„Madame Web“: Ein Superheldenfilm für Superheldenmüde
Für das Abenteuer der Spider-Man-Verwandten „Madame Web“mit Dakota Johnson braucht man kein Comic-Vorwissen. Jetzt im Kino.
Ein Mann in einem hautengen Kostüm in Netzoptik kriecht kopfüber über die Decke der U-Bahn-Station. Blitzschnell klettert er über die glatten Wände, hechtet über Bahnsteige. Die Rettungsfahrerin Cassandra Webb (Dakota Johnson) und die drei Teenagermädchen, die sich auf die Straße retten können, sind ratlos: Wie kann ein Mensch nur so klettern – fast wie eine Spinne?
Was? Noch nie von Spider-Man gehört?
Nein, das haben die Figuren des neuen Kinofilms „Madame Web“nicht – obwohl es sich dabei um die jüngste Auskopplung aus der Comicbuchreihe um den berühmten Spinnenmann handelt. Seit Jahrzehnten erzählt die US-Unterhaltungsbranche die Geschichte vom Menschen, der durch Kontakt mit einer Spinne plötzlich unheimliche Fähigkeiten entwickelt. Und ließ zuletzt in „SpiderMan: No Way Home“sogar unterschiedliche Inkarnationen der Figur aufeinandertreffen.
Ganz so, wie die Comicwelten im Allgemeinen zunehmend ineinandergeflossen sind: Das 2008 begonnene „Marvel Cinematic Universe“wuchs sich zu einer wirren, verschachtelten Umgebung aus. Mit Filmen und Serien, die verflochten sind: Da schauten die einen Helden bei den anderen vorbei, da wimmelte es vor Anspielungen, die „echte“Fans stolz verstanden. Wer über alle Querbeziehungen im Bilde sein wollte, ließ am besten keine Produktion aus – und wartete selbstverständlich nach jedem Abspann auf die „Post Credit Scenes“, um auch ja keinen Konnex zu verpassen.
In Hollywood frohlockte man über das multimediale, Fans fest an sich bindende System. Sony, das Studio, das die Filmrechte an den Spider-Man-Comics hält, hatte sogar einen Deal mit Disney, der Firma, die 2009 den Marvel-Comicverlag gekauft hat: Der von Tom Holland gespielte Spider-Man der
Sony-Filmreihe konnte so auch in den Disney-Superheldenfilmen mitkämpfen. Das war eine erfolgreiche Strategie – eine Weile.
Bis eine „superhero fatigue“, eine Superheldenmüdigkeit, um sich griff, die sich auch in schwächelnden Kinokassenergebnissen zeigte. Das Publikum hatte offenbar genug vom großen Superheldenspielplatz, auf dem sich keiner mehr auskannte. „Das Kinopublikum will nicht Serien als Hausübung schauen müssen“, schrieb „Presse“-Filmkritiker Andrey Arnold im Sommer.
„Madame Web“– inszeniert von der Britin S. J. Clarkson, die bislang Regisseurin für
Serien war („Collateral“, „Anatomie eines Skandals“) – hat nun das, was man im Comickultursprech ein „stand-alone universe“nennt: Hausübungen sind keine nötig, vom bestehen Superheldenuniversum ist dieses New York von 2003 komplett unabhängig.
Rettungsfahrerin sieht die Zukunft
Cassandra kann nach einer Nahtoderfahrung plötzlich Szenen aus der Zukunft sehen. Und ahnt dabei die Attacke voraus, die der eingangs erwähnte Spinnenmensch auf drei Teenager plant. So erhebt sie sich zur Beschützerin der liebenswürdig impulsiven, auf sich allein gestellten Jugendlichen.
Dabei mag sie gar keine Kinder! Was der einzige menschliche „Fehler“dieser abgebrühten Heldin ist: eine emotional unbeeindruckte Frau ohne Freunde oder Familie, die durch den Verkehr kurvend Menschenleben rettet, ohne sich für die Lebenden zu interessieren. Die sich ohne Zögern zu durch und durch coolen Taten aufschwingt.
Der Bösewicht ist dafür ein durch und durch böser Kerl. Eine Psychologisierung spart sich das Drehbuch. Nein, besondere Tiefe darf man sich nicht von diesem Film erwarten, der immerhin mit überzeugenden Darstellern aufwartet, denen man gern zuschaut, wie sie zu Britney Spears’ „Toxic“ein Diner in Schutt und Scherben legen.