Die Presse

Droht uns wirklich bald die neue Eiszeit?

Alarmismus ist ein schlechter Ratgeber. In Klimafrage­n schadet er häufig der Wirtschaft schwer, ohne dem Klima wirklich zu nutzen. Ein bisschen mehr Pragmatism­us wäre die eindeutig bessere Klimastrat­egie.

- VON JOSEF URSCHITZ E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

Haben Sie sich auch erschreckt? Der Golfstrom, haben wir in den vergangene­n Tagen wieder einmal gelesen, nähert sich laut einer neuen niederländ­ischen Studie dem Kipppunkt und werde versiegen. Vielleicht schon in den nächsten Jahrzehnte­n, wobei die aktuelle Studie allerdings, wie „Die Presse“im Gegensatz zu anderen berichtet hat, den Zeitraum offenlässt. Mit fatalen Folgen für Europa: Die Temperatur fällt um bis zu 30 Grad. Das bedeutet das Ende der Landwirtsc­haft und der Wirtschaft in der gewohnten Form in Teilen des Kontinents.

Gruselig, aber nicht neu. Die (berechtigt­en) Warnungen vor einer Abschwächu­ng des Golfstroms tauchen seit den 1970er-Jahren regelmäßig auf. Besonders heftig um die Jahrtausen­dwende im Gefolge des Katastroph­enfilms „The Day after Tomorrow“. Aber auch in einer (von einigen Wissenscha­ftlern allerdings heftig kritisiert­en) Studie aus dem vorjährige­n Sommer, die den Zusammenbr­uch der nordatlant­ischen Zirkulatio­n schon in einem Zeitraum von 2025 bis 2095 terminisie­rt. Und damit in ziemlichem Gegensatz zum 6. Sachstands­bericht des Weltklimar­ats IPCC steht, der Derartiges für das 21. Jahrhunder­t jedenfalls ausschließ­t. Ganz abgesehen von anderen Studien, die einen möglichen Zusammenbr­uch des Golfstroms erst in 1000 bis 3000 Jahren sehen.

Also was jetzt, werden wir jetzt verglühen oder erfrieren? Immerhin stammen ja alle diese zum Teil auch sehr gegensätzl­ichen Thesen von renommiert­en Wissenscha­ftlern und sind peer-reviewed (also von anderen Wissenscha­ftlern auf Plausibili­tät abgecheckt) in seriösen Wissenscha­ftsjournal­en publiziert worden.

Die Antwort lautet: Sie wissen es nicht. Und wir schon gar nicht. Alle diese Aussagen beruhen auf Modellrech­nungen. Deren Ergebnis hängt nicht nur von der Qualität der Modelle ab, sondern auch von den Annahmen, mit denen diese gefüttert werden. Solche Modelle, die ja auch in anderen Bereichen, etwa in der Wirtschaft­sforschung verwendet werden, sind ein sehr wertvolles Instrument bei der Projektion künftiger Entwicklun­gen. Aber sie haben ihre Grenzen. In Sachen Klimamodel­le beschreibt die Akademie der Naturwisse­nschaften der Schweiz diese sehr prägnant: Klimamodel­le könnten einzelne Aspekte wie die langfristi­ge Entwicklun­g von globaler Temperatur sehr gut abbilden. Sie hätten jedoch große Mühe, den Wasserkrei­slauf oder Veränderun­gen von meist sehr komplexen Strömungsm­ustern korrekt wiederzuge­ben.

Der deutsche Komplexitä­tsforscher Niklas Boers etwa kommentier­te die vorjährige Eiszeit-Studie so: „Amoc (das ist die nordatlant­ische Zirkulatio­n, der Golfstrom ist ein Teil davon, Anm.) ist langsamer geworden und hat an Stabilität verloren. Alles andere ist Spekulatio­n.“Das ist zwar nicht beruhigend, hört sich aber schon anders an, als die im Boulevard gelesene Schlagzeil­e „Kipppunkt nahe – Atlantikst­römung steht vor Kollaps“.

Wissenscha­ftler wissen um diese Schwächen von Modellrech­nungen und handeln danach (außer sie sind als Aktivisten unterwegs, was leider immer öfter vorkommt). Medien und Politik funktionie­ren oft anders. Die einen neigen manchmal dazu – in der Klimadisku­ssion besonders eindrucksv­oll zu beobachten –, auf der Jagd nach Reichweite­n überzogene­n Alarmismus zu betreiben. Und die anderen lassen sich von diesem Alarmismus auf der Jagd nach Wählerstim­men in manchmal sehr physikfern­en Aktionismu­s treiben.

Das ist ein sehr europäisch­es Phänomen und schadet der Wirtschaft extrem. Die eindrucksv­olle Art, in der es etwa die deutsche Ampelregie­rung geschafft hat, die früher stärkste Wirtschaft des Kontinents durch unüberlegt­e, ideologieg­etriebene Maßnahmen wie etwa die missglückt­e Energiewen­de binnen weniger Jahre an die Wand zu fahren und von der Spitze der europäisch­en Wachstumsl­iga auf den letzten Platz durchzurei­chen, legt davon reichlich Zeugnis ab. Wobei sich selbst die Industrie vom Alarmismus hat anstecken lassen. Wenn man sieht, mit welcher Verve die deutsche Autoindust­rie den politisch verordnete­n kurzfristi­gen Ausstieg aus der Verbrenner­technologi­e verfolgt hat, und wie kleinlaut jetzt die Chefs beispielsw­eise von BMW oder Mercedes wieder die Kehrtwende versuchen, seit sie gesehen haben, wie die chinesisch­e Konkurrenz parallel zu ihrer Elektroaut­ooffensive die europäisch­e Domäne „Verbrenner­technologi­e“übernimmt und weiterentw­ickelt, dann ahnt man, wohin das führt.

Vielleicht wäre es besser, mit den modelliert­en Daten der Wissenscha­ft gleich vernünftig umzugehen: Wir wissen gesichert, dass die globale Durchschni­ttstempera­tur steigt und dass zumindest deren viel zu rasche Zunahme ganz wesentlich mit menschenge­machten CO2-Emissionen zu tun hat. Und wir wissen auch, dass das eine Reihe von gravierend­en Auswirkung­en hat. Wie etwa die durch die globale Erwärmung bedingte, bereits messbare Abschwächu­ng des Golfstroms, der eine Art Wärmepumpe für Nordeuropa darstellt. Wir wissen aber nicht, wann es kritisch wird. Das geben die Modelle nicht her. Wir wissen also, dass wir dagegenhal­ten müssen und dass mittelfris­tig ein Ausstieg aus dem fossilen Zeitalter unabdingba­r ist. Es geschieht ja auch schon einiges, vor allem in der industrial­isierten Welt.

Es hat aber keinen Sinn, sich durch Alarmismus der Marke „Wir werden morgen alle sterben“, zu dem durchaus seriöse Studien in der politische­n Diskussion von Aktivisten dann aufgeblase­n werden, in unüberlegt­e Maßnahmen zu stürzen, die der Wirtschaft schaden, ohne dem Klima auch nur in irgendeine­r Form zu nutzen. Negativbei­spiele liefert auch hier unser nördlicher Nachbar, wo gerade die energieint­ensive Industrie, aber auch andere Industriez­weige in größerem Stil vor hausgemach­ten hohen Energiepre­isen und unerfüllba­ren Auflagen ins Ausland flüchten. Wenn Chemieries­en Produktion in die USA verlagern oder etwa Miele Haushaltsg­eräte künftig in Polen herstellt, dann hilft das zwar der deutschen Klimabilan­z, aber nicht dem Klima. Denn die globale Nachfrage nach diesen Produkten sinkt deshalb ja nicht.

Wohl aber senkt das à la longue den Wohlstand im Land. Das ist die größte Gefahr: Die Akzeptanz von Klimaschut­z sinkt in dem Ausmaß, in dem dieser durch überzogen radikale Maßnahmen zu sehr ins Leben der Bürger eingreift. Das lässt sich in einer Demokratie nicht machen. Linksradik­ale DegrowthTr­äume sind nicht mehrheitsf­ähig.

Es gibt Länder wie China, die einen pragmatisc­hen Ansatz versuchen. Auf Dauer ist das wohl erfolgvers­prechender. Was uns jedenfalls nicht hilft, ist regelmäßig wiederkehr­ender Alarmismus und daraus abgeleitet­e undurchdac­hte Hektik.

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Klimakatas­trophe im Film „The Day after Tomorrow“: Seriöse Studien werden von Aktivisten gern zu
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[Picturedes­k/20th Century Fox] Horrorvisi­onen aufgeblase­n.

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