Freies Geleit für Chefs der Hamas?
Vorstoß für Deal: Israel beendet Offensive, dafür kommen Geiseln frei und Hamas-Führer gehen ins Exil. Doch Israel und die Hamas sind skeptisch.
Istanbul/Kairo. Könnte freies Geleit für Hamas-Kommandanten aus dem Gazastreifen ins Ausland die israelische Großoffensive auf Rafah verhindern? Exil für die meistgesuchten Hamas-Anführer ist ein Thema bei den Bemühungen um ein Ende der Kämpfe. Katar und die Türkei kommen nach Einschätzung von Experten als Aufnahmeländer für Hamas-Funktionäre infrage. Doch sowohl die Hamas als auch Israel haben Vorbehalte.
Israel schließt eine Exil-Lösung aber nicht aus. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagte bei einem Treffen mit Angehörigen der von der Hamas verschleppten Geiseln Anfang des Jahres, dass über eine Ausweisung der Hamas-Chefs gesprochen werde. Damals lehnte die palästinensische Extremistenorganisation einen israelischen Vorschlag ab, der Krieg könnte beendet werden, wenn sechs HamasAnführer ins Exil geschickt würden.
Vorbild PLO-Abzug aus Libanon
Nun taucht das Thema wieder auf. Katar, Ägypten und die USA streben eine neue Feuerpause mit Freilassung einiger Geiseln und palästinensischer Häftlinge an. Später sollen weitere Schritte der Deeskalation folgen. Im Rahmen der Gespräche gehe es auch um Exil für vier bis fünf Hamas-Anführer, sagt der israelische Politikberater Gershon Baskin, der an früheren Verhandlungen mit der Hamas beteiligt war. Die Hamas-Funktionäre sollten nach israelischen Vorstellungen in ein Land ausreisen, das keine gemeinsame Grenze mit Israel hat, sagte Baskin in einem Seminar des US-Nahost-Instituts MEI. Ägypten, Jordanien, Syrien und der Libanon kämen damit nicht infrage.
Die Vorteile einer Exil-Lösung: Wenn die Hamas-Anführer nicht mehr in Gaza sind, entfällt der Grund für eine israelische Offensive auf Rafah, wo sich Hunderttausende Flüchtlinge drängen. Netanjahu könnte die Hamas für besiegt erklären und den Krieg beenden. Dafür gibt es ein historisches Vorbild. Als Israel 1982 in den Libanon einrückte, um die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) anzugreifen, endete der Krieg mit dem Abzug der PLO-Führung aus Beirut nach Tunesien.
In Gaza könnten nun HamasFunktionäre, die für den Überfall auf Israel am 7. Oktober verantwortlich gemacht werden, freies Geleit erhalten. Dazu gehören Yahya Sinwar, Hamas-Chef in Gaza, und Mohammed Deif, Kommandant des bewaffneten Arms, der alKassam-Brigaden. Israel vermutet beide im südlichen Gazastreifen. Bei einer Einigung könnten sie in die Türkei oder nach Katar ausreisen, sagt Simon Waldman, NahostExperte am King’s College in London. Beide Länder haben gute Beziehungen zur Hamas und bieten bereits jetzt Abgesandten der Miliz eine Bleibe. Ein saudisch-französischer Vorschlag sieht nach Medienberichten vor, Hamas-Funktionäre nach Algerien zu schicken.
Skepsis bei Israels Regierung
Viele andere Möglichkeiten im Nahen Osten gebe es nicht, denn vielerorts seien die Hamas-Chefs nicht willkommen, sagt Waldman der „Presse“. „Die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudiarabien würden sagen: Wir wollen sie nicht.“In Israel stünden Militärs einem Hamas-Exil offener gegenüber als Regierungspolitiker, die ihren Wählern erklären müssten, dass die Verantwortlichen für den 7. Oktober entkommen, meint Waldman: „Das wäre innenpolitisch nur sehr schwer zu verkaufen.“
Auch Kristof Kleemann, Projektdirektor der Friedrich-Naumann-Stiftung in Jerusalem, sieht Hindernisse für eine Einigung auf eine Exil-Lösung. „Für die israelische Regierung kommt das nur infrage, wenn im Gegenzug alle Geiseln freigelassen werden, Kämpfer und Kommandanten ihre Waffen niederlegen und die Hamas-Regierung in Gaza aufgelöst wird“, sagte Kleemann der „Presse“. „Diese Forderungen sind aus Hamas-Sicht nicht erfüllbar.“Außerdem würden Sinwar und Deif wahrscheinlich lieber in Gaza sterben, als ins Ausland zu gehen.
„Hamas wird vorsichtig sein“
Eine Ausreise nach Katar oder in die Türkei wäre für die Hamas-Anführer keine Lebensversicherung. Nach der Vertreibung der PLOFührung aus dem Libanon wurde der führende PLO-Funktionär Abu Jihad in seinem Exil in Tunesien von israelischen Soldaten getötet. „Die Hamas-Leute werden fragen: Welche Garantien gibt es, dass wir nicht ermordet werden?“, sagte Waldman. „Die Hamas wird da sehr vorsichtig sein.“
Auch die Türkei ist misstrauisch. Ankara hat Israel bereits vor Anschlägen auf Hamas-Vertreter auf türkischem Boden gewarnt und angebliche Mitarbeiter des israelischen Geheimdienstes, Mossad, festnehmen lassen. Israel sehe eine Ausreise der Hamas-Kommandanten in die Türkei „eher skeptisch“, so Nahost-Experte Kleemann. „Das hat vor allem damit zu tun, dass man dort weniger Zugriff hätte.“