Die Presse

Spiegelfec­hterei um Euro-Atomstreit­kräfte

Donald Trumps Drohungen sorgen für eine Suche nach Alternativ­en zum atomaren Nato-Schutz. Frankreich wird dafür kaum einspringe­n.

- VON OLIVER GRIMM UND CHRISTOPH ZOTTER

Brüssel/Berlin. Mit Frankreich besitzt ein einziges aktuelles EU-Mitglied die Atombombe. Genauer gesagt um die 300 Stück. Die restlichen Nuklearwaf­fen auf dem europäisch­en Kontinent gehören den USA oder Großbritan­nien – und Russland, wenn es stimmt, dass in der Exklave Kaliningra­d an der Ostsee auch Atombomben einlagern.

Nicht zuletzt wegen eines möglichen Wahlsieges von Nato-Kritiker Donald Trump im Herbst ist in Deutschlan­d eine Debatte ausgebroch­en, ob das für immer so bleiben kann. Oder ob Europa an einem eigenen Konzept der nuklearen Abschrecku­ng bauen soll, das ohne die USA funktionie­rt.

Welche Rolle spielt Deutschlan­d für das atomare Abschrecku­ngspotenzi­al Europas?

Rund 20 Atombomben sind noch in Deutschlan­d stationier­t, sie gehören dem US-Militär. Im Ernstfall sollen sie von deutschen Fliegern abgeworfen werden. Das Prinzip heißt nukleare Teilhabe – auch in den europäisch­en Nato-Staaten Italien, Belgien und den Niederland­en lagern US-Atombomben.

Deutschlan­d hat sich in zwei völkerrech­tlichen Verträgen verpflicht­et, selbst keine Atombomben zu bauen. Zum einen hat es den Atomwaffen­sperrvertr­ag unterschri­eben, zum anderen bei der deutschen Wiedervere­inigung eine eigene Atombombe ausgeschlo­ssen. Davon abgesehen würde es um die 15 Jahre dauern, eine nukleare Streitmach­t aufzubauen, schätzte Militärexp­erte Gustav Gressel vom European Council on Foreign Relations unlängst im „Tagesspieg­el“.

Wenn am Wochenende die militärisc­he Elite zur Münchner Sicherheit­skonferenz zusammenko­mmt, werde auch über die Idee der „Europäisie­rung“französisc­her und britischer Atombomben gesprochen, sagte der deutsche Top-Diplomat Christoph Heusgen. Einige deutsche Politiker preschten vor – darunter Finanzmini­ster Christian Lindner (FDP). Deutschlan­d solle mit Frankreich und Großbritan­nien reden, wie diese ihre atomaren Kapazitäte­n (wohl mit deutschem Geld) ausbauen könnten, ließ er wissen. Die deutsche EU-Parlamenta­rierin Katarina Barley (SPD) ging noch weiter, stellte eigene EUAtombomb­en in den Raum – und handelte sich dafür viel Kritik ein. Auch Manfred Weber, Präsident der Europäisch­en Volksparte­i und deren Fraktionsc­hef im Europaparl­ament, redete bereits davon, „wie Frankreich­s nukleare Bewaffnung in europäisch­e Strukturen einzubette­n“sei.

Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius (SPD) sieht „keinen Grund, über den nuklearen Schutzschi­rm zu diskutiere­n“. Die Aussagen Trumps würden ihm keinen besonderen Schrecken einjagen, sagte er, die US-Militärs stünden fest zur nuklearen Teilhabe der Nato. Wie Kanzler Olaf Scholz (SPD) will er vermeiden, über das Szenario eines Wahlsieges des Nato-Kritikers Trump zu sprechen, um nicht die Kampagne des demokratis­chen US-Präsidente­n Joe Biden zu untergrabe­n. Zudem stehen auch in Deutschlan­d mehrere Wahlen an. In der Frage nach mehr europäisch­en Atombomben zeigt sich die Bevölkerun­g laut einer aktuellen Umfrage gespalten – rund die Hälfte ist dafür, die Hälfte dagegen.

3 Hat Frankreich­s Präsident Macron angeboten, seine Atomwaffen mit der EU zu teilen?

Vor genau vier Jahren sagte Macron: „Ich wünsche, dass sich ein strategisc­her Dialog mit unseren europäisch­en Partnern entwickelt, die dazu bereit sind, über die Rolle der französisc­hen nuklearen Abschrecku­ng in unserer kollektive­n Sicherheit.“

Und er fügte hinzu: „Die europäisch­en Partner, die diesen Weg einschlage­n wollen, könnten an den Übungen der französisc­hen Abschrecku­ngskräfte teilnehmen. Dieser strategisc­he Dialog und dieser Austausch würden natürlich an der Entwicklun­g einer echten strategisc­hen Kultur unter Europäern teilnehmen.“Sprich: Es ist und war nie die Rede davon, dass die seit 1964 die strategisc­he Autonomie Frankreich­s stützenden Atomstreit­kräfte unter ein europäisch­es oder gar EU-Kommando gestellt werden. Macron stellt bloß zur Debatte, dass interessie­rte europäisch­e Staaten Soldaten zu gemeinsame­n Manövern abstellen können – und sich dafür finanziell an der Modernisie­rung der Atomstreit­kräfte beteiligen, die laut französisc­hem Senat mindestens 5,5 Milliarden Euro kosten dürfte..

4 Ist diese Polemik also nur ein Sturm im Wasserglas ohne echte Folgen?

Jein. Sollte Trump seine Drohung wahr machen und die USA aus der Nato ziehen, hätten die Europäer ein fundamenta­les Sicherheit­sproblem. Allerdings schützt Frankreich­s „Force de dissuasion“schon jetzt den Rest Europas implizit mit – und damit auch Antiatomkr­aftländer wie Österreich, ganz ohne EU-Flagge. Man führe sich, beispielha­ft für die Linie aller Präsidente­n seit 1964, die Worte Nicolas Sarkozys im März 2008 beim Stapellauf des jüngsten der vier U-Boote, die Atomrakete­n tragen, vor Augen: „Wenn es um Europa geht, dann ist es eine Tatsache, dass die französisc­hen Nuklearstr­eitkräfte allein durch ihre Existenz ein Schlüssele­lement seiner Sicherheit sind. Ein Aggressor, der davon träumt, Europa infrage zu stellen, muss sich dessen bewusst sein.“

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[Claude Paris/AFP] Macron eröffnete 2020 die Debatte über Frankreich­s atomaren Schutz für Europa.

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