Wie der Gaza-Konflikt Italiens Song Contest einholte
Beim Sanremo-Festival solidarisierte sich ein Rapper mit Palästina. Die Rai entschuldigte sich, worauf ihr Chef mit Mord bedroht wurde.
Egal, was gerade in der Welt passiert: Vier Tage im Februar ist Italien im Sanremo-Songfestival-Fieber, das Gespräche und Schlagzeilen dominiert. In der Blumenstadt an der ligurischen Riviera feiert sich seit 74 Jahren der ItaloPop, junge und alte, bekannte und unbekannte Talente singen und tanzen vor einem Millionenpublikum. Der Siegersong wird zum Ohrwurm des Jahres.
Doch heuer holte die NahostKrise die glitzernde Festivalwelt ein und warf dunkle Schatten über die Show. Denn nach seinem Aufritt rief der italo-tunesische Rapper Ghali ins Publikum: „Stoppt den Genozid in Palästina.“
Die Aussagen Ghalis lösten einen Riesenwirbel aus. Umgehend meldete sich auf X Israels Botschafter in Rom zu Wort. Es sei eine Schande, dass die Bühne von Sanremo dazu missbraucht werde, „Hass und Provokationen auf unverantwortliche und oberflächliche Weise zu verbreiten“. Er erinnerte an die Morde, Vergewaltigungen und Entführungen der Hamas. Und bedauerte: In Sanremo hätte man die Solidarität mit Israel und den Geiseln der Hamas zum Ausdruck bringen können.
Scharfe Kritik kam auch von Senatspräsident Ignazio La Russa der rechtsnationalen Regierungspartei Fratelli d’Italia. Der enge Vertraute von Premierministerin Giorgia Meloni, die in der Gaza-Krise eine klar proisraelische Haltung eingenommen hat, beklagte: Die Aussage Ghalis sei ein „sehr trauriger Moment“des Festivals gewesen. Der Moderator hätte den Sänger einbremsen sollen, sagte der Politiker.
Polizeischutz und Gewalt
Die Führungsspitze des öffentlichrechtlichen Senders Rai, der das Festival live ausstrahlt, ging sogleich in die Defensive. Der Chef des Verwaltungsrats, Roberto Sergio, ließ im TV eine Erklärung verlesen: „Jeden Tag berichten unsere Nachrichten und Programme über die Tragödie der Geiseln in den Händen der Hamas und erinnern an das Massaker an Kindern, Frauen und Männern am 7. Oktober. Meine Solidarität mit dem israelischen Volk und der jüdischen Gemeinschaft ist von Herzen.“
Seine Worte lösten eine neue Wutwelle aus. Auf sozialen Medien zirkulierten Angriffe gegen Sergio und die Rai, viele schimpften empört über „Zensur“. Die Hasswelle wird zunehmend lebensgefährlich: Sergio und seine Familie erhielten auch direkte Morddrohungen. Und die sind offenbar glaubhaft: Das Innenministerium stellte Sergio unter Polizeischutz.
Und die Straße kocht. Linke Gruppen und propalästinensische Bewegungen demonstrieren seit Wochenbeginn in mehreren Städten vor Rai-Redaktionen. In Neapel kam es zu Zusammenstößen zwischen Polizisten und Demonstranten, es gab mehrere Verletzte.
In den nächsten Tagen sind weitere Proteste geplant. Befeuert wird die Kritik an der Rai durch Medienberichte, der Sender habe in seinem Streamingdienst die Passage mit Ghalis Aussage kurzfristig gelöscht.
Kritiker sehen darin einen weiteren Beweis, wie massiv Melonis Rechtsaußen-Regierung bei der Rai interveniert. Seit ihrem Amtsantritt im Herbst 2022 hatte sie – ebenso wie Regierungen vor ihr – die Führungsriege des öffentlich-rechtlichen Senders ausgetauscht, viele kritische Journalisten haben seitdem gekündigt.
„Keine Zeit für solche Dinge“
Wie verunsichert Rai-Mitarbeiter sind, zeigte sich bei einer beliebten TV-Sonntagsshow. Zu Gast bei der bekannten Moderatorin waren mehrere Sanremo-Stars, darunter der Sänger Dargen D’Amico. Er hatte ein Lied über die Flüchtlingskrise gesungen. Als er sagte, Italien gebe weniger für Geflüchtete aus, als Migranten ins Sozialsystem einzahlten, wurde die Moderatorin nervös. „Wir sprechen hier über Musik“, sagte sie. „Wir haben keine Zeit für andere Dinge.“