EU holt nicht zu USA und China auf
Die Union leidet an hartnäckigen Strukturproblemen: Ihre Finanzmärkte sind zersplittert, Innovation steigert zu selten die Produktivität, nötige Investitionen bleiben aus.
Bei älteren Semestern klingelt beim Begriff „LissabonStrategie“möglicherweise etwas. Im Jahr 2000 in der portugiesischen Hauptstadt von den Staatsund Regierungschefs der EU feierlich verkündet, sollte sie dazu führen, dass die Union bis 2010 „zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt“wird. Das hat sich bekanntlich ebenso wenig materialisiert wie Frank Stronachs kurz danach verlautbarte Ankündigung, Österreich werde 2010 Fußballweltmeister.
Stronach spielt im österreichischen Ballsport keine Rolle mehr, und spricht man in Brüssel Beamte der Europäischen Kommission auf die Lissabon-Strategie an, erntet man entnervtes Augenrollen oder peinlich berührtes Nicken. Dennoch müht man sich in der Kommission darum, die EU kompetitiver zu machen und damit das materielle Fundament für das oft zitierte „europäische Lebensmodell“ (für das es mit Margaritis Schinas einen eigenen EU-Kommissar gibt) zu festigen. Was das bringt, kann man in einem am Mittwoch von der Kommission veröffentlichten Bericht nachlesen.
Europas Produktivität lahmt
Eines vorweg: Den Rückstand auf die USA und China, die beiden ökonomischen Supermächte des 21. Jahrhunderts, hat die Union nicht verringert. Trotz all der Bemühungen, Europas Unternehmen von unnötigem Papierkram zu befreien und ihnen Kapitalzufuhr sowie einen fugenlosen funktionierenden Binnenmarkt zu ermöglichen, „ist das totale Faktorproduktivitätswachstum in der EU in den vergangenen 30 Jahren weniger als halb so groß wie jenes in den USA“, heißt es beispielsweise im Kapitel „Forschung und Innovation“.
Das liegt in erster Linie daran, dass Europas Ausgaben für diese beiden Tätigkeiten in den vergangenen zwei Jahrzehnten nur leicht von 1,8 Prozent auf 2,2 Prozent der Wirtschaftsleistung gestiegen sind und noch immer weit unter dem vor Ewigkeiten gesteckten DreiProzent-Ziel verharren. In den USA beträgt die Forschungs- und Entwicklungsquote 3,4 Prozent, in der Volksrepublik China 2,4 Prozent. Europas Unternehmen geben zu wenig für diese Zwecke aus, die öffentlichen Forschungsinvestitionen stagnieren. In zweiter Linie schwächen sich die Europäer laut dem Bericht dadurch, dass „die Effizienz und Wirksamkeit dieser Investitionen von hartnäckigen strukturellen Herausforderungen behindert werden, wie zum Beispiel schwachen Verknüpfungen zwischen Wissenschaft und Unternehmertum.“
Einer der Hauptgründe, wieso Europas Firmen en gros hinter jenen der USA und aus China zurückbleiben, liegt im mangelnden Zugang zu privatem Kapital. Die Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen hat sich im Jahr 2020 16 Maßnahmen vorgenommen, um das zu ändern. Alle 16 wurden beschlossen oder sind politisch akkordiert. Bloß: „Trotz verbesserter EU-Kapitalmarktbedingungen werden diese Maßnahmen die Kapitalmarktunion nicht vollenden, und die Verfügbarkeit von Risikokapital bleibt unzureichend, um innovative Unternehmen aufzuskalieren und künftiges Wachstum zu finanzieren.“Europas Aktienmärkte sind in Summe weniger als halb so groß wie jener der USA, obwohl die Sparquote hier höher als jenseits des Atlantiks ist. Auch Japan, das Vereinigte Königreich und China haben eine höhere Börsenkapitalisierung.
650 Mrd. Euro jährlich nötig
Auch der Blick auf die öffentlichen Infrastrukturinvestitionen ist betrüblich. Mit 3,3 Prozent der Wirtschaftsleistung liegen sie hinter den 3,6 Prozent der USA. Sie sind zudem wegen Kleinstaaterei weniger effektiv. 650 Milliarden Euro an Investitionen benötige Europa, um die doppelte Wende (Digitalisierung, Dekarbonisierung) zu meistern – jährlich, wohlgemerkt. Dafür seien „mehr und strategischere öffentliche Investitionen nötig, um private Finanzierungen zu hebeln“, mahnt die Kommission.