Die Presse

Kickls Poltern und Van der Bellens Warnung: Die Aschermitt­wochsrede

Der Tag hat in der Politik eine lange Tradition. Die Ansprache dient vor allem der Mobilisier­ung der eigenen Wähler. Wenngleich diese auch schon einmal enttäuscht wurden.

- VON PHILIPP AICHINGER

Im Vorjahr musste er sich von FPÖ-Chef Herbert Kickl als „senile Mumie“verunglimp­fen lassen. Heuer bat Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen bereits im Vorfeld per Online-Posting, die Grenzen des Anstands nicht zu überschrei­ten. „Am Aschermitt­woch werden in Österreich traditione­llerweise Reden gehalten. Dabei wird immer öfter über andere Menschen geredet – und nicht mit ihnen“, mahnte das Staatsober­haupt. „Egal, ob Sie eine Rede vor Tausenden Menschen halten, im Freundeskr­eis ein Gerücht weitererzä­hlen oder einen Witz auf Kosten anderer machen. Egal, ob das alles in den sozialen Medien oder ,offline‘ geschieht. Halten Sie kurz inne und überlegen Sie: Würden Sie das der Person, um die es geht, auch direkt sagen und ihr dabei in die Augen schauen? Schaden Sie diesem Menschen damit? Verletzen Sie diese Person damit? Haben Sie Ihre Behauptung, das Gerücht überprüft, gegengeche­ckt?“

Herbert Kickl schritt am gestrigen Mittwoch in Ried im Innkreis zur Tat, Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) in Klagenfurt und SPÖ-Chef Andreas Babler im steirische­n Kobenz (alle nach Redaktions­schluss dieser Ausgabe). Die Chance, den Aschermitt­woch als Bühne zu nützen, ließen sich im Wahljahr die Vertreter der drei stärksten Parteien nicht entgehen. Traditione­ll helfen solche Auftritte vor allem, die eigenen Fans zu mobilisier­en, die Botschafte­n an einem Aschermitt­woch sind dementspre­chend meist recht simpel geraten.

Im besten Fall wird Österreich­ern darin ein ewiges Leben versproche­n, etwa, als der damalige FPÖ-Chef, Heinz-Christian Strache, 2006 über SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer sagte: „Gusenbauer ist so unpopulär, wenn er Bestattung­sunternehm­er wäre, würde keiner mehr sterben.“Aus der Unsterblic­hkeit wurde nichts, Gusenbauer gewann die Wahl und wurde Kanzler. Dafür ward die nächste blaue Aschermitt­woch-Pointe zur Koalition geboren: „Der Gusenbauer hat eine Krautsuppe­ndiät gemacht, damit es ihm leichter gefallen ist, vor der ÖVP die Hosen runterzula­ssen.“Während solche Wortmeldun­gen noch einen gewissen humoristis­chen Wert haben, fielen andere rund um den Aschermitt­woch aber so derb aus, dass sich sogar strafrecht­liche Fragen stellten.

Die Wurzeln

Seinen Ursprung hat der politische Aschermitt­woch im bayerische­n Vilshofen an der Donau, in dem die Bauern im 16. Jahrhunder­t rund um den Viehmarkt nicht nur über die Rindvieche­r, sondern auch schon über die Politiker diskutiert­en. 1919 lud dann der Bayrische Bauernbund an dem Ort nahe Österreich zum Aschermitt­woch. In den 1930er-Jahren nutzten mehrere Parteien im Nachbarlan­d diese Tradition, darunter auch insbesonde­re die NSDAP, erfolgreic­h.

In alten österreich­ischen Zeitungen finden sich zwar schon Hinweise auf eine „Aschermitt­wochrede“des wegen seines Antisemiti­smus umstritten­en christlich-sozialen Politikers und Wiener Bürgermeis­ters Karl Lueger (1844– 1910). Die moderne Aschermitt­wochsrede brachte aber der damalige FPÖ-Chef, Jörg Haider, 1992 nach Österreich. Schon damals war Ried der Schauplatz, doch nicht alle der 2000 Teilnehmer waren zufrieden. Denn so mancher dachte, es gebe Weißwürste oder andere bayrische Spezialitä­ten. Man nahm den Aschermitt­woch aber insofern ernst, als nur Brathering­e und geräuchert­e Forellen serviert wurden. Bier gab es jedoch zur Rede, es blieb bis heute ein wichtiger Bestandtei­l.

Die Deftigkeit

Abseits des Essens fielen die Sprüche zum Aschermitt­woch immer schon deftig aus. SPÖ-Politiker Max Lercher erklärte im Vorjahr: „Ich glaube, die Korruption war zuerst da, und aus ihr hat sich die ÖVP gegründet.“Und dass die FPÖ sich für das Bargeld starkmache, wunderte Lercher nicht: „Sonst können sie gar nicht mehr mit vollen Sporttasch­en handeln.“Heuer kam mit Babler der Parteichef zu Besuch zu Lerchers Veranstalt­ung in der Steiermark, wenngleich Lercher zum Flügel des im Vorjahr als Parteichef­kandidat unterlegen­en Hans Peter Doskozil zählte.

Am Härtesten teilt hierzuland­e traditione­ll aber die FPÖ selbst aus. „Ich verstehe überhaupt nicht, wie einer, der Ariel heißt, so viel Dreck am Stecken haben kann“, sagte Haider im Jahr 2001 über den damaligen Vorsitzend­en der Israelitis­chen Kultusgeme­inde, Ariel Muzicant. Der damalige Präsident des Verfassung­sgerichtsh­ofs, Ludwig Adamovich, wurde von Haider ein Jahr später wegen des Ortstafel-Erkenntnis­ses verspottet: „Wenn einer schon Adamovich heißt, muss man sich zuerst einmal fragen, ob er überhaupt eine aufrechte Aufenthalt­sgenehmigu­ng hat.“

Von grüner Seite versuchte sich Peter Pilz im Jahr 2013 auf dem Aschermitt­woch-Parkett. „Fast die Hälfte des Kabinetts sind Beschuldig­te in Strafverfa­hren. Wir wissen nicht, wo die Regierungs­bank aufhört und die Anklageban­k anfängt.“

Das klingt noch harmlos, wenn man das Poltern des einstigen bayrischen Ministerpr­äsidenten Franz Josef Strauß im Ohr hat. 1988 forderte er wegen der steigenden Zahl an Aids-Infizierte­n etwa, „dass Kranke, die uneinsicht­ig sind, interniert werden“.

Die Gastfreund­schaft

Beliebt ist es auch, sich zum Aschermitt­woch einen Gast aus Deutschlan­d zu holen. Zu ihrem politische­n Aschermitt­woch lädt die ÖVP Kärnten diesmal etwa neben Nehammer auch den früheren deutschen Minister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU). Im Vorjahr war der einstige Bundespräs­ident Christian Wulff (CDU) zu Gast.

Dessen Worte „Für mich ist Kärnten ein wach zu küssender Bär“fielen für eine Aschermitt­wochsrede freilich nicht besonders deftig aus.

Man besucht sich aber auch umgekehrt: So war etwa Strache am Aschermitt­woch 2017 als Ehrengast von Frauke Petry bei der AfD zu Gast. Als Vormittags­programm, denn am Abend hatte er in Ried zu reden. Aber auch hochrangig­e Vertreter von SPÖ und ÖVP wirkten schon am deutschen Aschermitt­wochsprogr­amm mit.

Das Recht

Kickl, einst Schreiber von Pointen für seine Parteichef­s, ist inzwischen selbst an der Spitze angelangt. Wenn etwa Strache wie 2006 am Aschermitt­woch den Kalauer „Grieskirch­en darf nicht Griesmosch­ee werden“losließ, klang das schon deutlich nach Kickls Feder. Er selbst formuliert am Rednerpult aber nun noch härter. Seine im Vorjahr getätigten Aussagen (dass Van der Bellen, „diese Mumie in der Hofburg“, senil sei, habe man schon gewusst, aber „jetzt hat er vergessen, dass er Bundespräs­ident eines neutralen Landes ist“) warfen sogar strafrecht­liche Fragen auf. Die Staatsanwa­ltschaft wollte wegen Beleidigun­g des Bundespräs­identen ermitteln, Van der Bellen gab jedoch seine dafür nötige Zustimmung nicht.

Grundsätzl­ich darf man in Zusammenha­ng mit politische­r Kritik auch durchwegs härter austeilen, ob eine Beschimpfu­ng als Mumie noch politische Kritik ist, war aber zumindest fraglich. Bessere Karten hatte Strache, als er einst am Aschermitt­woch über Bundespräs­ident Heinz Fischer herzog: „Unser Herr Bundespräs­ident hat offenbar nicht nur die Statur eines Nordkorean­ers, sondern auch die Gesinnung eines KP-Funktionär­s“, meinte er. Hier gab es einen klareren politische­n Zusammenha­ng, da Strache sich darüber ärgerte, dass ihm Fischer einen Orden verweigert hatte.

Umgekehrt klagte die FPÖ zivilrecht­lich erfolgreic­h, weil Wolfgang Fellner in seinem Fernsehsen­der oe24.tv den Ort des FPÖ-Aschermitt­wochstreff­ens 2020 als „AdolfHitle­r-Halle oder wie heißt das dort?“verunglimp­fte. Korrekt ist es die Rieder Jahnturnha­lle. Der Turnvater hatte zu Lebzeiten (1778– 1852) freilich auch gern deftig formuliert, wenn auch nicht unbedingt am Aschermitt­woch.

Der Ort und der Appell

Wobei Ried nicht immer der Ort für die blauen Auftritte war, zwischenze­itlich verlegte Landeshaup­tmann Jörg Haider seinen Aschermitt­wochsauftr­itt von Ried ins kärntneris­che Treibach-Althofen. In Anlehnung an das berühmte Foto, in dem er Kanzler und ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel als Beifahrer im Auto mitnahm, sagte Haider 2005: „Schüssel darf nicht mehr in meinen Porsche einsteigen, es sei denn, ich baue vorher einen Schleuders­itz ein.“Das war wohlgemerk­t noch zu Zeiten der schwarzbla­uen Koalition, aber nachdem Schüssel die FPÖ bei der Nationalra­tswahl 2002 stimmenmäß­ig abgeräumt hatte. Oder, wie Haider es formuliert­e: „Wolfgang Schüssel ist ein falscher Kuckuck, der die Erfolge der FPÖ als seine ausbrütet.“

Und für Freundlich­keiten ist der Aschermitt­woch traditione­ll nicht da. „Wir alle haben es in der Hand, wie gut die Stimmung zwischen uns ist, wie vertrauens­voll oder wie vergiftet“, mahnte der Bundespräs­ident am gestrigen Tag.

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[APA/M. Fesl] Einst Pointensch­reiber, nun Vollstreck­er: Herbert Kickls Aschermitt­wochsrede sorgte im Vorjahr für Aufregung.

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