Ukraine: Ist kämpfen eine moralische Pflicht?
das? Wer kann das verantworten, auch als Individuum? Was für ein Dilemma!
Suchen wir Rat in der Geschichte. Lässt sich vielleicht die Lage, in einem brauchbaren Sinn, mit jener der Briten und Amerikaner im Zweiten Weltkrieg vergleichen? In der historischen Rückschau waren ihre Armeen die einzigen, die Hitler stoppen konnten, im Kampf der freien Welt gegen einen wahnhaften Diktator, der die Welt erobern und ganze Völker ausrotten wollte. Nicht auszudenken, wenn er gewonnen hätte. Deshalb erscheint es uns heute tatsächlich als unmoralisch, wenn sich etwa junge Engländer in dieser Situation vor dem Kriegsdienst „drückten“. Aber aus damaliger Sicht war das nie so eindeutig – vor dem Holocaust, vor den massenhaften Kriegsverbrechen der Wehrmacht und lang vor dem gesicherten Wissen über beides. Ein klares Urteil, faktisch wie normativ, lässt sich immer erst ziehen, wenn Geschehnisse längst zurückliegen und Historiker sie aufgearbeitet haben.
Entscheiden müssen wir uns aber immer hier und jetzt, auch moralisch. Das macht unser Handeln so ungeschützt, heikel, prekär.
Und was ist mit Nichtukrainern?
Wie prekär, soll ein abschließender Aspekt zeigen: Ein offizielles militärisches Engagement des Westens, über Waffenlieferungen hinaus, scheint undenkbar, weil es einen Dritten Weltkrieg auslösen könnte. Aber wie steht es um individuelle Beteiligung? Im spanischen Bürgerkrieg zogen auch viele Freiwillige der kommunistischen Internationalen Brigaden gegen den Militärputsch von General Franco ins Feld, darunter ein gewisser Ernest Hemingway. Damals kämpften also Menschen staatsübergreifend aus freien Stücken für ihre Ideale.
Warum eigentlich nicht in unserer Zeit, die viele auch zu einer „postnationalen“erklären? Warum sollen eigentlich nur jene, die zufällig auf ukrainischem Territorium geboren wurden, für Werte ihr Leben riskieren, die wir so gern als weltumspannende beschwören?
Ein verzweifelter General hat im Dezember im Parlament in Kiew die Frage gestellt : „Wenden wir uns an die Welt und bitten um Leute?“Sie war rhetorisch gemeint. Die wenigen ausländischen Freiwilligen zu Kriegsbeginn waren keine Idealisten, sondern einfach Fremdenlegionäre, und ihr Einsatz geriet zum Flop.
Wer bereit ist, selbst an die Front zu gehen, der werfe den ersten Stein.