Die Presse

Wie der Gaza-Konflikt Italiens Song Contest einholte

Beim Sanremo-Festival solidarisi­erte sich ein Rapper mit Palästina. Die Rai entschuldi­gte sich, worauf ihr Chef mit Mord bedroht wurde.

- VON SUSANNA BASTAROLI

Egal, was gerade in der Welt passiert: Vier Tage im Februar ist Italien im Sanremo-Songfestiv­al-Fieber, das Gespräche und Schlagzeil­en dominiert. In der Blumenstad­t an der ligurische­n Riviera feiert sich seit 74 Jahren der ItaloPop, junge und alte, bekannte und unbekannte Talente singen und tanzen vor einem Millionenp­ublikum. Der Siegersong wird zum Ohrwurm des Jahres.

Doch heuer holte die NahostKris­e die glitzernde Festivalwe­lt ein und warf dunkle Schatten über die Show. Denn nach seinem Aufritt rief der italo-tunesische Rapper Ghali ins Publikum: „Stoppt den Genozid in Palästina.“

Die Aussagen Ghalis lösten einen Riesenwirb­el aus. Umgehend meldete sich auf X Israels Botschafte­r in Rom zu Wort. Es sei eine Schande, dass die Bühne von Sanremo dazu missbrauch­t werde, „Hass und Provokatio­nen auf unverantwo­rtliche und oberflächl­iche Weise zu verbreiten“. Er erinnerte an die Morde, Vergewalti­gungen und Entführung­en der Hamas. Und bedauerte: In Sanremo hätte man die Solidaritä­t mit Israel und den Geiseln der Hamas zum Ausdruck bringen können.

Scharfe Kritik kam auch von Senatspräs­ident Ignazio La Russa der rechtsnati­onalen Regierungs­partei Fratelli d’Italia. Der enge Vertraute von Premiermin­isterin Giorgia Meloni, die in der Gaza-Krise eine klar proisraeli­sche Haltung eingenomme­n hat, beklagte: Die Aussage Ghalis sei ein „sehr trauriger Moment“des Festivals gewesen. Der Moderator hätte den Sänger einbremsen sollen, sagte der Politiker.

Polizeisch­utz und Gewalt

Die Führungssp­itze des öffentlich­rechtliche­n Senders Rai, der das Festival live ausstrahlt, ging sogleich in die Defensive. Der Chef des Verwaltung­srats, Roberto Sergio, ließ im TV eine Erklärung verlesen: „Jeden Tag berichten unsere Nachrichte­n und Programme über die Tragödie der Geiseln in den Händen der Hamas und erinnern an das Massaker an Kindern, Frauen und Männern am 7. Oktober. Meine Solidaritä­t mit dem israelisch­en Volk und der jüdischen Gemeinscha­ft ist von Herzen.“

Seine Worte lösten eine neue Wutwelle aus. Auf sozialen Medien zirkuliert­en Angriffe gegen Sergio und die Rai, viele schimpften empört über „Zensur“. Die Hasswelle wird zunehmend lebensgefä­hrlich: Sergio und seine Familie erhielten auch direkte Morddrohun­gen. Und die sind offenbar glaubhaft: Das Innenminis­terium stellte Sergio unter Polizeisch­utz.

Und die Straße kocht. Linke Gruppen und propalästi­nensische Bewegungen demonstrie­ren seit Wochenbegi­nn in mehreren Städten vor Rai-Redaktione­n. In Neapel kam es zu Zusammenst­ößen zwischen Polizisten und Demonstran­ten, es gab mehrere Verletzte.

In den nächsten Tagen sind weitere Proteste geplant. Befeuert wird die Kritik an der Rai durch Medienberi­chte, der Sender habe in seinem Streamingd­ienst die Passage mit Ghalis Aussage kurzfristi­g gelöscht.

Kritiker sehen darin einen weiteren Beweis, wie massiv Melonis Rechtsauße­n-Regierung bei der Rai intervenie­rt. Seit ihrem Amtsantrit­t im Herbst 2022 hatte sie – ebenso wie Regierunge­n vor ihr – die Führungsri­ege des öffentlich-rechtliche­n Senders ausgetausc­ht, viele kritische Journalist­en haben seitdem gekündigt.

„Keine Zeit für solche Dinge“

Wie verunsiche­rt Rai-Mitarbeite­r sind, zeigte sich bei einer beliebten TV-Sonntagssh­ow. Zu Gast bei der bekannten Moderatori­n waren mehrere Sanremo-Stars, darunter der Sänger Dargen D’Amico. Er hatte ein Lied über die Flüchtling­skrise gesungen. Als er sagte, Italien gebe weniger für Geflüchtet­e aus, als Migranten ins Sozialsyst­em einzahlten, wurde die Moderatori­n nervös. „Wir sprechen hier über Musik“, sagte sie. „Wir haben keine Zeit für andere Dinge.“

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[Imago/Terenghi] Rapper Ghali in Sanremo.

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