So holt man den Rand in die Mitte
Grotesk, drastisch, unkonventionell: Von der Schönheit der Vielfalt will eine neue Ausstellung überzeugen. Was gelingt, dank wunderbarer Neuentdeckungen.
In den Museumssammlungen des geopolitischen Westens dominieren Werke weißer Männer. Frauen und nicht westliche Kulturen finden darin meist nur in den Motiven Raum. Gern folgt die Auswahl dabei noch dem großen Kanon, berühmte Namen lassen kaum Platz für wenig Bekanntes – wofür besonders die Albertina in Wien mit den „Von Monet bis Picasso“-Ausstellungen bekannt ist. Umso erfreulicher ist die neue Schau in der Albertina modern im Künstlerhaus am Karlsplatz. Denn hier steht die „Schönheit der Vielfalt“zur Diskussion.
Schönheit? Vielfalt? Sind das nicht zwei Konzepte, die in der Moderne mit der radikalen Reduktion und den engen Stilen vertrieben worden sind? Seither beherrscht beinahe eine Angst vor Schönheit die Kunst. Dem setzt jetzt Kuratorin Angela Stief einen starken Begriff entgegen: Sie spricht in ihrer Ausstellung mit mehr als 40 Künstlern und Künstlerinnen von einer „diversen Schönheit“– das eignet sich als neues Schlagwort!
Denn es inkludiert gleich mehrere neue Annahmen. Obwohl ein Großteil der Werke aus der ehemaligen Essl-Sammlung und auch der – laufend aktualisierten – Haselsteiner-Privatsammlung stammt, stehen hier die aktuellsten Themen zur Diskussion, von Genderfragen über indigene Positionen bis zu Außenseitertum. Identitätspolitische Aspekte, also Fragen zum eigenen Geschlecht
und anderen Zugehörigkeiten, werden hier nicht kämpferisch als Forderungen formuliert – das können Aktivisten besser. Hier werden sie ästhetisch in Szene gesetzt, mit grotesken Figuren, drastischen Bildmotiven und unkonventionellen Kompositionen.
Fratzen und Puppen
Dabei vermischt Kuratorin Angela Stief Pioniere wie die Feministinnen Miriam Cahn und Cindy Sherman mit Neuentdeckungen – an denen diese Ausstellung wunderbar reich ist. Da sind die Pappmaché-Wandobjekte von Verena Bretschneider. Ihre Fratzen erinnern an die Karnevalszüge ihrer Wahlheimat Köln, die transgeschlechtliche Aspekte mit Schamanismus vereinen. Fast konträr dazu die 1981 in Pakistan geborene, auf Mallorca lebende Aicha Khorchid, die ihre traumatischen Kindheitserlebnisse als Autodidaktin in großformatigen Malereien verarbeitet.
Auf Stefanie Erjautz wurde Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder durch Zufall aufmerksam – und begeisterte sich sofort für die bühnenhaften Puppen-Ensembles der 1932 geborenen, 2019 in Graz verstorbenen Autodidaktin. Auch Elena Koneff ist im Kunstmarkt bisher kaum bekannt. Die 1939 in Moskau geborene Künstlerin zog 1979 nach Wien. Heute lebt sie in Höflein. Ihre tiefschwarzen, reliefartigen Wandbilder aus Kordeln, Gummi und Harz von 1978 sind in der Schau mit Werken von australischen Indigenen kombiniert, die mit ihren Bildern immer auch Wissen weitergeben – eine inhaltlich wenig überzeugende Zusammenstellung.
Aber die „diverse Ästhetik“steht noch am Anfang, was die Ausstellung mit den dreizehn bemühten Kapiteln unfreiwillig demonstriert. Denn die „neuen Identitäten abseits des Kanons“, wie es im Wandtext heißt, müssen sich so konventionellen Schlagworten wie „Puppenspiele“oder „Hybride Formen“unterordnen. Aber das sei verziehen angesichts des beeindruckenden Drangs zur Vielfalt in Stilen, Herkunft und Bekanntheitsgraden. Eine der zentralen Aufgaben eines Museums ist die Sichtbarmachung von gesellschaftlichen Werten. Das geschieht hier: Was gestern noch als Rand wahrgenommen wurde, wird prominent ins Licht gerückt. Ein weittragender Umbruch. Denn hier wird die so oft geforderte Diversität institutionalisiert, vergesellschaftet – und damit verankert.