Spiegelfechterei um Euro-Atomstreitkräfte
Donald Trumps Drohungen sorgen für eine Suche nach Alternativen zum atomaren Nato-Schutz. Frankreich wird dafür kaum einspringen.
Brüssel/Berlin. Mit Frankreich besitzt ein einziges aktuelles EU-Mitglied die Atombombe. Genauer gesagt um die 300 Stück. Die restlichen Nuklearwaffen auf dem europäischen Kontinent gehören den USA oder Großbritannien – und Russland, wenn es stimmt, dass in der Exklave Kaliningrad an der Ostsee auch Atombomben einlagern.
Nicht zuletzt wegen eines möglichen Wahlsieges von Nato-Kritiker Donald Trump im Herbst ist in Deutschland eine Debatte ausgebrochen, ob das für immer so bleiben kann. Oder ob Europa an einem eigenen Konzept der nuklearen Abschreckung bauen soll, das ohne die USA funktioniert.
Welche Rolle spielt Deutschland für das atomare Abschreckungspotenzial Europas?
Rund 20 Atombomben sind noch in Deutschland stationiert, sie gehören dem US-Militär. Im Ernstfall sollen sie von deutschen Fliegern abgeworfen werden. Das Prinzip heißt nukleare Teilhabe – auch in den europäischen Nato-Staaten Italien, Belgien und den Niederlanden lagern US-Atombomben.
Deutschland hat sich in zwei völkerrechtlichen Verträgen verpflichtet, selbst keine Atombomben zu bauen. Zum einen hat es den Atomwaffensperrvertrag unterschrieben, zum anderen bei der deutschen Wiedervereinigung eine eigene Atombombe ausgeschlossen. Davon abgesehen würde es um die 15 Jahre dauern, eine nukleare Streitmacht aufzubauen, schätzte Militärexperte Gustav Gressel vom European Council on Foreign Relations unlängst im „Tagesspiegel“.
Wenn am Wochenende die militärische Elite zur Münchner Sicherheitskonferenz zusammenkommt, werde auch über die Idee der „Europäisierung“französischer und britischer Atombomben gesprochen, sagte der deutsche Top-Diplomat Christoph Heusgen. Einige deutsche Politiker preschten vor – darunter Finanzminister Christian Lindner (FDP). Deutschland solle mit Frankreich und Großbritannien reden, wie diese ihre atomaren Kapazitäten (wohl mit deutschem Geld) ausbauen könnten, ließ er wissen. Die deutsche EU-Parlamentarierin Katarina Barley (SPD) ging noch weiter, stellte eigene EUAtombomben in den Raum – und handelte sich dafür viel Kritik ein. Auch Manfred Weber, Präsident der Europäischen Volkspartei und deren Fraktionschef im Europaparlament, redete bereits davon, „wie Frankreichs nukleare Bewaffnung in europäische Strukturen einzubetten“sei.
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sieht „keinen Grund, über den nuklearen Schutzschirm zu diskutieren“. Die Aussagen Trumps würden ihm keinen besonderen Schrecken einjagen, sagte er, die US-Militärs stünden fest zur nuklearen Teilhabe der Nato. Wie Kanzler Olaf Scholz (SPD) will er vermeiden, über das Szenario eines Wahlsieges des Nato-Kritikers Trump zu sprechen, um nicht die Kampagne des demokratischen US-Präsidenten Joe Biden zu untergraben. Zudem stehen auch in Deutschland mehrere Wahlen an. In der Frage nach mehr europäischen Atombomben zeigt sich die Bevölkerung laut einer aktuellen Umfrage gespalten – rund die Hälfte ist dafür, die Hälfte dagegen.
3 Hat Frankreichs Präsident Macron angeboten, seine Atomwaffen mit der EU zu teilen?
Vor genau vier Jahren sagte Macron: „Ich wünsche, dass sich ein strategischer Dialog mit unseren europäischen Partnern entwickelt, die dazu bereit sind, über die Rolle der französischen nuklearen Abschreckung in unserer kollektiven Sicherheit.“
Und er fügte hinzu: „Die europäischen Partner, die diesen Weg einschlagen wollen, könnten an den Übungen der französischen Abschreckungskräfte teilnehmen. Dieser strategische Dialog und dieser Austausch würden natürlich an der Entwicklung einer echten strategischen Kultur unter Europäern teilnehmen.“Sprich: Es ist und war nie die Rede davon, dass die seit 1964 die strategische Autonomie Frankreichs stützenden Atomstreitkräfte unter ein europäisches oder gar EU-Kommando gestellt werden. Macron stellt bloß zur Debatte, dass interessierte europäische Staaten Soldaten zu gemeinsamen Manövern abstellen können – und sich dafür finanziell an der Modernisierung der Atomstreitkräfte beteiligen, die laut französischem Senat mindestens 5,5 Milliarden Euro kosten dürfte..
4 Ist diese Polemik also nur ein Sturm im Wasserglas ohne echte Folgen?
Jein. Sollte Trump seine Drohung wahr machen und die USA aus der Nato ziehen, hätten die Europäer ein fundamentales Sicherheitsproblem. Allerdings schützt Frankreichs „Force de dissuasion“schon jetzt den Rest Europas implizit mit – und damit auch Antiatomkraftländer wie Österreich, ganz ohne EU-Flagge. Man führe sich, beispielhaft für die Linie aller Präsidenten seit 1964, die Worte Nicolas Sarkozys im März 2008 beim Stapellauf des jüngsten der vier U-Boote, die Atomraketen tragen, vor Augen: „Wenn es um Europa geht, dann ist es eine Tatsache, dass die französischen Nuklearstreitkräfte allein durch ihre Existenz ein Schlüsselelement seiner Sicherheit sind. Ein Aggressor, der davon träumt, Europa infrage zu stellen, muss sich dessen bewusst sein.“