Warum wir Geister gar nicht loswerden wollen
Hexen, Gnome und Dämonen: Wieso entdecken gerade so viele jüngere Menschen ihre Faszination für das Paranormale? Wir fragen nach, bei einem Wissenschaftler und bei dem Macher eines erfolgreichen US-Grusel-Podcasts.
Den Hexen geht es gut. Sie sind Teil einer 2,3-Milliarden-Dollar-Branche, deren Hauptgeschäfte Handlesen, Kartenlegen und Astrologie sind. Ihr Erfolg liegt, wie auch der von Geistern, an der unersättlichen Lust auf magischen und übernatürlichen Inhalt. Auf Plattformen wie TikTok lässt sich dieser Erfolg durch Views in Milliardenhöhe messen. Aber auch in Podcasts kann es spuken: Da ist die Geschichte einer Frau, die sich nach einem Ritual von einem Dämon verfolgt wähnte. Oder die Erzählungen eines Mannes, der denkt, er wäre von einem Dschinn sexuell missbraucht worden. Oder die Saga rund um eine Volksschullehrerin, die einen Mordversuch ihres Ex-Partners nur knapp überlebt hat und seitdem „Schattenmenschen“sieht. Das alles stammt aus dem US-Podcast „Otherworld“, in dem meist junge Menschen mit normalen Jobs von ihren paranormalen Erfahrungen erzählen.
Nur ein amerikanisches Phänomen? Auch in Deutschland glauben fast sieben Prozent an Spuk, über 18 Prozent an Astrologie und fast 28 Prozent an Hellseherei, laut einer Umfrage des Instituts Kantar aus dem Jahr 2021. Im Vereinigten Königreich glauben 7,5 Millionen Erwachsene, dass sie von einer verstorbenen geliebten Person „durchs Leben geführt“werden.
Generell gilt: Vor allem bei jüngeren Menschen ist das Interesse an Paranormalem hoch. Speziell die Gen Z, also die ab Ende der 1990er Geborenen, sollen laut Umfragen „spiritueller“sein und öfter an eine höhere Macht glauben als die älteren Millennials. „Die jungen Leute haben die Schnauze voll von der Realität“, sagt Bernd Harder. Er ist ein Skeptiker, ein langjähriges Mitglied der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) – und trotzdem ist er am Fuß seines Betts schon einmal einem Geist begegnet. Für Harder war die Gestalt aber ganz klar eine Halluzination im Halbschlaf, denn: „Geister sind eigentlich nur Deutungen.“
„Wir sind kausalitätssüchtig“
Menschen sind für den Forscher evolutionär bedingt „kausalitätssüchtig“. Um eine unerklärbare Leerstelle zu vermeiden, werden eigentlich nicht zusammengehörige Dinge im Kopf zusammengebracht. Dadurch wird etwa ein Kältegefühl oder ein seltsames Geräusch schnell zur paranormalen Erfahrung. Der Irrtum dahinter: „Korrelation ist nicht Kausalität“, wie Harder zusammenfasst.
Für Podcaster Jack Wagner, den Gestalter von „Otherworld“, ist das wachsende Interesse am Unerklärlichen auch eine Reaktion auf die Dauerkrise: „Als Covid kam, bröckelten viele Institutionen. Die Leute stellten fest, dass wir der Natur ausgeliefert sind.“Seit Oktober 2022 zählt Wagners Podcast bereits 69 Episoden. Er hat Hunderttausende Zuhörer. Er selbst habe „keinen paranormalen Background“,
sagt Wagner im „Presse“-Gespräch.
Der Wahlkalifornier zog als Filmstudent nach Los Angeles. Sein „Otherworld“war ursprünglich als sechsteilige Miniserie geplant, wurde aber zum Selbstläufer. Heute bekommt Wagner Tausende Zuschriften von Leuten, denen Dinge jenseits der Realität passiert sein sollen. In das Programm schaffen es nur die wenigsten. Wichtige Kriterien sind für Wagner die „Unerklärbarkeit“, eine interessante persönliche Geschichte und ein Grundvertrauen in seine Gäste. Was Wagner bietet, ist eine skeptische und zugleich einfühlsame Offenheit, die man aus klassischen Geisterjägersendungen kaum kennt. In seinem Podcast geht es wenig um die Erklärung paranormaler Fälle. „Ich bin kein Wissenschaftler“, stellt Wagner klar, „meine Show dient der Unterhaltung.“Eher sieht sich der gelernte Dokumentarfilmemacher als Ethnograf: „Ich bin im Hintergrund und helfe den Leuten, ihre Geschichten zu erzählen.“
Hilfe auch von Hellsehern
Wenn er nicht mehr weiterweiß, holt er sich selbst Hilfe – von der UFO-Expertin über die Historikerin bis zu einem Paar von Hellsehern in fünfter Generation. Es taucht im Podcast öfter auf, berichtet von seiner eigenen Heimsuchung durch einen pelzigen Dämon oder warnt die Zuhörer davor, mit Gnomen Geschäftsbeziehungen einzugehen. In stundenlangen Aufnahmesessions interviewt Wagner oft die ganze Familie und Freunde von Betroffenen paranormaler Erscheinungen. Meistens gelingt ihm eine gesunde Distanzierung zu den unheimlichen Vorkommnissen. Doch es gibt Geschichten, die ihn einfach nicht loslassen. In der vierteiligen Serie „Many Things“vermutet eine Frau in ihrem Haus einen Dibbuk, einen Totengeist aus der jüdischen Folklore. Ihr Mann will zuerst keinen Kontakt, ja nicht einmal im Haus darüber reden. „Und dann ruft er mich plötzlich an“, erzählt Wagner. „Ich konnte hören, wie sehr er sich fürchtete. Ein tougher Kerl, ein Hockeyspieler und Bauarbeiter. Das hat mich fertiggemacht.“
Bis jetzt, sagt Wagner, hat er noch keinen Geist gesehen. Ob eine paranormale Erscheinung echt ist oder nicht, sei für die Betroffenen oft sekundär. Wie bei dem Mann, der jahrelang von Foltervisionen heimgesucht wurde. „Wenn er leidet, was macht es für einen Unterschied, ob das echt ist oder nicht?“„Otherworld“ist für Jack Wagner heute ein Vollzeitjob. Er hat mittlerweile mehrere Mitarbeiter und will seine unheimlichen Geschichten bald vor die Kamera bringen – dort, wo sie für ihn auch hingehören.