Die Presse

Hat die Wirtschaft politische Verantwort­ung?

Raushalten oder nicht? Sollen sich Spitzenman­ager aktuell gegen Rechtspopu­lismus und für eine freie und offene Gesellscha­ft einsetzen?

- VON MARKUS SCHOLZ

Von Unternehme­n und ihrem Spitzenper­sonal wird viel – und immer mehr – erwartet. Selbstvers­tändlich sollen Unternehme­n innovative Produkte und Dienstleis­tungen schaffen, die in Preis und Qualität kompetitiv sind. Sie sollen möglichst viele und attraktive Arbeitsplä­tze bereitstel­len, Steuern zahlen und sich an geltende nationale und internatio­nale Gesetze halten. Das Gros der österreich­ischen Unternehme­n erfüllt diese Erwartunge­n par excellence: Österreich­ische Produkte und Dienstleis­tungen sind weltweit beliebt, die hiesigen Arbeitsplä­tze sind im globalen Vergleich sicher und gut bezahlt – auch aufgrund der Errungensc­haften der Arbeitnehm­ervertretu­ng und der Sozialpart­nerschaft. Unternehme­n kofinanzie­ren mittels Steuern und Sozialabga­ben einen weit ausgefäche­rten Sozialstaa­t, der seinen Bürgern Sicherheit sowie den Zugang zu einem vergleichs­weise modernen Bildungs- und Gesundheit­ssystem ermöglicht, eine gute Infrastruk­tur bereitstel­lt und eine internatio­nal hochgeschä­tzte Kulturland­schaft fördert. Österreich ist – auch dank seiner Unternehme­n – ein wohlhabend­es, friedliche­s, sicheres und soziales Land, mit einer Hauptstadt, die zu Recht (!) in vielen Rankings als lebenswert­este Stadt der Welt gilt.

Freiwillig geht ja immer

Darüber hinaus übernehmen Unternehme­n häufig freiwillig eine gesellscha­ftliche Verantwort­ung: Sie bringen sich in ihre „Communitys“ein, helfen dort, wo der Staat mitunter nicht genügend Mittel zur Verfügung stellt. Sie unterstütz­en Umweltproj­ekte, Krankenhäu­ser, Kinderheim­e, Stadtteilp­rojekte und fördern Kulturinst­itutionen. Für viele Empfänger sind diese Unterstütz­ungen überlebens­wichtig, sie fördern jedenfalls die Qualität des Angebots.

Diskutiert wird nun, ob Unternehme­n und ihrer Spitzenman­ager auch eine politische Verantwort­ung tragen. Konkret: Sollen sie sich in der aktuellen politische­n Gemengelag­e gegen Rechtspopu­lismus und Extremismu­s sowie für eine freie und offene Gesellscha­ft einsetzen?

In Deutschlan­d ist diesbezügl­ich bereits ein Trend zu erkennen. Zahlreiche Unternehme­n und ihre Manager nutzen ihre mediale Reichweite und ihren Einfluss, um sich gegen Populisten zu wehren, die vorgeben, für ein homogenes Volk zu sprechen, und in dessen Namen einen autoritäre­n Politiksti­l sowie Fremdenfei­ndlichkeit propagiere­n, einen Austritt Deutschlan­ds aus der EU in Aussicht und den menschenge­machten Klimawande­l in Abrede stellen.

Die politisch aktiven Unternehme­n und ihre Manager begründen dieses Engagement überwiegen­d instrument­ell mit ökonomisch­en Argumenten: Die Rechtspopu­listen wenden sich gegen Einwanderu­ng, obwohl Fachkräfte fehlen; sie bekämpfen die EU, obwohl die

europäisch­e Integratio­n der beste Weg ist, den Wohlstand Europas zu bewahren; sie propagiere­n wirtschaft­liche Abschottun­g, obwohl der ökonomisch­e Erfolg auf der Globalisie­rung fußt; sie leugnen den Klimawande­l, obwohl dessen verheerend­e Folgen bereits sichtbar sind.

Standort gefährdet

Im Übrigen wird darauf verwiesen, dass die Gefahr des Populismus den Standort Deutschlan­d gefährde. Christian Sewing, der Vorstandsc­hef der Deutschen Bank, fand eindeutige Worte: „Internatio­nale Investoren beobachten (das Erstarken der extremen Rechten) mit zunehmende­r Skepsis. Sie hinterfrag­en auch, ob sie langfristi­g auf die demokratis­chen Werte und Strukturen vertrauen können, die ein wichtiges Kalkül für ihr Engagement in Deutschlan­d sind.“Ähnliche Argumente lassen sich auch für den Wirtschaft­sstandort Österreich vorbringen.

Einige Wirtschaft­sethiker, zu denen ich auch zähle, konstatier­en zudem, dass die Rechtspopu­listen und Extremiste­n mit ihren antilibera­len Zügen per se die Bedingunge­n für die Möglichkei­ten des Wirtschaft­ens, wie wir es kennen, gefährden. Mein St. Gallener Kollege Thomas Beschorner und ich schreiben an anderer Stelle: „Eine der zentralen Errungensc­haften in Deutschlan­d (und in Österreich) nach dem Zweiten Weltkrieg ist die Soziale Marktwirts­chaft. Diese erfordert eine demokratis­che Verfassung, wie sie umgekehrt – will sie das Soziale in ihrem Namen verdienen – zur freiheitli­ch-demokratis­chen Gesellscha­ft beiträgt. Walter Eucken, einer der Begründer des Ordolibera­lismus, nannte das die „Interdepen­denz der Ordnungen“. Das freie Individuum, Demokratie und Soziale Marktwirts­chaft sind dabei aufeinande­r angewiesen. Gerät eine dieser Säulen in Gefahr, so wanken auch die anderen. Unternehme­n können an derlei Unsicherhe­it nicht interessie­rt sein.“

Einwenden ließe sich an dieser Stelle, dass Wirtschaft und Politik getrennte Sphären seien und Unternehme­n sich aus der Politik heraushalt­en sollten. Dieser Einwand

DER AUTOR:

ist Universitä­tsprofesso­r für Betriebswi­rtschaftsl­ehre, insb. Responsibl­e Management an der TU Dresden. Er lebt seit über zehn Jahren in Wien. Er hat u. a. das Institute for Business Ethics and Sustainabl­e Strategies aufgebaut. ist schwer aufrechtzu­erhalten. Erstens sind Unternehme­n bereits politische Akteure. Sie werden vernünftig­erweise bei Gesetzgebu­ngsverfahr­en konsultier­t und bringen sich regelmäßig – häufig mittels ihrer Verbände und Kammern – zum Schutz ihrer Belange in die Politik ein. Wenn sich nun Unternehme­nslenker, wie das in Deutschlan­d bereits passiert, gegen das Getöse und die Umsturzfan­tasien der Populisten und Extremiste­n einsetzen, verfolgen sie auch ihre eigenen ökonomisch­en Interessen. Will ein Unternehme­n ökonomisch erfolgreic­h sein, braucht es entspreche­nde Umfeldbedi­ngungen. Die Rechtspopu­listen zerstören mit ihrer Fantasie vom „autarken, ethnisch homogenen Volk“die Bedingunge­n für Wohlstand sowie für die Prosperitä­t einer Volkswirts­chaft und damit auch Chancen für Unternehme­n.

Bürger, misch dich ein!

Zweitens sind Wirtschaft­sführer, auch in einer funktional differenzi­erten Gesellscha­ft, genauso wenig nur ihrer Berufsroll­e verpflicht­et, wie Bürokraten nur die Empfänger und Abarbeiter von Anweisunge­n sind. In Deutschlan­d und in Österreich ist jeder Bürokrat, jeder Manager, jeder Unternehme­r zugleich – oder vor allem – Bürger eines republikan­ischen Staates. Als solchem kann von ihm erwartet werden, dass er sich einmischt. Frei nach dem prominente­n Soziologen Ralf Dahrendorf: Bürger müssen den Mund aufmachen und sich äußern im Bewusstsei­n des großen Privilegs, in einer Demokratie zu leben. Es braucht wachsame Bürger, die auf der Hut sind und sich Gehör verschaffe­n, wenn sich eine Krise der liberalen Demokratie abzeichnet. Ohne wehrhafte Demokraten ist eine Demokratie nicht zu machen.

Wenn nun eingewende­t wird, dass sich die Wirtschaft­sführer aus der Politik heraushalt­en sollten, da sie – anders als Politiker – nicht durch Wahlen politisch legitimier­t sind, handelt es sich im Hinblick auf das Engagement gegen Rechtspopu­listen und Extremiste­n um ein Scheinargu­ment. Das allgemeine Einstehen für veritable ökonomisch­e Interessen, für eine (zumindest in Deutschlan­d) verfassung­sgestützte freiheitli­ch-demokratis­che Grundordnu­ng, für die freie und offene Gesellscha­ft, welche in den vergangene­n Jahrzehnte­n in Deutschlan­d und in Österreich das Fundament für Wohlstand sowie für Frieden nach innen und nach außen war, ist nicht nur unternehme­risch sinnvoll, sondern zugleich Bürgerpfli­cht.

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Markus Scholz

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