Was Putins Kalkül hinter Nuklearwaffen im Weltall sein könnte
Sicherheitspolitik. Russland soll die Entwicklung einer nuklearen Anti-Satelliten-Waffe vorantreiben. Der Weltraum ist jedenfalls eine der verwundbarsten Stellen des Westens.
Am 9. Juli 1962 war am Himmel über Hawaii ein seltsames Farbenspiel zu sehen. Einige Minuten lang leuchtete ein ungewöhnliches Licht. Außerdem entstand ein elektromagnetischer Impuls, der unten auf der Erde, auf Hawaii, Hunderte Straßenlampen ausknipste, Alarmanlagen auslöste und auch Telefonverbindungen kappte und der jedenfalls in seiner Wucht die Forscher überraschte. Im Verlauf der nächsten Wochen gingen außerdem „oben“in den erdnahen Umlaufbahnen (Leo) durch die freigesetzte Strahlung mindestens sechs Satelliten kaputt, darunter der erste zivile Kommunikationssatellit, Telstat.
Oder anders: Der US-Atomwaffentest „Starfish Prime“in einer Höhe von 400 Kilometern war ein schrecklicher Erfolg.
Rund sechs Jahrzehnte später schrecken Berichte auf, wonach die Russen Pläne für die Stationierung von nuklearen Anti-Satelliten-Waffen im Weltraum vorantreiben. Die USA sollen Verbündete in Europa bereits über das Projekt vorgewarnt haben, schreibt die „New York Times“. Und am Donnerstag sollte die „Gang of Eight“, ein kleiner Kreis von acht Kongressabgeordneten, vom Weißen Haus unterrichtet werden.
Noch in der Entwicklungsphase
Zunächst aber waren noch viele Details unklar. Nach Angaben der „New York Times“befindet sich die russische Anti-SatellitenNuklearwaffe auch noch in der Entwicklungsphase, ihre Stationierung im Weltraum stünde keinesfalls „unmittelbar“bevor. Da und dort wurde auch berichtet, es handle sich gar nicht um Nuklearwaffen-, sondern nur um nuklearangetriebene. Und aus Russland kamen ohnehin Dementi. Ein US-Abgeordneter wiederum ortete einen „geostrategischen Gamechanger“, ein anderer beispielsweise eine Bedrohung der nationalen Sicherheit.
„Vieles ist Spekulation, aber sollte Russland tatsächlich Nuklearwaffen im Weltraum stationieren wollen, wäre das ein verheerendes Signal für die Rüstungskontrolle“, sagt Andrea Rotter, Expertin für Sicherheitspolitik der deutschen Hanns-Seidel-Stiftung zur „Presse“. Rotter erinnert an den Weltraumvertrag von 1967, der damals ein vorausschauendes Meisterwerk war, aber heute aus der Zeit gefallen ist. Weshalb der Weltraum so etwas wie der Wilde Westen des 21. Jahrhunderts ist. Aber Artikel IV des Weltraumvertrags ist gut gealtert: Darin wird die Stationierung von Nuklearwaffen im Weltraum explizit untersagt. Der Vertrag ist darüber hinaus einer der letzten Rüstungskontrollverträge, der noch in Kraft ist. Jenen für das Kernwaffentestverbot (übrigens explizit auch im Weltraum) hatte Putin erst vor wenigen Monaten ausgesetzt.
Zugleich ist auch der Weltraum längst Operationsraum im Krieg und ein lohnendes Ziel aus russischer Sicht: „Die USA und ihre europäischen Nato-Partner verfügen gemeinsam über mehr als 50 Prozent der Satelliten. Und hohe Abhängigkeit bedeutet immer auch hohe Verwundbarkeit“, sagt Rotter. Das gilt im zivilen Bereich genauso wie im militärischen: „Jede moderne Streitkraft ist von weltraumbasierten Fähigkeiten abhängig.“Die Palette reicht von Kommunikation über Positions- und Navigationsbestimmung in Echtzeit bis hin zu Beobachtungsund Aufklärungsfähigkeiten. Beispiel Ukraine-Krieg: Satellitennavigation hilft, Präzisionswaffen ins Ziel zu steuern. Und ohne Elon Musks Kommunikationsnetzwerk Starlink wären die Kämpfer an der Front oft „blind, stumm und taub“.
Immer mehr Anti-Satelliten-Waffen
Die Russen drohten deshalb schon, StarlinkSatelliten abzuschießen (neulich tauchten Starlink-Systeme dann auch auf russischer Seite auf). Sie störten GPS-Signale in der Ukraine und in der Nato-dominierten Ostsee. Wie andere Militärmächte auch bauen die Russen zudem Laserwaffen, um feindliche Satelliten zu blenden. Und dass der Ukraine-Krieg ebenfalls mit einem Cyberangriff auf ein Satellitennetzwerk begonnen hat, ist beinahe in Vergessenheit geraten.
Schon 2021 empörten die Russen außerdem ihre Rivalen, als sie eine Anti-SatellitenRakete in einen ausrangierten Sowjet-Satelliten jagten. Eine Machtdemonstration. Die Wirkung einer nuklearen Anti-SatellitenWaffe wäre freilich ungleich zerstörerischer. „Bei einer nuklearen Detonation ist es durchaus möglich, dass durch den elektromagnetischen Impuls sofort Satelliten in mehreren Umlaufbahnen zerstört werden und durch die anschließende Strahlung die Lebensdauer von weiteren Satelliten erheblich gesenkt wird“, sagt Rotter.
Der Weltraum als Müllplatz
Gegen solche Brachialvarianten, ob nuklear oder konventionell, spricht, dass der Kollateralschaden massiv ist, weil Trümmerwolken entstehen. Und der Weltraum ist schon heute nicht nur Kriegsschauplatz, sondern auch Müllplatz. Immer mehr Weltraumschrott verstopft die wenigen nutzbaren Umlaufbahnen. Und darunter leiden alle.
Trotzdem: „In einem Konflikt mit einem Gegner wie Russland wird man zunächst immer versuchen, alle weltraumbasierten Fähigkeiten zu stören“, sagte Christian Badia, Deputy Supreme Allied Commander Transformation der Nato, einmal zur Tageszeitung „Welt“.