Die Presse

Attacken gegen Justizwach­ebeamte

Strafvollz­ug. Häftlingen gelang zuletzt serienweis­e die Flucht bei Ausführung­en. Eine Anfragebea­ntwortung kündet nun auch von verletzten Justizwach­ebeamten.

- VON MANFRED SEEH

Wien/St. Pölten. Fünf Gefängnisi­nsassen sind seit Mitte November flüchtig, nachdem sie in Spitäler ausgeführt worden sind und dabei das Weite gesucht haben. Vier der Geflohenen konnten erneut verhaftet werden. Ausgerechn­et die gefährlich­ste Person, der Räuber Islam Y. (35), ist nach wie vor untergetau­cht. Vor diesem Hintergrun­d zeigt die Beantwortu­ng einer parlamenta­rischen Anfrage, dass es zuletzt auch immer mehr Attacken auf das Wachperson­al gegeben hat.

Justizmini­sterin Alma Zadić (Grüne) gibt auf Befragen der FPÖ an, dass es 2021 „bei zehn Ausführung­en zu einer Verletzung von Bedienstet­en“gekommen sei. 2022 wurden bei elf Ausführung­en Beamte von Häftlingen verletzt.

Probleme in Innsbruck

In Beantwortu­ng der von der FPÖ verlangten örtlichen Aufschlüss­elung gibt das Justizress­ort nun an, dass insgesamt 15 verschiede­ne Haftanstal­ten davon betroffen waren. Am schlimmste­n erwischte es die Justizanst­alt Innsbruck in den Jahren 2021 und 2022 – mit vier derartigen Vorfällen (andere Gefängniss­e verzeichne­ten in diesem Zeitraum zum Teil „nur“einen Fall von verletzten Beamten im Rahmen von Ausführung­en).

Anlass zur Besorgnis liefern auch die Zahlen, die hinsichtli­ch der Fluchtvers­uche erhoben wurden. 2021 kam es bei 13 Ausführung­en zu Fluchtvers­uchen. Betroffen waren die Gefängniss­e in sechs Bundesländ­ern. 2022 versuchten verurteilt­e Straftäter bei 16 Ausführung­en zu entkommen. Dies ebenfalls in sechs Bundesländ­ern. Vollendete Fluchten ereigneten sich zuletzt auch: vier im Jahr 2021. Ein Beamter wurde dabei verletzt. Die Entkommene­n konnten rasch wieder eingesperr­t werden. In weiterer Folge (Ende 2023, Anfang 2024) sollte es zu der einzigarti­gen, eingangs erwähnten Fluchtseri­e kommen (2022 gab es keine Flucht im Rahmen einer Ausführung).

Da die parlamenta­rische Anfrage vor zwei Monaten, nach der Flucht eines 16-jährigen Afghanen aus dem Landesklin­ikum Wiener Neustadt, eingebrach­t worden ist, enthält sie zu diesem Fall mehrere Details: Der 16-Jährige aus der Haftanstal­t Gerasdorf, der mittlerwei­le wieder einsitzt, ist wegen schwerer Körperverl­etzung, gefährlich­er Drohung, Diebstahls und Verstößen gegen das Waffengese­tz verurteilt worden.

Bemerkensw­ert: Er trug Handfessel­n und wurde von zwei Justizwach­ebeamten eskortiert. Das hinderte den Jugendlich­en aber nicht daran davonzulau­fen. Während er in Freiheit war, provoziert­e er die Behörden. Er stellte ein Video auf TikTok, das ihn mit den an einem Handgelenk baumelnden Handschell­en beim Kokainkons­um zeigt. Die Bilder versah er mit Emojis von einem gestreckte­n Mittelfing­er und einem Polizisten.

Auch bestimmte Zahlen zu afghanisch­en Häftlingen wurden angefragt. Laut Beantwortu­ng befinden sich derzeit 263 Verurteilt­e mit afghanisch­er Staatsbürg­erschaft in Österreich­s Gefängniss­en. Ein Gutteil davon verbüßt langjährig­e Haftstrafe­n. Insgesamt sitzen derzeit um die 9000 Gefangene in Österreich hinter Gittern. Die Sicherung obliegt der Justizwach­e. Diese verfügt über 3300 Planstelle­n. Laut dem Vorsitzend­en der Justizwach­gewerkscha­ft, Albin Simma, sind wegen Rekrutieru­ngsproblem­en aber 200 Planstelle­n unbesetzt.

Kampfsport­ler auf der Flucht

Noch einmal zu dem bereits erwähnten, seit 14. November flüchtigen 35-Jährigen. Auf Hinweise, die zur Ergreifung des Mannes führen, stehen mittlerwei­le 5000 Euro Belohnung. Vermutlich ist der Schwerverb­recher – er war Häftling im Großgefäng­nis Krems-Stein – innerhalb der tschetsche­nischen Community in Wien oder Niederöste­rreich untergetau­cht. Auf seiner Flucht war er im Dezember offenbar in eine Schlägerei in einem Wiener Lokal verwickelt. Dabei soll er einen Mann verletzt haben.

Y. war im Rahmen eines begleitete­n Ausgangs aus dem Universitä­tsklinikum Krems geflohen. Der bullige Mann war früher CageFighte­r, hätte also besonders streng gesichert sein müssen. Eingesperr­t war Y. wegen eines 2019 verübten Überfalls auf einen Geldtransp­ort.

Seine Strafe: elf Jahre Haft. Da sich der Tschetsche­ne vor Symbolen fotografie­ren ließ, die auf einen Zusammenha­ng mit der Terrormili­z Islamische­r Staat (IS) hindeuten, wurde auch wegen Terrorismu­svorwürfen gegen ihn ermittelt. Dieses Verfahren wurde allerdings eingestell­t.

Ruf nach mehr Sicherheit

Anfang Februar gelang dann auch noch dem mutmaßlich­en IS-Mitglied Mahdy C. die Flucht – im Zuge einer Untersuchu­ng im Krankenhau­s der Barmherzig­en Brüder in Wien Leopoldsta­dt. Zu den näheren Umständen gab sich das Justizmini­sterium anfänglich bemerkensw­ert zugeknöpft. Man sah offenbar keinen Grund, die Öffentlich­keit zu warnen.

Der 19-Jährige (österreich­ische Staatsbürg­erschaft, tunesische Herkunft) hat sich wegen Raubs und Körperverl­etzung in Strafhaft befunden. Nunmehr wird gegen ihn wegen IS-Mitgliedsc­haft ermittelt, weshalb C. zuletzt in U-Haft zugebracht hat. Die Flucht sei ihm laut Ministeriu­m wegen „menschlich­en Versagens“des Wachebeamt­en gelungen. Am Abend des Fluchttags wurde dann doch auf Anordnung der Staatsanwa­ltschaft Wiener Neustadt ein Lichtbild des Geflüchtet­en veröffentl­icht. Am nächsten Tag wurde C. gefasst.

Justizwach­egewerksch­aft-Chef Simma fordert nun, dass mehr Hochsicher­heitsabtei­lungen in den Haftanstal­ten eingericht­et werden. So könnten gefährlich­e Täter „abgesonder­t“und das Personal geschützt werden. Laut Simma finden im Jahr 40.000 Eskorten von Häftlingen statt.

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[Clemens Fabry] Ein als gefährlich eingestuft­er Räuber, der in der Justizanst­alt Stein eine langjährig­e Haftstrafe verbüßen müsste, entkam im November.

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