Droht uns wirklich bald die neue Eiszeit?
Alarmismus ist ein schlechter Ratgeber. In Klimafragen schadet er häufig der Wirtschaft schwer, ohne dem Klima wirklich zu nutzen. Ein bisschen mehr Pragmatismus wäre die eindeutig bessere Klimastrategie.
Haben Sie sich auch erschreckt? Der Golfstrom, haben wir in den vergangenen Tagen wieder einmal gelesen, nähert sich laut einer neuen niederländischen Studie dem Kipppunkt und werde versiegen. Vielleicht schon in den nächsten Jahrzehnten, wobei die aktuelle Studie allerdings, wie „Die Presse“im Gegensatz zu anderen berichtet hat, den Zeitraum offenlässt. Mit fatalen Folgen für Europa: Die Temperatur fällt um bis zu 30 Grad. Das bedeutet das Ende der Landwirtschaft und der Wirtschaft in der gewohnten Form in Teilen des Kontinents.
Gruselig, aber nicht neu. Die (berechtigten) Warnungen vor einer Abschwächung des Golfstroms tauchen seit den 1970er-Jahren regelmäßig auf. Besonders heftig um die Jahrtausendwende im Gefolge des Katastrophenfilms „The Day after Tomorrow“. Aber auch in einer (von einigen Wissenschaftlern allerdings heftig kritisierten) Studie aus dem vorjährigen Sommer, die den Zusammenbruch der nordatlantischen Zirkulation schon in einem Zeitraum von 2025 bis 2095 terminisiert. Und damit in ziemlichem Gegensatz zum 6. Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC steht, der Derartiges für das 21. Jahrhundert jedenfalls ausschließt. Ganz abgesehen von anderen Studien, die einen möglichen Zusammenbruch des Golfstroms erst in 1000 bis 3000 Jahren sehen.
Also was jetzt, werden wir jetzt verglühen oder erfrieren? Immerhin stammen ja alle diese zum Teil auch sehr gegensätzlichen Thesen von renommierten Wissenschaftlern und sind peer-reviewed (also von anderen Wissenschaftlern auf Plausibilität abgecheckt) in seriösen Wissenschaftsjournalen publiziert worden.
Die Antwort lautet: Sie wissen es nicht. Und wir schon gar nicht. Alle diese Aussagen beruhen auf Modellrechnungen. Deren Ergebnis hängt nicht nur von der Qualität der Modelle ab, sondern auch von den Annahmen, mit denen diese gefüttert werden. Solche Modelle, die ja auch in anderen Bereichen, etwa in der Wirtschaftsforschung verwendet werden, sind ein sehr wertvolles Instrument bei der Projektion künftiger Entwicklungen. Aber sie haben ihre Grenzen. In Sachen Klimamodelle beschreibt die Akademie der Naturwissenschaften der Schweiz diese sehr prägnant: Klimamodelle könnten einzelne Aspekte wie die langfristige Entwicklung von globaler Temperatur sehr gut abbilden. Sie hätten jedoch große Mühe, den Wasserkreislauf oder Veränderungen von meist sehr komplexen Strömungsmustern korrekt wiederzugeben.
Der deutsche Komplexitätsforscher Niklas Boers etwa kommentierte die vorjährige Eiszeit-Studie so: „Amoc (das ist die nordatlantische Zirkulation, der Golfstrom ist ein Teil davon, Anm.) ist langsamer geworden und hat an Stabilität verloren. Alles andere ist Spekulation.“Das ist zwar nicht beruhigend, hört sich aber schon anders an, als die im Boulevard gelesene Schlagzeile „Kipppunkt nahe – Atlantikströmung steht vor Kollaps“.
Wissenschaftler wissen um diese Schwächen von Modellrechnungen und handeln danach (außer sie sind als Aktivisten unterwegs, was leider immer öfter vorkommt). Medien und Politik funktionieren oft anders. Die einen neigen manchmal dazu – in der Klimadiskussion besonders eindrucksvoll zu beobachten –, auf der Jagd nach Reichweiten überzogenen Alarmismus zu betreiben. Und die anderen lassen sich von diesem Alarmismus auf der Jagd nach Wählerstimmen in manchmal sehr physikfernen Aktionismus treiben.
Das ist ein sehr europäisches Phänomen und schadet der Wirtschaft extrem. Die eindrucksvolle Art, in der es etwa die deutsche Ampelregierung geschafft hat, die früher stärkste Wirtschaft des Kontinents durch unüberlegte, ideologiegetriebene Maßnahmen wie etwa die missglückte Energiewende binnen weniger Jahre an die Wand zu fahren und von der Spitze der europäischen Wachstumsliga auf den letzten Platz durchzureichen, legt davon reichlich Zeugnis ab. Wobei sich selbst die Industrie vom Alarmismus hat anstecken lassen. Wenn man sieht, mit welcher Verve die deutsche Autoindustrie den politisch verordneten kurzfristigen Ausstieg aus der Verbrennertechnologie verfolgt hat, und wie kleinlaut jetzt die Chefs beispielsweise von BMW oder Mercedes wieder die Kehrtwende versuchen, seit sie gesehen haben, wie die chinesische Konkurrenz parallel zu ihrer Elektroautooffensive die europäische Domäne „Verbrennertechnologie“übernimmt und weiterentwickelt, dann ahnt man, wohin das führt.
Vielleicht wäre es besser, mit den modellierten Daten der Wissenschaft gleich vernünftig umzugehen: Wir wissen gesichert, dass die globale Durchschnittstemperatur steigt und dass zumindest deren viel zu rasche Zunahme ganz wesentlich mit menschengemachten CO2-Emissionen zu tun hat. Und wir wissen auch, dass das eine Reihe von gravierenden Auswirkungen hat. Wie etwa die durch die globale Erwärmung bedingte, bereits messbare Abschwächung des Golfstroms, der eine Art Wärmepumpe für Nordeuropa darstellt. Wir wissen aber nicht, wann es kritisch wird. Das geben die Modelle nicht her. Wir wissen also, dass wir dagegenhalten müssen und dass mittelfristig ein Ausstieg aus dem fossilen Zeitalter unabdingbar ist. Es geschieht ja auch schon einiges, vor allem in der industrialisierten Welt.
Es hat aber keinen Sinn, sich durch Alarmismus der Marke „Wir werden morgen alle sterben“, zu dem durchaus seriöse Studien in der politischen Diskussion von Aktivisten dann aufgeblasen werden, in unüberlegte Maßnahmen zu stürzen, die der Wirtschaft schaden, ohne dem Klima auch nur in irgendeiner Form zu nutzen. Negativbeispiele liefert auch hier unser nördlicher Nachbar, wo gerade die energieintensive Industrie, aber auch andere Industriezweige in größerem Stil vor hausgemachten hohen Energiepreisen und unerfüllbaren Auflagen ins Ausland flüchten. Wenn Chemieriesen Produktion in die USA verlagern oder etwa Miele Haushaltsgeräte künftig in Polen herstellt, dann hilft das zwar der deutschen Klimabilanz, aber nicht dem Klima. Denn die globale Nachfrage nach diesen Produkten sinkt deshalb ja nicht.
Wohl aber senkt das à la longue den Wohlstand im Land. Das ist die größte Gefahr: Die Akzeptanz von Klimaschutz sinkt in dem Ausmaß, in dem dieser durch überzogen radikale Maßnahmen zu sehr ins Leben der Bürger eingreift. Das lässt sich in einer Demokratie nicht machen. Linksradikale DegrowthTräume sind nicht mehrheitsfähig.
Es gibt Länder wie China, die einen pragmatischen Ansatz versuchen. Auf Dauer ist das wohl erfolgversprechender. Was uns jedenfalls nicht hilft, ist regelmäßig wiederkehrender Alarmismus und daraus abgeleitete undurchdachte Hektik.