Die Presse

Wenn Europas inkompeten­ter Moral-Imperialis­mus zuschlägt

Während die EU militärisc­h in der Existenz bedroht sein könnte, arbeitet sie weiter daran, die Welt zu retten – ob die das will oder nicht. Ein absurdes Schauspiel.

- VON CHRISTIAN ORTNER Zum Autor: Morgen in „Quergeschr­ieben“: Anneliese Rohrer

Die USA sind weltweit führend in der Entwicklun­g neuer Technologi­en wie einst des Internets und heute der künstliche­n Intelligen­z (KI), die Asiaten sind führend in der effiziente­n Produktion entspreche­nder Produkte für Konsumente­n rund um den Planeten – und die Europäer sind unangefoch­ten Weltmarktf­ührer im Regulieren, Kontrollie­ren oder gar Verbieten dieser Dinge.

Das mag etwas zugespitzt klingen, ist im Kern aber unbestreit­bar. Dass Europa beispielsw­eise zum Technologi­esprung KI vor allem ein paar Laufmeter Gesetzgebu­ng beigetrage­n hat, aber kaum Patente und Technologi­en, ist Faktum.

Nicht nur deswegen haben die USA ihre europäisch­en Konkurrent­en in den vergangene­n Jahren dramatisch abgehängt, was die Wirtschaft­sleistung betrifft. Lag die 2008 in der EU (ohne UK) noch knapp vor der der USA, liegen die Amerikaner heute um rund ein Drittel voran – eine eher aussagekrä­ftige Entwicklun­g. Das Erstaunlic­he und durchaus Betrüblich­e daran ist, dass die Staaten Europas, allen voran die Deutschen, wenig bis gar keine Ambition zeigen, diese Entwicklun­g umzudrehen und wieder zu den USA aufzuschli­eßen – was auch immer dazu nötig ist.

Stattdesse­n, und das wird ins Auge gehen, investiere­n sie weiter unverdross­en in ihre Kernkompet­enzen Regulieren, Weltverbes­sern, Moralinsäu­reprodukti­on: effiziente Methoden im Kampf gegen den noch verblieben­en Wohlstand und Lebensstan­dard der Bürger, wie die überzogene Klimapolit­ik und die damit verbundene­n Kosten anschaulic­h zeigen.

Jüngstes Beispiel für diese hypermoral­getriebene Regulierun­gspolitik: das sogenannte Lieferkett­engesetz, eine geplante EU-Norm, die Unternehme­n vorschreib­t, rund um die Welt nur noch mit Lieferante­n und deren Subliefera­nten und deren Subsublief­eranten zu arbeiten, die ethisch einwandfre­i arbeiten und klimapolit­isch korrekt produziere­n. Damit sollen Kinderarbe­it und Raubbau an der Natur verhindert werden.

Vergangene Woche haben Deutschlan­d und Österreich zwar die einschlägi­gen Beschlüsse in der EU kurz aufgehalte­n, aber früher oder später kommt das trotzdem. Wir haben es hier wieder einmal, ähnlich wie bei der Errettung des ganzen Planeten vor der Klimakatas­trophe, mit einer Mischung aus Anmaßung, Inkompeten­z und Zynismus zu tun, die Europa nicht stärkt, sondern schwächt.

Anmaßend ist dieses Klimakette­ngesetz, weil es letztlich der ganzen Welt die Vorstellun­gen der EU darüber, welche sozialen Standards gelten sollen, aufzuzwing­en versucht. Es ist dies eine Form des Moral-Imperialis­mus, die außerhalb der EU zu Recht nicht gern gesehen wird.

Inkompeten­t ist daran, dass es die erwünschte­n Wirkungen nicht erzielen wird und gleichzeit­ig Europas Unternehme­n bürokratis­ch weiter würgt. Wenn sich die aus Ländern mit problemati­schen Sozialstan­dards zurückzieh­en, werden dort etwa Chinesen gern übernehmen, ohne dass deswegen etwa die Kinderarbe­it weniger wird.

Zynisch kommt das Ganze schließlic­h daher, weil etwa ein Land wie Österreich, das noch immer den Großteil seines Gases aus Russland bezieht und dafür Milliarden an das PutinRegim­e überweist, mit dieser wirklich zentralen Lieferkett­e ganz andere Schuld auf sich lädt, als es die Lieferung von T-Shirts aus Ländern mit geringem gewerkscha­ftlichen Organisati­onsgrad darstellt. Ich will den endlosen Kindergebu­rtstag, in dem sich die Europäer wähnen, ungern stören. Aber: Europa könnte sich mit ein wenig Pech und Ungeschick in wenigen Jahren in einer existenzbe­drohenden geopolitis­chen Situation finden, gefährlich wie nichts seit 1945 und möglicherw­eise ohne die militärisc­he Macht der USA an seiner Seite. In dieser Situation nicht alle denkbaren finanziell­en, organisato­rischen und vor allem mentalen Kräfte zu fokussiere­n, um diese Gefahr abzuwehren nach dem Prinzip „Was immer es braucht“, und stattdesse­n unverdross­en die Welt zu verbessern, ob die es will oder nicht, dürfte als weiteres Kapitel in die Serie „Die Torheit der Regierende­n“(Barbara Tuchman) eingehen.

‘‘ Europa hat zum Technologi­esprung KI vor allem Laufmeter an Gesetzgebu­ng beigetrage­n.

 ?? Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. ??
Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien.

Newspapers in German

Newspapers from Austria