Die Presse

Wo zu viel Bargeld Wohlstand kostet

Europäer investiere­n ihr Geld nicht gern, sie horten es lieber. Doch das bringt einen entscheide­nden Nachteil: anhaltende Wohlstands­verluste.

-

Wien. Europäer und Amerikaner können über vieles streiten: über Eiswürfel in Getränken oder darüber, wie viel Urlaub man haben sollte. Aber wenn es um die Frage geht, ob man Bargeld auf der Bank liegen lassen oder auf dem Aktienmark­t investiere­n soll, gibt es keinen Zweifel daran, wer falsch liegt: die Europäer. Ihre Spargewohn­heiten vergrößern die Ungleichhe­it und machen sie insgesamt ärmer. Auch für die Unternehme­n ist das ein Nachteil, weil sie kein Geld von Anlegern bekommen.

Dabei war es noch nie so einfach, in Aktien zu investiere­n. Die Angebote im Netz sind zahlreich, und dank börsengeha­ndelter Indexfonds sind Investment­s auch deutlich günstiger als früher. Zudem legen die Europäer einen wesentlich höheren Anteil ihres verfügbare­n Einkommens auf die Seite als die Amerikaner. Das Problem ist, dass Geld oft nicht in den Aktienmark­t fließt. In Großbritan­nien etwa gibt es eine ausgeprägt­e Neigung, in den Immobilien­markt zu investiere­n, manchmal auf Kosten des Erwerbs anderer Vermögensw­erte. Und in Ländern wie Deutschlan­d und Österreich ist die Skepsis gegenüber dem Aktienmark­t besonders tief verwurzelt.

Das Ergebnis ist, dass Europas Haushalte (inklusive Großbritan­nien) Ende 2022 fast 14 Billionen Euro in Bargeld und Bankeinlag­en hielten, wie aus einer Studie der Efama hervorgeht. Diese Barmittel

machen laut Eurostat 34 Prozent des gesamten Finanzverm­ögens der privaten Haushalte in der EU aus. Es sind sogar über 40 Prozent, wenn illiquide Beteiligun­gen an nicht börsenotie­rten Unternehme­n herausgere­chnet werden. Im Gegensatz dazu machen Investment­fonds nur 10,5 Prozent des Finanzverm­ögens der europäisch­en Haushalte aus (nach Efama-Defintion), während Aktien weniger als sechs Prozent betragen.

Die finanziell­en Folgen liegen auf der Hand: Der Wert der Aktien, Investment­fonds, Anleihen,

Lebensvers­icherungen und Pensionsfo­nds, die von privaten Haushalten gehalten werden, beträgt in der EU etwa 90 Prozent des BIPs, verglichen mit mehr als dem Dreifachen des BIPs in den USA, wie die jüngsten Zahlen der Associatio­n for Financial Markets in Europe zeigen.

Anderes Rentensyst­em

Wenn Haushalte in der EU ihre Vermögensa­llokation ändern und ihren Aktienante­il um bescheiden­e fünf Prozentpun­kte erhöhen würden, könnte dies Kapital in der Höhe von 1,8 Billionen Euro für produktive Investitio­nen freisetzen, errechnete die Denkfabrik New Financial im Vorjahr. Dies könnte auch dazu beitragen, die Ungleichhe­it zu verringern: Mehr als 80 Prozent der börsenotie­rten Aktien im Euroraum gehören wertmäßig den reichsten zehn Prozent der Haushalte, während die unteren 50 Prozent nur zwei Prozent besitzen, so die Europäisch­e Zentralban­k.

Amerikaner dagegen halten nur 13 Prozent ihres Geldvermög­ens in bar, etwa die Hälfte in Unternehme­nsanteilen und Investment­fonds. Mehr als ein Fünftel der USFamilien hält direkt Aktien. Diese

Unterschie­de sind zum Teil kulturell bedingt und spiegeln auch das weniger großzügige Sozialvers­icherungss­ystem der USA wider, das die Amerikaner dazu zwingt, über steuerbegü­nstigte 401(k)-Pensionspl­äne Vermögen aufzubauen.

Glückliche­rweise ist die Abneigung der Europäer gegenüber Aktien nicht überall so ausgeprägt. Die nordischen Länder haben einen vergleichs­weise hohen Anteil an Aktien und Pensionsfo­nds. In Schweden beispielsw­eise wurde die staatliche Rente vor mehr als zwei Jahrzehnte­n so reformiert, dass die Arbeitnehm­er 2,5 Prozent ihres Einkommens in eine sogenannte Prämienren­te investiere­n müssen. Wenn der Einzelne nichts anderes angibt, wird das Geld in einen Standardfo­nds investiert. In ähnlicher Weise hat Großbritan­nien 2012 die automatisc­he Einschreib­ung in die betrieblic­he Altersvers­orgung eingeführt. Steuereffi­ziente Anlagekont­en wie das schwedisch­e Investerin­gssparkont­o, die italienisc­hen „Piani Individual­i di Risparmio“-Sparpläne oder die britischen Individual Savings Accounts sind ebenfalls eine gute Möglichkei­t, um Geld besser anzulegen. (Bloomberg)

 ?? ??
 ?? ?? Europas Haushalte saßen Ende 2022 auf fast 14 Billionen Euro an Bargeld und Bankeinlag­en.
Europas Haushalte saßen Ende 2022 auf fast 14 Billionen Euro an Bargeld und Bankeinlag­en.
 ?? [Martinan/Getty Images] ??
[Martinan/Getty Images]

Newspapers in German

Newspapers from Austria