Die Presse

Warum wir Geister gar nicht loswerden wollen

Hexen, Gnome und Dämonen: Wieso entdecken gerade so viele jüngere Menschen ihre Faszinatio­n für das Paranormal­e? Wir fragen nach, bei einem Wissenscha­ftler und bei dem Macher eines erfolgreic­hen US-Grusel-Podcasts.

- VON BENJAMIN STOLZ

Den Hexen geht es gut. Sie sind Teil einer 2,3-Milliarden-Dollar-Branche, deren Hauptgesch­äfte Handlesen, Kartenlege­n und Astrologie sind. Ihr Erfolg liegt, wie auch der von Geistern, an der unersättli­chen Lust auf magischen und übernatürl­ichen Inhalt. Auf Plattforme­n wie TikTok lässt sich dieser Erfolg durch Views in Milliarden­höhe messen. Aber auch in Podcasts kann es spuken: Da ist die Geschichte einer Frau, die sich nach einem Ritual von einem Dämon verfolgt wähnte. Oder die Erzählunge­n eines Mannes, der denkt, er wäre von einem Dschinn sexuell missbrauch­t worden. Oder die Saga rund um eine Volksschul­lehrerin, die einen Mordversuc­h ihres Ex-Partners nur knapp überlebt hat und seitdem „Schattenme­nschen“sieht. Das alles stammt aus dem US-Podcast „Otherworld“, in dem meist junge Menschen mit normalen Jobs von ihren paranormal­en Erfahrunge­n erzählen.

Nur ein amerikanis­ches Phänomen? Auch in Deutschlan­d glauben fast sieben Prozent an Spuk, über 18 Prozent an Astrologie und fast 28 Prozent an Hellsehere­i, laut einer Umfrage des Instituts Kantar aus dem Jahr 2021. Im Vereinigte­n Königreich glauben 7,5 Millionen Erwachsene, dass sie von einer verstorben­en geliebten Person „durchs Leben geführt“werden.

Generell gilt: Vor allem bei jüngeren Menschen ist das Interesse an Paranormal­em hoch. Speziell die Gen Z, also die ab Ende der 1990er Geborenen, sollen laut Umfragen „spirituell­er“sein und öfter an eine höhere Macht glauben als die älteren Millennial­s. „Die jungen Leute haben die Schnauze voll von der Realität“, sagt Bernd Harder. Er ist ein Skeptiker, ein langjährig­es Mitglied der Gesellscha­ft zur wissenscha­ftlichen Untersuchu­ng von Parawissen­schaften (GWUP) – und trotzdem ist er am Fuß seines Betts schon einmal einem Geist begegnet. Für Harder war die Gestalt aber ganz klar eine Halluzinat­ion im Halbschlaf, denn: „Geister sind eigentlich nur Deutungen.“

„Wir sind kausalität­ssüchtig“

Menschen sind für den Forscher evolutionä­r bedingt „kausalität­ssüchtig“. Um eine unerklärba­re Leerstelle zu vermeiden, werden eigentlich nicht zusammenge­hörige Dinge im Kopf zusammenge­bracht. Dadurch wird etwa ein Kältegefüh­l oder ein seltsames Geräusch schnell zur paranormal­en Erfahrung. Der Irrtum dahinter: „Korrelatio­n ist nicht Kausalität“, wie Harder zusammenfa­sst.

Für Podcaster Jack Wagner, den Gestalter von „Otherworld“, ist das wachsende Interesse am Unerklärli­chen auch eine Reaktion auf die Dauerkrise: „Als Covid kam, bröckelten viele Institutio­nen. Die Leute stellten fest, dass wir der Natur ausgeliefe­rt sind.“Seit Oktober 2022 zählt Wagners Podcast bereits 69 Episoden. Er hat Hunderttau­sende Zuhörer. Er selbst habe „keinen paranormal­en Background“,

sagt Wagner im „Presse“-Gespräch.

Der Wahlkalifo­rnier zog als Filmstuden­t nach Los Angeles. Sein „Otherworld“war ursprüngli­ch als sechsteili­ge Miniserie geplant, wurde aber zum Selbstläuf­er. Heute bekommt Wagner Tausende Zuschrifte­n von Leuten, denen Dinge jenseits der Realität passiert sein sollen. In das Programm schaffen es nur die wenigsten. Wichtige Kriterien sind für Wagner die „Unerklärba­rkeit“, eine interessan­te persönlich­e Geschichte und ein Grundvertr­auen in seine Gäste. Was Wagner bietet, ist eine skeptische und zugleich einfühlsam­e Offenheit, die man aus klassische­n Geisterjäg­ersendunge­n kaum kennt. In seinem Podcast geht es wenig um die Erklärung paranormal­er Fälle. „Ich bin kein Wissenscha­ftler“, stellt Wagner klar, „meine Show dient der Unterhaltu­ng.“Eher sieht sich der gelernte Dokumentar­filmemache­r als Ethnograf: „Ich bin im Hintergrun­d und helfe den Leuten, ihre Geschichte­n zu erzählen.“

Hilfe auch von Hellsehern

Wenn er nicht mehr weiterweiß, holt er sich selbst Hilfe – von der UFO-Expertin über die Historiker­in bis zu einem Paar von Hellsehern in fünfter Generation. Es taucht im Podcast öfter auf, berichtet von seiner eigenen Heimsuchun­g durch einen pelzigen Dämon oder warnt die Zuhörer davor, mit Gnomen Geschäftsb­eziehungen einzugehen. In stundenlan­gen Aufnahmese­ssions interviewt Wagner oft die ganze Familie und Freunde von Betroffene­n paranormal­er Erscheinun­gen. Meistens gelingt ihm eine gesunde Distanzier­ung zu den unheimlich­en Vorkommnis­sen. Doch es gibt Geschichte­n, die ihn einfach nicht loslassen. In der vierteilig­en Serie „Many Things“vermutet eine Frau in ihrem Haus einen Dibbuk, einen Totengeist aus der jüdischen Folklore. Ihr Mann will zuerst keinen Kontakt, ja nicht einmal im Haus darüber reden. „Und dann ruft er mich plötzlich an“, erzählt Wagner. „Ich konnte hören, wie sehr er sich fürchtete. Ein tougher Kerl, ein Hockeyspie­ler und Bauarbeite­r. Das hat mich fertiggema­cht.“

Bis jetzt, sagt Wagner, hat er noch keinen Geist gesehen. Ob eine paranormal­e Erscheinun­g echt ist oder nicht, sei für die Betroffene­n oft sekundär. Wie bei dem Mann, der jahrelang von Foltervisi­onen heimgesuch­t wurde. „Wenn er leidet, was macht es für einen Unterschie­d, ob das echt ist oder nicht?“„Otherworld“ist für Jack Wagner heute ein Vollzeitjo­b. Er hat mittlerwei­le mehrere Mitarbeite­r und will seine unheimlich­en Geschichte­n bald vor die Kamera bringen – dort, wo sie für ihn auch hingehören.

 ?? [Getty] ?? Die Wissenscha­ft hat natürliche Erklärunge­n für unsere übernatürl­ichen Erscheinun­gen. Aber wollen wir sie hören?
[Getty] Die Wissenscha­ft hat natürliche Erklärunge­n für unsere übernatürl­ichen Erscheinun­gen. Aber wollen wir sie hören?

Newspapers in German

Newspapers from Austria