Das Wolfsburger Xinjiang-Dilemma
Wieder einmal steht VW wegen seines Xinjiang-Geschäfts unter Erklärungsnot. Der Vorwurf der Zwangsarbeit lässt sich allerdings auch als Chance begreifen – für einen längst überfälligen Rückzug aus der Uiguren-Region.
Peking. Wie illegale Schmugglerware wurden die Autos an den US-Häfen festgesetzt: Über 13.000 Fahrzeuge der VW-Marken Audi, Porsche und Bentley dürfen vorübergehend nicht ausgeliefert werden. Denn wie die „Financial Times“berichtete, haben die Behörden bei Routine-Inspektionen ein elektronisches Bauteil aus „Westchina“bemerkt, das gegen das Gesetz gegen Zwangsarbeit verstoßen würde.
Mit „Westchina“ist die Uiguren-Region Xinjiang gemeint. Dort hat die chinesische Regierung Hunderttausende Angehörige der muslimischen Minderheit in Internierungslager gesperrt. Und dort betreibt Volkswagen mit seinem chinesischen Joint-Venture-Partner SAIC eine Fabrik – eine fragwürdige Standortwahl, die mutmaßlich auf Druck der chinesischen Regierung zustande gekommen ist.
Den Wolfsburgern hat das Werk bislang nur Ärger eingebracht. Erst vor wenigen Monaten ließ VW die Fabrik in einem Audit auf mögliche Zwangsarbeit untersuchen, doch dabei wurde eine Teststrecke im Ort Turpan ausgeklammert. Genau dort soll es beim Bau Menschenrechtsverstöße gegeben haben, wie das deutsche „Handelsblatt“von einem VW-Mitarbeiter erfuhr.
Die Journalisten weihten den Xinjiang-Experten Adrian Zenz ein. Der 50-Jährige stützt seine Vorwürfe auf offizielle, auf den Internetseiten der chinesischen Baufirmen publizierte Dokumente. So haben sich die Konzerne laut eigenen Angaben nicht nur an staatlichen Überwachungsmaßnahmen gegen Uiguren beteiligt, sondern auch an den Programmen zur „Armutsbekämpfung“. Zehntausende Uiguren wurden von den Umerziehungslagern in Fabriken transferiert, um wieder in die Arbeitswelt eingegliedert zu werden – mutmaßlich unter Zwang.
„Wir wollen da raus“
Volkswagen steht damit wieder einmal unter Erklärungszwang. Wie das Unternehmen am Mittwoch mitgeteilt hat, prüfe man „verschiedene Szenarien“zur „künftigen Ausrichtung der Geschäftsaktivitäten“in Xinjiang. Dabei steht zumindest inoffiziell auch ein Rückzug zur Option: „Wir wollen da raus“, zitierte die „Süddeutsche Zeitung“einen Konzernmitarbeiter.
Pekings Reaktion fiel erwartbar aus. Das chinesische Außenministerium bezeichnete auf Anfrage der französischen Nachrichtenagentur AFP die Vorwürfe als „Lügen“. So war es auch bei den Arbeitslagern – bis die Beweise durch Satellitenfotos und Berichte zu erdrückend wurden. Seither spricht Peking von „Ausbildungszentren“. Und macht Druck auf westliche Unternehmen: Wer Kritik äußert, dem wird der Zugang zum Markt von 1,4 Milliarden Chinesen entzogen.
Doch die Strategie zieht nicht mehr. Noch 2019 erklärte der damalige Vorstandschef Herbert Diess bei der Automesse Shanghai einem BBC-Korrespondenten, von den Umerziehungslagern in Xinjiang nichts zu wissen. Die Folge war ein PR-Fiasko. Teil der neuen Kommunikation war nun auch eine Untersuchung des eigenen Werks in Xinjiang, die man trotz massiven Drucks aus China durchsetzte.
Riskiert man Vertragsbruch?
„VW hat sich lang genug der Verantwortung für seine Mitschuld an den Menschenrechtsverletzungen entzogen“, sagt Dolksun Isa, Präsident des in München ansässigen Weltkongresses der Uiguren. Das Unternehmen sollte sich aus der Region zurückziehen, fordert der 56-jähriirreperabel ge Aktivist. Und hinter den Kulissen ist längst offensichtlich, dass VW das auch möchte.
Doch man hat gehofft, man könne den bestehenden Vertrag auslaufen lassen. Ein offener Vertragsbruch könnte zu Vergeltungsmaßnahmen führen. Die gab es schon aus geringeren Anlässen: Der schwedische Textilkonzern H&M etwa verschwand über Monate aus allen chinesischen Shopping-Apps, weil er wegen Zwangsarbeitsbedenken keine Baumwolle mehr aus Xinjiang bezieht.
Doch es gibt Grund zur Annahme, dass es für VW nicht so schlimm wird. Nachdem Chinas Beziehungen zu den USA nahezu beschädigt sind, kann es sich die Parteiführung nicht leisten, nun auch die Europäer – den wichtigsten Handelspartner – zu vergraulen. VW ist dort zudem aufgrund der Joint-Venture-Struktur de facto ein halb chinesisches Unternehmen. Ein Boykottaufruf wäre auch ein Schuss ins eigene Knie.
Erst kürzlich hat es der Chemieriese BASF vorgemacht: Zum chinesischen Neujahr kündigte er an, sich von den Anteilen an zwei Joint Ventures in der Uiguren-Region zu trennen. Der befürchtete Volkszorn blieb bislang aus. Ganz offensichtlich wollten sich die Leute die festliche Stimmung zum Jahr des Drachen nicht verderben lassen.