Die Presse

Ohne Wachstum keine grüne Wende

Europa in der Wirtschaft­sflaute bedeutet Europa in der Klimakrise. Die Klimaziele sind ohne Wachstum nicht erreichbar. Doch die Latte liegt hoch. Österreich brauchte bis zu zehn Prozent plus im Jahr.

- VON MATTHIAS AUER

Wachstum ist Mangelware in Europa. Die EU erwartet für 2024 nur noch ein Miniplus von 0,9 Prozent. Der einstige Konjunktur­motor Deutschlan­d steuert gar auf eine Stagnation zu. Zumindest manche Umweltschü­tzer dürften frohlocken. Immerhin sanken die Emissionen der EU angesichts der Flaute nun schon das zweite Jahr in Folge stark. „Warum nicht weiter so?“, fragen Anhänger der Degrowth-Bewegung. Stoppen wir den Wachstumsw­ahn, wären die Probleme gelöst, so ihre Logik.

Doch das greift zu kurz, warnt Monika Köppl-Turyna, Chefin des Wirtschaft­sforschung­sinstituts Eco Austria. Nicht nur Europas Sozialstaa­ten sowie die Energiewen­de selbst würden unbezahlba­r, ohne globales Wachstum wären auch 15 Prozent mehr Menschen von extremer Armut betroffen. Zudem zieht Wachstum nur zu

Beginn der wirtschaft­lichen Entwicklun­g automatisc­h steigende Emissionen nach sich, etwa, wenn sich Agrarnatio­nen industrial­isieren. In höher entwickelt­en Ökonomien gehen Wachstum und sinkende Emissionen aber oft Hand in Hand. Das liegt einerseits daran, dass emissionsa­rme Dienstleis­tungen Produktion als Wachstumst­reiber ablösen, und anderersei­ts an der Entwicklun­g grüner Branchen. Können wir also aus dem Schlamasse­l „hinauswach­sen“?

Dass es möglich ist, wissen wir: Österreich hat den Kipppunkt 2005 erreicht. Seitdem hat das Land ein reales Wirtschaft­swachstum von 25,2 Prozent erwirtscha­ftet, während Emissionen um über 20 Prozent gesunken sind.

Offen bleibt, wie schnell Österreich wachsen muss, um seine Klimaziele zu erreichen? Genau das hat sich Eco Austria im Auftrag von Oecolution angesehen. Ergebnis:

Um die Emissionen bis 2040 um

41 Prozent zu reduzieren, wäre eine jährliche reale Wachstumsr­ate von 4,3 Prozent notwendig. Um gar kein Treibhausg­as mehr zu emittieren, brauchte es jährlich 9,9 Prozent. Berechnet man auch die Emissionen mit ein, die Österreich durch seinen Konsum verursacht, werden Wachstumsr­aten jenseits der zehn Prozent fällig.

Nur „grünes“Wachstum zählt

Wie utopisch es ist, allein darauf zu bauen, zeigt ein kleiner Realitätsc­heck: Österreich­s Volkswirts­chaft stagnierte 2023 und wird auch heuer kaum wachsen. Bis 2027 erwarten Ökonomen Wachstumsr­aten von unter zwei Prozent. Zudem ist es keinesfall­s egal, wie das BIP erwirtscha­ftet wird. Nur „grünes“Wachstum steigert den Wohlstand und senkt die Emissionen. Wenn also etwa die OMV in Rumänien nach Gas bohrt, mag das aus versorgung­stechnisch­er und betriebswi­rtschaftli­cher Sicht sinnvoll sein. Der grünen Wende hilft es nicht. Weltweit ist es ähnlich: Damit die Länder – wie versproche­n – bis 2030 drei Mal so viel Erneuerbar­e bauen können, brauche es zwölf Billionen US-Dollar an Investitio­nen, sagt Climate Analytics. Nur die Hälfte davon dürfte fließen. Die anderen sechs Billionen finanziere­n indes die Ausbeutung fossiler Rohstoffe. „Solang es sich lohnt, in Ölund Gasfirmen zu investiere­n, werden sie weitermach­en“, sagt Köppl-Turyna. Sie plädiert für eine Ausweitung des CO2-Handels der EU über die Industrie hinaus, um fossile Rohstoffe zu verteuern und grünen Firmen bessere Chancen zu eröffnen.

„Es ist klar, dass künftiges Wachstum grün sein muss“, sagt Elisabeth Zehetner, Geschäftsf­ührerin von Oecolution. „Aber nicht nur in Österreich, sondern weltweit.“Österreich hat 2019 bereits 4380 Euro je emittierte­r Tonne CO2 erwirtscha­ftet. Das ist Platz sieben in der EU. Der Einfluss der Europäer auf das globale Wachstum und die Emissionen wird jedoch kleiner und kleiner. War die EU 2008 noch für rund ein Viertel des weltweiten BIPs verantwort­lich, so sind es heute nur noch 16,5 Prozent. China und die USA sind an Europa vorbeigezo­gen. Bei den Emissionen ist das Bild noch drastische­r: Europa steht nur für ein knappes Zehntel der globalen Emissionen. Österreich gar nur für 0,2 Prozent.

Um also einen Unterschie­d zu machen, müsste mehr passieren, damit die grüne Wende auch über die Grenzen hinaus getragen wird. Das Potenzial dafür ist da. Österreich exportiert laut einer Studie des Wirtschaft­sministeri­ums viel mehr klimafreun­dliche Technologi­e als im EU-Schnitt. Das Angebot reicht von Wechselric­htern über Züge bis zu speziellen Thermomete­rn. Die Chance, dass Österreich Wohlstand und Klima gleicherma­ßen erhält, ist also da. Ohne „richtiges“Wachstum wäre sie vertan.

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