Die Presse

Von Dollfuß zum Austrofasc­hismus

Die kürzlich inszeniert­e Sabotage des Dollfuß-Museums verstößt gegen jeden sachlichen Umgang mit einer schwierige­n Materie.

- VON CARLO MOOS debatte@diepresse.com

Als Mitglied des Beirats zur Neukonzept­ion des Dollfuß-Museums in Texingtal habe ich die kürzlich inszeniert­e Sabotage des Projekts eines eigens dafür ernannten Teams wenig erstaunt, aber mit Empörung zur Kenntnis genommen, weil sie gegen jeden sachlichen Umgang mit einer schwierige­n Materie verstößt. Es scheint mir nicht hinnehmbar, dass unter Anführung des für das Museum zuständige­n Bürgermeis­ters einige Leihgeber im Umkreis der Dollfuß-Familie wie in einer Nacht-und-NebelAktio­n ein Projekt unterlaufe­n, mit dem keine ernsthafte Auseinande­rsetzung stattgefun­den hat oder je folgen wird.

Indessen hätte das von dem Team konsequent ausformuli­erte Szenarium einer konstrukti­ven Auflösung des Museums eine Diskussion verdient, gerade weil es zu Ende eines fünf Jahre langen vielseitig­en Wegs in ein leeres Gebäude geführt hätte. Die Entleerung haben die Dolfußiane­r nun ikonoklast­isch selbst angepackt und damit neue Fakten geschaffen. Man darf gespannt sein, was sie mit dem baufällige­n Haus, das dringend einer Sanierung bedarf, noch anstellen wollen.

In Zuschrifte­n etwa an die „Presse“wurde keineswegs das befremdlic­he Prozedere seitens der Gemeinde und der Familie kritisiert, wie man hätte erwarten können, sondern alles Mögliche am Projekttea­m und am Beirat, so eine postuliert­e Geldversch­leuderung, die bei der strukturie­rten Leeräumung des Hauses jedoch erheblich niedriger ausgefalle­n wäre als im Fall seiner Renovierun­g für eine allfällige Neufüllung.

Alte Polemik aufgewärmt

Besonders bemerkensw­ert scheint mir aber, dass in diesem Zusammenha­ng eine mittlerwei­le obsolet gewordene Polemik gegen den sogenannte­n Austrofasc­hismus wieder aufgewärmt wurde, bei dem es sich um ein Steckenpfe­rd linker Fanatiker handle. Nun: Die Dollfuß

Schuschnig­g-Diktatur gehört zeitlich unstreitig in den Faschismus-Kontext. Dass der Faschismus-Begriff damals „normal“war, dürfte sich nicht bezweifeln lassen, und er wird seither in einer immer breiter werdenden Literatur in einem allgemein (generisch) gedachten Wortsinn problemlos weiter eingesetzt.

Bahnbreche­nd war vor 60 Jahren Ernst Noltes „Faschismus in seiner Epoche“(1963), und in der Folge sind andere klangvolle Namen dazugekomm­en: chronologi­sch von Wolfgang Wippermann, Roger Griffin, Stanley Payne, Enzo Collotti über Emilio Gentile, Aristotle A. Kallis, Philip Morgan, Robert O. Paxton bis zu Anton Pelinka, der seinem Buchtitel „Faschismus“(2022) allerdings ein Fragezeich­en zugefügt hat.

Was die Dollfuß-Schuschnig­g-Diktatur direkt anbelangt, geriet sie aus vielen Gründen in Abhängigke­it vom Mussolini-Faschismus (man denke nur an die entwürdige­nde Szene des normal gekleidete­n Dollfuß neben Mussolini und Schwiegers­ohn Ciano in Badehosen am Strand von Riccione) und anschließe­nd – wegen Mussolinis Abdriften ins HitlerFahr­wasser – in die noch bedrängend­ere Abhängigke­it vom HitlerFasc­hismus, der das Schicksal der Ersten Republik endgültig besiegeln sollte.

Selbstvers­tändlich gab/gibt es Unterschie­de zwischen dem österreich­ischen, italienisc­hen und deutschen Faschismus, von Pelinka treffend eingefange­n in der qualifizie­renden Abfolge vom „real existieren­den“italienisc­hen zum deutschen „Faschismus, aber mehr“und dem österreich­ischen „Faschismus, aber weniger“. Dass sie alle in die Epoche des Faschismus gehören, ist schlicht ein Faktum. Insofern ist „Austrofasc­hismus“keine willkürlic­he Linksdefin­ition, sondern als österreich­ische Variante von Faschismus durchaus gängig.

Carlo Moos (* 1944) war Ordinarius für Geschichte der Neuzeit an der Universitä­t Zürich und ist seit 2010 emeritiert. Er ist Mitglied im Beirat des Dollfuß-Museums. E-Mails:

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