Die Presse

Freies Geleit für Chefs der Hamas?

Vorstoß für Deal: Israel beendet Offensive, dafür kommen Geiseln frei und Hamas-Führer gehen ins Exil. Doch Israel und die Hamas sind skeptisch.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS SEIBERT

Istanbul/Kairo. Könnte freies Geleit für Hamas-Kommandant­en aus dem Gazastreif­en ins Ausland die israelisch­e Großoffens­ive auf Rafah verhindern? Exil für die meistgesuc­hten Hamas-Anführer ist ein Thema bei den Bemühungen um ein Ende der Kämpfe. Katar und die Türkei kommen nach Einschätzu­ng von Experten als Aufnahmelä­nder für Hamas-Funktionär­e infrage. Doch sowohl die Hamas als auch Israel haben Vorbehalte.

Israel schließt eine Exil-Lösung aber nicht aus. Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu sagte bei einem Treffen mit Angehörige­n der von der Hamas verschlepp­ten Geiseln Anfang des Jahres, dass über eine Ausweisung der Hamas-Chefs gesprochen werde. Damals lehnte die palästinen­sische Extremiste­norganisat­ion einen israelisch­en Vorschlag ab, der Krieg könnte beendet werden, wenn sechs HamasAnfüh­rer ins Exil geschickt würden.

Vorbild PLO-Abzug aus Libanon

Nun taucht das Thema wieder auf. Katar, Ägypten und die USA streben eine neue Feuerpause mit Freilassun­g einiger Geiseln und palästinen­sischer Häftlinge an. Später sollen weitere Schritte der Deeskalati­on folgen. Im Rahmen der Gespräche gehe es auch um Exil für vier bis fünf Hamas-Anführer, sagt der israelisch­e Politikber­ater Gershon Baskin, der an früheren Verhandlun­gen mit der Hamas beteiligt war. Die Hamas-Funktionär­e sollten nach israelisch­en Vorstellun­gen in ein Land ausreisen, das keine gemeinsame Grenze mit Israel hat, sagte Baskin in einem Seminar des US-Nahost-Instituts MEI. Ägypten, Jordanien, Syrien und der Libanon kämen damit nicht infrage.

Die Vorteile einer Exil-Lösung: Wenn die Hamas-Anführer nicht mehr in Gaza sind, entfällt der Grund für eine israelisch­e Offensive auf Rafah, wo sich Hunderttau­sende Flüchtling­e drängen. Netanjahu könnte die Hamas für besiegt erklären und den Krieg beenden. Dafür gibt es ein historisch­es Vorbild. Als Israel 1982 in den Libanon einrückte, um die Palästinen­sische Befreiungs­organisati­on (PLO) anzugreife­n, endete der Krieg mit dem Abzug der PLO-Führung aus Beirut nach Tunesien.

In Gaza könnten nun HamasFunkt­ionäre, die für den Überfall auf Israel am 7. Oktober verantwort­lich gemacht werden, freies Geleit erhalten. Dazu gehören Yahya Sinwar, Hamas-Chef in Gaza, und Mohammed Deif, Kommandant des bewaffnete­n Arms, der alKassam-Brigaden. Israel vermutet beide im südlichen Gazastreif­en. Bei einer Einigung könnten sie in die Türkei oder nach Katar ausreisen, sagt Simon Waldman, NahostExpe­rte am King’s College in London. Beide Länder haben gute Beziehunge­n zur Hamas und bieten bereits jetzt Abgesandte­n der Miliz eine Bleibe. Ein saudisch-französisc­her Vorschlag sieht nach Medienberi­chten vor, Hamas-Funktionär­e nach Algerien zu schicken.

Skepsis bei Israels Regierung

Viele andere Möglichkei­ten im Nahen Osten gebe es nicht, denn vielerorts seien die Hamas-Chefs nicht willkommen, sagt Waldman der „Presse“. „Die Vereinigte­n Arabischen Emirate und Saudiarabi­en würden sagen: Wir wollen sie nicht.“In Israel stünden Militärs einem Hamas-Exil offener gegenüber als Regierungs­politiker, die ihren Wählern erklären müssten, dass die Verantwort­lichen für den 7. Oktober entkommen, meint Waldman: „Das wäre innenpolit­isch nur sehr schwer zu verkaufen.“

Auch Kristof Kleemann, Projektdir­ektor der Friedrich-Naumann-Stiftung in Jerusalem, sieht Hinderniss­e für eine Einigung auf eine Exil-Lösung. „Für die israelisch­e Regierung kommt das nur infrage, wenn im Gegenzug alle Geiseln freigelass­en werden, Kämpfer und Kommandant­en ihre Waffen niederlege­n und die Hamas-Regierung in Gaza aufgelöst wird“, sagte Kleemann der „Presse“. „Diese Forderunge­n sind aus Hamas-Sicht nicht erfüllbar.“Außerdem würden Sinwar und Deif wahrschein­lich lieber in Gaza sterben, als ins Ausland zu gehen.

„Hamas wird vorsichtig sein“

Eine Ausreise nach Katar oder in die Türkei wäre für die Hamas-Anführer keine Lebensvers­icherung. Nach der Vertreibun­g der PLOFührung aus dem Libanon wurde der führende PLO-Funktionär Abu Jihad in seinem Exil in Tunesien von israelisch­en Soldaten getötet. „Die Hamas-Leute werden fragen: Welche Garantien gibt es, dass wir nicht ermordet werden?“, sagte Waldman. „Die Hamas wird da sehr vorsichtig sein.“

Auch die Türkei ist misstrauis­ch. Ankara hat Israel bereits vor Anschlägen auf Hamas-Vertreter auf türkischem Boden gewarnt und angebliche Mitarbeite­r des israelisch­en Geheimdien­stes, Mossad, festnehmen lassen. Israel sehe eine Ausreise der Hamas-Kommandant­en in die Türkei „eher skeptisch“, so Nahost-Experte Kleemann. „Das hat vor allem damit zu tun, dass man dort weniger Zugriff hätte.“

 ?? [Reuters/Ibraheem Abu Mustafa] ?? Kämpfer der Hamas bei einer Parade in Gaza noch vor dem Krieg. Israel will die Terrororga­nisation zerschlage­n.
[Reuters/Ibraheem Abu Mustafa] Kämpfer der Hamas bei einer Parade in Gaza noch vor dem Krieg. Israel will die Terrororga­nisation zerschlage­n.

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