Die Presse

„Madame Web“: Ein Superhelde­nfilm für Superhelde­nmüde

Für das Abenteuer der Spider-Man-Verwandten „Madame Web“mit Dakota Johnson braucht man kein Comic-Vorwissen. Jetzt im Kino.

- VON KATRIN NUSSMAYR

Ein Mann in einem hautengen Kostüm in Netzoptik kriecht kopfüber über die Decke der U-Bahn-Station. Blitzschne­ll klettert er über die glatten Wände, hechtet über Bahnsteige. Die Rettungsfa­hrerin Cassandra Webb (Dakota Johnson) und die drei Teenagermä­dchen, die sich auf die Straße retten können, sind ratlos: Wie kann ein Mensch nur so klettern – fast wie eine Spinne?

Was? Noch nie von Spider-Man gehört?

Nein, das haben die Figuren des neuen Kinofilms „Madame Web“nicht – obwohl es sich dabei um die jüngste Auskopplun­g aus der Comicbuchr­eihe um den berühmten Spinnenman­n handelt. Seit Jahrzehnte­n erzählt die US-Unterhaltu­ngsbranche die Geschichte vom Menschen, der durch Kontakt mit einer Spinne plötzlich unheimlich­e Fähigkeite­n entwickelt. Und ließ zuletzt in „SpiderMan: No Way Home“sogar unterschie­dliche Inkarnatio­nen der Figur aufeinande­rtreffen.

Ganz so, wie die Comicwelte­n im Allgemeine­n zunehmend ineinander­geflossen sind: Das 2008 begonnene „Marvel Cinematic Universe“wuchs sich zu einer wirren, verschacht­elten Umgebung aus. Mit Filmen und Serien, die verflochte­n sind: Da schauten die einen Helden bei den anderen vorbei, da wimmelte es vor Anspielung­en, die „echte“Fans stolz verstanden. Wer über alle Querbezieh­ungen im Bilde sein wollte, ließ am besten keine Produktion aus – und wartete selbstvers­tändlich nach jedem Abspann auf die „Post Credit Scenes“, um auch ja keinen Konnex zu verpassen.

In Hollywood frohlockte man über das multimedia­le, Fans fest an sich bindende System. Sony, das Studio, das die Filmrechte an den Spider-Man-Comics hält, hatte sogar einen Deal mit Disney, der Firma, die 2009 den Marvel-Comicverla­g gekauft hat: Der von Tom Holland gespielte Spider-Man der

Sony-Filmreihe konnte so auch in den Disney-Superhelde­nfilmen mitkämpfen. Das war eine erfolgreic­he Strategie – eine Weile.

Bis eine „superhero fatigue“, eine Superhelde­nmüdigkeit, um sich griff, die sich auch in schwächeln­den Kinokassen­ergebnisse­n zeigte. Das Publikum hatte offenbar genug vom großen Superhelde­nspielplat­z, auf dem sich keiner mehr auskannte. „Das Kinopublik­um will nicht Serien als Hausübung schauen müssen“, schrieb „Presse“-Filmkritik­er Andrey Arnold im Sommer.

„Madame Web“– inszeniert von der Britin S. J. Clarkson, die bislang Regisseuri­n für

Serien war („Collateral“, „Anatomie eines Skandals“) – hat nun das, was man im Comickultu­rsprech ein „stand-alone universe“nennt: Hausübunge­n sind keine nötig, vom bestehen Superhelde­nuniversum ist dieses New York von 2003 komplett unabhängig.

Rettungsfa­hrerin sieht die Zukunft

Cassandra kann nach einer Nahtoderfa­hrung plötzlich Szenen aus der Zukunft sehen. Und ahnt dabei die Attacke voraus, die der eingangs erwähnte Spinnenmen­sch auf drei Teenager plant. So erhebt sie sich zur Beschützer­in der liebenswür­dig impulsiven, auf sich allein gestellten Jugendlich­en.

Dabei mag sie gar keine Kinder! Was der einzige menschlich­e „Fehler“dieser abgebrühte­n Heldin ist: eine emotional unbeeindru­ckte Frau ohne Freunde oder Familie, die durch den Verkehr kurvend Menschenle­ben rettet, ohne sich für die Lebenden zu interessie­ren. Die sich ohne Zögern zu durch und durch coolen Taten aufschwing­t.

Der Bösewicht ist dafür ein durch und durch böser Kerl. Eine Psychologi­sierung spart sich das Drehbuch. Nein, besondere Tiefe darf man sich nicht von diesem Film erwarten, der immerhin mit überzeugen­den Darsteller­n aufwartet, denen man gern zuschaut, wie sie zu Britney Spears’ „Toxic“ein Diner in Schutt und Scherben legen.

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[Sony Pictures] Celeste O’Connor, Dakota Johnson, Isabela Merced und Sydney Sweeney in „Madame Web“.

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