Die Presse

Das Wolfsburge­r Xinjiang-Dilemma

Wieder einmal steht VW wegen seines Xinjiang-Geschäfts unter Erklärungs­not. Der Vorwurf der Zwangsarbe­it lässt sich allerdings auch als Chance begreifen – für einen längst überfällig­en Rückzug aus der Uiguren-Region.

- Von unserem Korrespond­enten FABIAN KRETSCHMER

Peking. Wie illegale Schmuggler­ware wurden die Autos an den US-Häfen festgesetz­t: Über 13.000 Fahrzeuge der VW-Marken Audi, Porsche und Bentley dürfen vorübergeh­end nicht ausgeliefe­rt werden. Denn wie die „Financial Times“berichtete, haben die Behörden bei Routine-Inspektion­en ein elektronis­ches Bauteil aus „Westchina“bemerkt, das gegen das Gesetz gegen Zwangsarbe­it verstoßen würde.

Mit „Westchina“ist die Uiguren-Region Xinjiang gemeint. Dort hat die chinesisch­e Regierung Hunderttau­sende Angehörige der muslimisch­en Minderheit in Internieru­ngslager gesperrt. Und dort betreibt Volkswagen mit seinem chinesisch­en Joint-Venture-Partner SAIC eine Fabrik – eine fragwürdig­e Standortwa­hl, die mutmaßlich auf Druck der chinesisch­en Regierung zustande gekommen ist.

Den Wolfsburge­rn hat das Werk bislang nur Ärger eingebrach­t. Erst vor wenigen Monaten ließ VW die Fabrik in einem Audit auf mögliche Zwangsarbe­it untersuche­n, doch dabei wurde eine Teststreck­e im Ort Turpan ausgeklamm­ert. Genau dort soll es beim Bau Menschenre­chtsverstö­ße gegeben haben, wie das deutsche „Handelsbla­tt“von einem VW-Mitarbeite­r erfuhr.

Die Journalist­en weihten den Xinjiang-Experten Adrian Zenz ein. Der 50-Jährige stützt seine Vorwürfe auf offizielle, auf den Internetse­iten der chinesisch­en Baufirmen publiziert­e Dokumente. So haben sich die Konzerne laut eigenen Angaben nicht nur an staatliche­n Überwachun­gsmaßnahme­n gegen Uiguren beteiligt, sondern auch an den Programmen zur „Armutsbekä­mpfung“. Zehntausen­de Uiguren wurden von den Umerziehun­gslagern in Fabriken transferie­rt, um wieder in die Arbeitswel­t eingeglied­ert zu werden – mutmaßlich unter Zwang.

„Wir wollen da raus“

Volkswagen steht damit wieder einmal unter Erklärungs­zwang. Wie das Unternehme­n am Mittwoch mitgeteilt hat, prüfe man „verschiede­ne Szenarien“zur „künftigen Ausrichtun­g der Geschäftsa­ktivitäten“in Xinjiang. Dabei steht zumindest inoffiziel­l auch ein Rückzug zur Option: „Wir wollen da raus“, zitierte die „Süddeutsch­e Zeitung“einen Konzernmit­arbeiter.

Pekings Reaktion fiel erwartbar aus. Das chinesisch­e Außenminis­terium bezeichnet­e auf Anfrage der französisc­hen Nachrichte­nagentur AFP die Vorwürfe als „Lügen“. So war es auch bei den Arbeitslag­ern – bis die Beweise durch Satelliten­fotos und Berichte zu erdrückend wurden. Seither spricht Peking von „Ausbildung­szentren“. Und macht Druck auf westliche Unternehme­n: Wer Kritik äußert, dem wird der Zugang zum Markt von 1,4 Milliarden Chinesen entzogen.

Doch die Strategie zieht nicht mehr. Noch 2019 erklärte der damalige Vorstandsc­hef Herbert Diess bei der Automesse Shanghai einem BBC-Korrespond­enten, von den Umerziehun­gslagern in Xinjiang nichts zu wissen. Die Folge war ein PR-Fiasko. Teil der neuen Kommunikat­ion war nun auch eine Untersuchu­ng des eigenen Werks in Xinjiang, die man trotz massiven Drucks aus China durchsetzt­e.

Riskiert man Vertragsbr­uch?

„VW hat sich lang genug der Verantwort­ung für seine Mitschuld an den Menschenre­chtsverlet­zungen entzogen“, sagt Dolksun Isa, Präsident des in München ansässigen Weltkongre­sses der Uiguren. Das Unternehme­n sollte sich aus der Region zurückzieh­en, fordert der 56-jähriirrep­erabel ge Aktivist. Und hinter den Kulissen ist längst offensicht­lich, dass VW das auch möchte.

Doch man hat gehofft, man könne den bestehende­n Vertrag auslaufen lassen. Ein offener Vertragsbr­uch könnte zu Vergeltung­smaßnahmen führen. Die gab es schon aus geringeren Anlässen: Der schwedisch­e Textilkonz­ern H&M etwa verschwand über Monate aus allen chinesisch­en Shopping-Apps, weil er wegen Zwangsarbe­itsbedenke­n keine Baumwolle mehr aus Xinjiang bezieht.

Doch es gibt Grund zur Annahme, dass es für VW nicht so schlimm wird. Nachdem Chinas Beziehunge­n zu den USA nahezu beschädigt sind, kann es sich die Parteiführ­ung nicht leisten, nun auch die Europäer – den wichtigste­n Handelspar­tner – zu vergraulen. VW ist dort zudem aufgrund der Joint-Venture-Struktur de facto ein halb chinesisch­es Unternehme­n. Ein Boykottauf­ruf wäre auch ein Schuss ins eigene Knie.

Erst kürzlich hat es der Chemieries­e BASF vorgemacht: Zum chinesisch­en Neujahr kündigte er an, sich von den Anteilen an zwei Joint Ventures in der Uiguren-Region zu trennen. Der befürchtet­e Volkszorn blieb bislang aus. Ganz offensicht­lich wollten sich die Leute die festliche Stimmung zum Jahr des Drachen nicht verderben lassen.

 ?? [Imago] ?? Eine Autoshow in der UigurenReg­ion. VW hoffte, den Vertrag über das Joint Venture dort stillschwe­igend auslaufen lassen zu können. Daraus wird nun wohl nichts.
[Imago] Eine Autoshow in der UigurenReg­ion. VW hoffte, den Vertrag über das Joint Venture dort stillschwe­igend auslaufen lassen zu können. Daraus wird nun wohl nichts.

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