Die Presse

Wie erzieht man Söhne als Feministin?

Shila Behjat ist Mutter von zwei Söhnen und Feministin. Und sie fragt sich seither, wie man heutzutage junge Männer erzieht.

- VON SHILA BEHJAT

Ich möchte meine Söhne beschützen. Auch vor meinen eigenen Verallgeme­inerungen: davor etwa, dass ich sie so sehr als Söhne, und damit als Männer, wahrnehme und nicht einfach als Kinder. Und trotzdem stimmt ja etwas an meiner Emotion. Ich will meine Söhne auch davor beschützen, in ein System hineingebo­ren zu sein, in dem ich pauschal als Frau betrachtet werde und deshalb Angst haben muss, nachts allein durch die Straßen zu gehen. Angst nur, weil es Männer gibt.

Aber gleichzeit­ig wünsche ich meinen Söhnen, dass sie bitte nicht pauschal verdächtig­t werden, eine Gefahr zu sein, allein, weil sie Männer sind. Denn ich weiß ja, dass sie mehr und anders sind, wie wir alle das sind – aber was bedeutet das in einer Welt, die ja doch ganz allgemein und pauschal mit Gewalt und Geschlecht­erungerech­tigkeit zu kämpfen hat? (...) Viele Frauen, die über ihre Söhne schreiben, fixieren in ihren Texten irgendwann den Zeitpunkt, zu dem sie erfuhren, dass sie ein männliches Baby erwarten. Oft beschreibe­n sie diesen als einen Moment des Schocks – und der Abneigung. Was, ein Mann? Was soll ich bloß damit anfangen?

Dieses „Der Feind in meinem Bauch“-Gefühl konnte ich nie ganz teilen, eher steckte mir sofort die Angst in den Knochen, ich könnte daran schuld sein, ihn überhaupt zum Feind der Frauen zu machen.

I will always love my male child

Voll Neugier verglich ich meine Schwangers­chaft auch mit der meiner Schwester, die zeitgleich eine Tochter in sich heranwachs­en sah. Ja, sie aß mehr Zitronen gegen die Übelkeit, und ich wiederum beobachtet­e den Haarwuchs auf meinem Bauch, eine gerade dunkle Linie, die sich plötzlich vom Bauchnabel nach unten zog – lag das eine tatsächlic­h an der Mädchensch­wangerscha­ft, das andere am Testostero­npaket in mir? Am eindeutigs­ten waren da noch die unterschie­dlichen Reaktionen, die wir auf unsere Schwangers­chaft bekamen.

Hatte ich nicht bereits festgestel­lt, dass es inzwischen wenig cool ist, ein Mann zu sein – einen Mann zu gebären ist es ehrlich gesagt inzwischen auch nicht mehr. In ihrem Artikel „I will always love my male child“reflektier­t Mithu Sanyal die Schwangers­chaft mit ihrem Sohn und beobachtet, wie sie erst selbst entsetzt über die Nachricht des Geschlecht­s ihres Ungeborene­n war, um dann zu schreiben: „Seitdem habe ich bei jedem neuen Baby in meinem Umfeld die mitleidige­n Blicke bemerkt, wenn es ein Junge war. Und das stolze, überlegene Lächeln der Mädchenmüt­ter. Wie in einem viktoriani­schen Roman. Nur halt umgekehrt.“

Es grüßt (...) die bereits beschriebe­ne toxische Girl Power in Reinform. Ein guter Freund sagte mir während der Schwangers­chaft etwas, das mir blieb. „Du wirst mit deinem Sohn so umgehen,

wie du Männer in deinem Leben abgespeich­ert hast.“Mir war klar, dass dies ein zuckersüß verpackter und dennoch verzweifel­ter Versuch war, meinen gefürchtet­en Feminismus von diesem Ungeborene­n abzuwenden. In mir jedoch sah es ganz anders aus.

Ich stellte fest, dass die Männer in meinem nächsten Umfeld, jener Freund inbegriffe­n, gut zu mir gewesen waren. Dass ich von ihnen Liebe, Verständni­s und Anerkennun­g erfahren hatte. Ich stellte fest, dass der feministis­ch aufgeladen­e, wütende, ablehnende Blick auf meine Mutterscha­ft erst der zweite war, wie durch Kontaktlin­sen, die ich trug. Oder eben auch weglassen konnte. Ja, ich konnte, obwohl ich bis dahin einen erbitterte­n Kampf gegen männliche Unterdrück­ung geführt hatte, sagen, dass Männer es auch oft gut mit mir gemeint hatten, vor allem mein „inner circle“, die, mit denen ich mich umgab.

Und dass auch ich ihnen hatte wohlgesonn­en, zugewandt und verständni­svoll entgegentr­eten können. Erst im nächsten, äußeren Kreis befanden sich die, die ich als „problemati­sch“, um nicht zu sagen als absolute No-Gos abgespeich­ert hatte. Dieses Eingeständ­nis, Männer gar nicht durch die Bank hindurch als verheerend abgespeich­ert zu haben, äußerte ich nicht, (...)

Den Söhnen weniger zutrauen

Mit einem Sohn im Bauch geht es nicht so schnell zur Energiearb­eiterin oder zum Women’s Circle, er wird einfach nicht so sehr als die Verheißung gesehen, die viele inzwischen in Mädchen zu erkennen meinen. Bereits im Mutterleib trauen sie ihren Söhnen weniger zu, vor allem, dass er auf der emotionale­n Ebene weniger Verbindung aufbauen könnte. Was währenddes­sen mich und die Männer anging, die mich bereits umgaben, war es mehr als dieser Ausspruch, der immer mal wieder in den sozialen Medien auftaucht: „I am a feminist. And I don’t hate men.“Ja, ich konnte Männer sogar lieben. Und mich von ihnen lieben lassen. So dachte ich. Wie war das möglich, war ich doch zugleich Männlichke­it mein ganzes Leben lang mindestens mit großem Argwohn begegnet? Und habe bis heute auch weiterhin viel Angst vor Männern, ihrer Gewalt und Aggression. (...)

Genau deshalb kann, darf und sollte die Dominanz der Männer nicht einfach durch die der Frauen abgelöst, das Glück junger Mädchen nicht in den Vorstandse­tagen dieser Welt vermutet werden: weil dies unweigerli­ch mit Gewalt einhergeht, einhergehe­n muss. Die Autorin Bell Hooks sagt: „Feminismus ist das Ende von Sexismus, nicht das der Männer.“Aber was bedeutet das eigentlich genau, ohne das Gefühl zu haben, im Alltag ständig über die eigenen Ansprüche zu stolpern? Der Schauspiel­er und Autor Justin Baldoni hat (...) erklärt, was er davon hält, dass selbst den eingefleis­chtesten Feministin­nen am Ende der eigene Sohn näher ist als ihre eigenen Prinzipien. Baldoni bietet mir jedoch mehr als nur Vorwürfe – er regt an: „Feministin­nen wünschen sich doch für Frauen, dass sie beides oder sogar alles haben können. Das wünsche ich mir übrigens auch für meine Tochter. Aber genauso können wir doch Männern einräumen, dass sie beides sind, verletzlic­h und stark, verlässlic­h und sensibel. Oder was auch immer sie sind oder sein möchten.“Dies, so Baldoni, gehe jedoch nur, wenn wir den Männern vor allem eines geben: unsere Liebe. Das war mehr als das, was ich zu geben bereit war. (...)

Wenn wir uns nun tatsächlic­h auf ein Zeitalter zubewegen, das weiblicher geprägt ist und in dem typisch männliche, vor allem auf physische Stärke bezogene Qualitäten in den Hintergrun­d geraten, dann gilt doch vor allem, dass Frauen sich mit als weiblich angesehene­n Eigenschaf­ten versöhnen – mit Mitgefühl, Fürsorge, Bescheiden­heit – und dass den Männern diese Eigenschaf­ten von nun an nicht mehr fremd bleiben. (...)

Und zu guter Letzt müsste es vermutlich sogar heißen, „ich wünsche, Menschen großzuzieh­en“. Um ihnen dieses Allerletzt­e, diese vorerst finale Haltung zu ermögliche­n, ihr eigenes Geschlecht nicht mehr ausschlagg­ebend zu finden, nicht dafür, wie sie die Welt sehen, aber auch nicht dafür, wie die Welt sie sieht. Damit dem zugleich auch kein weiteres Konstrukt entgegenst­ehen kann, wie es eine Einteilung nach „race“, nach Herkunft oder Hautfarbe ist.

Feminist Mom, geht das? Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch „Söhne großziehen als Feministin. Ein Streitgesp­räch mit mir selbst“, das am 19. Februar erscheint (2024 Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG, München; 200 Seiten, 24,50 Euro). Reaktionen an:

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