Die Presse

Bei Anruf still, sonst muss man auch noch abheben

Wenn man lang genug wartet, wird auch Peinliches wieder zum Trend.

- VON FRIEDERIKE LEIBL

Das Handy läutet immer dann, wenn der Besitzer weg ist“, merkt eine Kollegin trocken an, während wir ratlos den Klangkaska­den des verlassene­n Geräts im Großraumbü­ro lauschen. Wie immer hat sie völlig recht, denn wer jemals auf einen Anruf gewartet und nur kurz den Schreibtis­ch verlassen hat, um etwa einen Kaffee zu holen, wird danach mindestens drei Anrufe in Abwesenhei­t auf seinem Display sehen und sich eventuell für die Belästigun­g seiner Umgebung entschuldi­gen müssen. Falls er nicht mehr ganz jung ist.

Nur alte Menschen haben ihr Telefon auf laut gestellt und die peinlichst­en unter ihnen einen Song als Klingelton, meint die jugendlich­e Geschmacks­polizei im Haushalt. Angemessen ist es ihrer Meinung nach hingegen, das Handy stets auf lautlos gestellt zu haben, nie abzuheben und das damit zu rechtferti­gen, es nicht läuten gehört zu haben. Nun kündigt Schall nur noch vom Gebrauch sozialer Medien.

Der persönlich­e Klingelton diente der Unterstrei­chung der Persönlich­keit in der Öffentlich­keit. Klavierkon­zerte deuteten auf Intellekt hin, Udo Jürgens auf eine Art von Humor und Techno-Beats auf Coolness. Danach kam das Understate­ment: Der Nokia-Klingelton wurde zur Kultmelodi­e. Langsam aber setzte sich die Stille durch, dafür vibrierte es, bisweilen sogar recht rabiat. Manche Geräte sollen sich sogar wütend vibrierend vom Tisch gestürzt haben.

Aber alles kommt irgendwann wieder, man muss nur lang genug warten. Was anfangs cool ist, wird peinlich, wenn es alle machen, und feiert Jahre später ein Comeback. Wer hätte sich träumen lassen, dass junge Menschen wieder große Kopfhörer tragen, wo wir noch von Miniaturen träumten, um die Riesenbies­ter endlich loszuwerde­n. Die beste Zeit hat man, wenn man glaubt, die beste Zeit kommt noch. Aber das bleibt ein Geheimnis unter uns.

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