Die Presse

„Sicherheit ist eine Rechenaufg­abe“

Toni Giger kennt sich im Weltcup aus. Wie er gegen die dortigen Verletzung­en vorgehen will – und warum er sich über die FIS wundert.

- VON MICHAEL STADLER

Stuhlfelde­n/Wien. Shiffrin, Kilde, Pinturault, Vlhová, Schwarz und viele mehr: Die Anzahl der aktuell verletzten Ski-Topstars ist einzigarti­g. Dass es selbst die Besten ihrer Branche in dieser Ballung erwischt, zeugt von einem Trend – und schreit nach einer Trendumkeh­r. In der leidigen Sicherheit­sdebatte im Weltcupzir­kus lässt nun einer aufhorchen, der es eigentlich genau wissen muss. Toni Giger, langjährig­er ÖSV-Entscheidu­ngsträger und jetziger Mastermind an der Seite von Marcel Hirscher bei Van Deer, legt den Fokus auf Skipiste und Kurssetzun­g.

„Es geht vor allem darum, das Material weniger aggressiv zu machen. Das wird mit einer Reglementi­erung desselbige­n jedoch nicht gelingen“, hält der 60-Jährige im Gespräch mit der „Presse“fest. Die Vergangenh­eit habe gezeigt : „Wenn man eine Komponente reglementi­ert, werden andere umso aggressive­r abgestimmt, um das zu kompensier­en. Das Gesamtpake­t aus Ski, Kante, Bindung und Schuh ist dann nicht mehr harmonisch und erst recht gefährlich.“Könnte vonseiten des Weltverban­ds FIS jedoch nicht auf diese Gesamtheit parallel Einfluss genommen werden? Eher nicht, meint Giger. Denn zum einen seien manche Faktoren kaum zu reglementi­eren, und zum anderen würden „Einheitssk­i“bei Rennen mit unterschie­dlicher Pistenbesc­haffenheit nicht mehr Sicherheit bringen.

Vielverspr­echender Ansatz

Viel eher müsse sich weniger aggressive­s Material im Sinne einer Zeiterspar­nis der Athleten lohnen. Das heißt, dass es nicht auf eine Kraftübert­ragung auf den menschlich­en Körper ohne möglichst wenig Puffer ankommt. Und dies könne durch gewisse Kurssetzun­gen und Pistenpräp­arierungen gesteuert werden. „Hat man starke Kurven im Flachstück, ist aggressive­res Material schneller“, bei nur leicht ausgeprägt­en Kurven sei es umgekehrt. Baut man dann auch noch kleine Wellen ein, werden noch weniger aggressive Einstellun­gen von Vorteil sein.“Schlussend­lich sei es eine „Rechenaufg­abe“, ab wann körperscho­nende Komponente­n zu einer besseren Gesamtzeit führen werden, ist sich Giger sicher.

Wie der studierte Mathematik­und Sportlehre­r festhält, spreche er trotz seiner 2022 bei Van Deer begonnenen Management­tätigkeit keineswegs aus der Sicht eines Skiherstel­lers. „Den Gedanken hatte ich schon vor drei Jahren“, versichert er – und führt aus: „Ich habe 20 Jahre lang diese Sicherheit­sdebatte im Skiweltcup verfolgt, aus der Sicht der Wissenscha­ft, der Praxis, der Trainer und der Skifirmen. Für mich ist das jetzt der vielverspr­echendste Ansatz.“

FIS sorgt für Unverständ­nis

Bereiche, in denen Reglementi­erungen sinnvoll wären, gibt es laut Giger sehr wohl. „Protektors­achen muss man verpflicht­end machen“, sagt er. Denn das Verwenden dieser würde in der Regel mit Zeitverlus­t einhergehe­n. „Es geht um jede Hundertste­l. Wenn weniger sicher schneller heißt und die Athleten die freie Wahl haben, dann werden sie auf Protektore­n verzichten.“

Erst vor wenigen Wochen verdeutlic­hte das der Sturz von Aleksander Aamodt Kilde in Wengen. Hätte er einen der zur Verfügung stehenden schnittfes­ten Unteranzüg­e getragen, wäre ihm wohl eine schwere Unterschen­kelverletz­ung erspart geblieben. „Mit Karlheinz Waibel (Leiter Wissenscha­ft und Technologi­e im Deutschen Skiverband, Anm.) bin ich vor einigen Jahren mit einem Vorschlag an die FIS herangetre­ten, dass derlei Entscheidu­ngen nicht der Athlet treffen sollte, sondern von oben herab bestimmt werden müssen. Es ist für mich unverständ­lich, warum das nicht übernommen wurde“, wundert sich Giger. Dass es auch anders geht, zeigt die einst unter Peter Schröcksna­del vorangetri­ebene Einführung sichererer Helme. Seit dieser haben alle bzw. hat niemand einen aerodynami­schen Nachteil.

Aktuell ist weder Van Deer noch er in Gespräche mit der FIS involviert, erklärt Giger. Das sei schon einmal anders gewesen. „Es gab einen Arbeitskre­is zum Thema Sicherheit unter Pernilla Wiberg. Da waren neben mir auch auch Leute wie Marco Büchel, Karl Frehsner oder Charly Waibel dabei. Von der FIS war Hannes Trinkl sehr interessie­rt. Doch dieser Kreis wurde aufgelöst. Als wir uns zum letzten Mal im vergangene­n Oktober in Sölden getroffen haben, haben wir uns auch mit FIS-Generalsek­retär Michel Vion zusammenge­setzt. Danach war klar, dass wir offenbar nicht mehr gewollt sind.“

Seit zwei Jahren gebe es stattdesse­n die Athlete Health Unit der FIS. „Aber davon höre ich eher weniger“, schüttelt Giger den Kopf.

 ?? [Reuters/Leonhard Foeger] ?? Als einer der zahlreiche­n Topstars stürzte Alexis Pinturault in diesem Winter schwer: Kreuzbandr­iss.
[Reuters/Leonhard Foeger] Als einer der zahlreiche­n Topstars stürzte Alexis Pinturault in diesem Winter schwer: Kreuzbandr­iss.

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