im Vorjahr getätigten Aussagen (dass Van der Bellen, „diese Mumie in der Hofburg“, senil sei, habe man schon gewusst, aber „jetzt hat er vergessen, dass er Bundespräsident eines neutralen Landes ist“) warfen sogar strafrechtliche Fragen auf. Die Staatsanwaltschaft wollte wegen Beleidigung des Bundespräsidenten ermitteln, Van der Bellen gab jedoch seine dafür nötige Zustimmung nicht.
Grundsätzlich darf man in Zusammenhang mit politischer Kritik auch durchwegs härter austeilen, ob eine Beschimpfung als Mumie noch politische Kritik ist, war aber zumindest fraglich. Bessere Karten hatte Strache, als er einst am Aschermittwoch über Bundespräsident Heinz Fischer herzog: „Unser Herr Bundespräsident hat offenbar nicht nur die Statur eines Nordkoreaners, sondern auch die Gesinnung eines KP-Funktionärs“, meinte er. Hier gab es einen klareren politischen Zusammenhang, da Strache sich darüber ärgerte, dass ihm Fischer einen Orden verweigert hatte.
Umgekehrt klagte die FPÖ zivilrechtlich erfolgreich, weil Wolfgang Fellner in seinem Fernsehsender oe24.tv den Ort des FPÖ-Aschermittwochstreffens 2020 als „AdolfHitler-Halle oder wie heißt das dort?“verunglimpfte. Korrekt ist es die Rieder Jahnturnhalle. Der Turnvater hatte zu Lebzeiten (1778– 1852) freilich auch gern deftig formuliert, wenn auch nicht unbedingt am Aschermittwoch.
Der Ort und der Appell
Wobei Ried nicht immer der Ort für die blauen Auftritte war, zwischenzeitlich verlegte Landeshauptmann Jörg Haider seinen Aschermittwochsauftritt von Ried ins kärntnerische Treibach-Althofen. In Anlehnung an das berühmte Foto, in dem er Kanzler und ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel als Beifahrer im Auto mitnahm, sagte Haider 2005: „Schüssel darf nicht mehr in meinen Porsche einsteigen, es sei denn, ich baue vorher einen Schleudersitz ein.“Das war wohlgemerkt noch zu Zeiten der schwarzblauen Koalition, aber nachdem Schüssel die FPÖ bei der Nationalratswahl 2002 stimmenmäßig abgeräumt hatte. Oder, wie Haider es formulierte: „Wolfgang Schüssel ist ein falscher Kuckuck, der die Erfolge der FPÖ als seine ausbrütet.“
Und für Freundlichkeiten ist der Aschermittwoch traditionell nicht da. „Wir alle haben es in der Hand, wie gut die Stimmung zwischen uns ist, wie vertrauensvoll oder wie vergiftet“, mahnte der Bundespräsident am gestrigen Tag.