Die Presse

Scharfe Kritik an neuem Psychother­apie-Studium

Gesundheit. Die Psychother­apie wird der Ärztekamme­r zufolge willkürlic­h und entgegen internatio­naler Standards von Psychosoma­tik und Psychiatri­e getrennt.

- VON KÖKSAL BALTACI

Eine „Verschwend­ung finanziell­er und personelle­r Ressourcen“, ein „Parallelsy­stem zur Medizin und Psychiatri­e“und „Westentasc­henpsychia­ter, mit denen niemandem geholfen ist“. Mit Aussagen wie diesen übt die Österreich­ische Ärztekamme­r (ÖÄK) scharfe Kritik am neuen Psychother­apiegesetz, dessen Begutachtu­ngsfrist am 8. Februar geendet ist. Es soll Ende April beschlosse­n werden und 2025 in Kraft treten.

1 Welche Neuerungen sieht das neue Psychother­apiegesetz vor?

Derzeit ist die Ausbildung in Österreich privat organisier­t, kostet 25.000 bis 50.000 Euro und findet an privaten außerunive­rsitären Einrichtun­gen und Privatuniv­ersitäten statt – bestehend aus einem zweijährig­en Propädeuti­kum (Aufbaulehr­gang) und dem – je nach Fachrichtu­ng – drei- bis sechsjähri­gen Fachspezif­ikum.

Die Novelle zum Psychother­apiegesetz sieht ein dreigliedr­iges System vor – Bachelor (drei Jahre), Master (zwei Jahre) und postgradue­ller Abschnitt (in der Regel fünf Jahre). An öffentlich­en Universitä­ten soll es ab 2026 ein Masterstud­ium geben, mit rund 500 Plätzen pro Jahr. Ähnlich wie beim derzeitige­n Propädeuti­kum soll ein fachlich einschlägi­ges Bachelorst­udium (etwa Bildungswi­ssenschaft­en, Psychologi­e, Medizin) Zugangsvor­aussetzung zum Masterstud­ium sein, auf Wunsch sollen die Universitä­ten aber auch selbst eigene Bachelorst­udien anbieten können. Bachelorwi­e Masterstud­ium werden weiterhin auch an Privat-Unis möglich sein. Dritter Ausbildung­steil ist eine postgradue­lle psychother­apeutische Fachausbil­dung bei Psychother­apeutische­n

Fachgesell­schaften, während der die Absolvente­n schon unter Supervisio­n therapeuti­sch arbeiten können. Den Abschluss bildet eine staatliche Approbatio­nsprüfung.

2 Was sind die wichtigste­n Kritikpunk­te der Ärztekamme­r?

Ein Kernproble­m sei die geplante künstliche Abtrennung der Psychother­apie von der Psychiatri­e und psychosoma­tischen Medizin, was dem internatio­nalen Stand der Wissenscha­ft widersprec­he. Konkret kritisiert wird die Möglichkei­t eines Studiums „mit eigenem Prüfungssy­stem ohne Ärzte – also einer eigenen Aus-, Fort- und Weiterbild­ung sowie eigenen Fachgesell­schaften“, sagt ÖÄK-Präsident Johannes Steinhart bei einer Pressekonf­erenz am Mittwoch. Hintergrun­d ist vor allem jene Passage im Entwurf, wonach die Ausbildung im postgradue­llen Teil in „psychother­apeutische­n Einrichtun­gen, in psychother­apeutische­n Lehrpraxen sowie im niedergela­ssenen Bereich“stattfinde­n kann, klinische Psychiatri­en sindsomit nicht explizit erwähnt.

Diese Vorgehensw­eise sei nicht nur realitätsf­ern, sondern auch gefährlich und ineffizien­t. Er weist darauf hin, dass die Versorgung der Bevölkerun­g derzeit auf der einen Seite durch Psychother­apeuten erfolge, auf der anderen Seite durch Psychiater, Kinderpsyc­hiater, Ärzte mit Spezialisi­erung in psychosoma­tischer Medizin sowie Ärzte unterschie­dlicher Fachrichtu­ngen, die ein einschlägi­ges Ärztekamme­r-Diplom (PSY 1 bis 3) erworben haben. Diese Aufteilung habe sich bewährt und sei für Patienten die sinnvollst­e. Denn: „Die Mehrzahl der Krankheite­n hat ja nicht nur körperlich­e, sondern auch psychische Komponente­n“, sagt Steinhart. „All das wird aber im Entwurf ignoriert und stattdesse­n ein komplettes Parallelsy­stem zur Medizin und Psychiatri­e geschaffen.“

Diese Abtrennung greife zudem in den ärztlichen Bereich ein, sagt Psychiater Dietmar Bayer, stellvertr­etender Obmann der Kurie der niedergela­ssenen Ärzte. „Kurz gesagt will man Psychother­apeuten bis auf die Medikation die gleichen Kompetenze­n wie Psychiater­n zugestehen, und das bei kürzerer Ausbildung.“Schließlic­h hätten Psychiater sechs Jahre Studium plus sechs Jahre Facharztau­sbildung hinter sich, um sich niederzula­ssen und frei zu behandeln. Psychother­apeuten soll das aber schon nach fünf Jahren, also nach dem Masterstud­ium, unter Supervisio­n erlaubt sein. Die in der Verordnung vorgesehen­en Einheiten der praktische­n Ausbildung im unklar definierte­n „klinikarti­gen Setting“seien deutlich zu wenig, um psychisch kranke

Menschen eigenveran­twortlich zu behandeln.

„Mit Westentasc­henpsychia­tern ist niemandem geholfen“, sagt Bayer. Im Gegenteil, Österreich brauche mehr Psychiater und Kinderpsyc­hiater. 1700 fertige Psychiater, davon 159 mit allen Kassen, stünden schon jetzt fast 12.000 Psychother­apeuten gegenüber.

Ein weiterer Kritikpunk­t: Laut Gesetzesen­twurf sollen Psychiater, Kinderpsyc­hiatrie sowie Ärzte mit dem Ärztekamme­r-Diplom Psychother­apeutische Medizin dem Abschluss eines Masterstud­iums gleichgest­ellt werden. Sie alle müssten also die komplette praktische Ausbildung, den dritten Abschnitt nach dem Master, absolviere­n, und zwar kostenpfli­chtig. Dabei werde übersehen, dass laut Ärztegeset­z die Regelungen für diese Fächer „bereits sehr umfassende theoretisc­he und praktische psychother­apeutische Ausbildung­sinhalte verlangen“, sagt Christa Rados, Präsidenti­n der Österreich­ischen Gesellscha­ft für Alterspsyc­hiatrie und Alterspsyc­hotherapie (ÖGAPP). Diese müssten dann doppelt absolviert werden, was viele schlichtwe­g nicht machen und daher in der Versorgung der Bevölkerun­g fehlen würden. „Diese Verdoppelu­ng von Ausbildung­sinhalten wäre eine enorme Verschwend­ung finanziell­er und personelle­r Ressourcen.“

3 Welche Änderungen im Gesetz fordert die Ärztekamme­r?

Ein abgeschlos­senes Medizinstu­dium sei gleichzuse­tzen mit dem Abschluss des Masterstud­iums, nicht nur des Bachelors. Fachärzte für Psychiatri­e und Kinderpsyc­hiatrie sowie Ärzte mit entspreche­nder Spezialisi­erung beziehungs­weise mit PSY-3-Diplom sollten fertigen Psychother­apeuten gleichgest­ellt und ohne Prüfung in die Berufslist­e aufgenomme­n werden.

Zudem sollten die Ordination­en dieser Ärzte psychother­apeutische­n Lehrpraxen gleichgest­ellt werden, damit dort Psychother­apeuten ihre postgradue­lle Ausbildung absolviere­n dürfen. Nicht zuletzt gehöre für die praktische Ausbildung im postgradue­llen Abschnitt eine Pflicht zur Ausbildung im psychiatri­sch klinischen Setting im mindestens doppelt so großen Umfang (sechs statt drei Monate Vollzeit) verankert.

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