Die Presse

Wie ich 2010 den unbekannte­n Nawalny traf

Der Zufall führte mich in Nawalnys Moskauer Büro. Es entstand der erste große Artikel über ihn im Westen.

- VON EDUARD STEINER

Es war im Jahr 2010, Ende Februar. Ziemlich unwirtlich, wie meist zu dieser Jahreszeit in Moskau. Tiefer Schnee lag auf dem Trottoir vor dem Büro an der Ringstraße nahe dem Bahnhof Pawelezki. Die schmale Stiege hinauf war alles andere als stattlich. Und auch die Tür ohne Namensschi­ld ließ nicht erahnen, dass dahinter jener Mann saß, der damals öffentlich noch unbekannt bei den Großen schon für Unruhe sorgte und später zu Wladimir Putins Erzfeind werden sollte – ehe ihn dieser im Gefängnis verrecken ließ.

Das Innere von Alexei Nawalnys Büro war so, wie es von außen zu erwarten war. Karg, billiges Mobiliar. Auf dem Tisch des jungen Anwalts eine Teetasse mit der vielsagend­en Aufschrift „Russisches Leben“. Daneben ein Berg von Briefen.

Wir begrüßten uns freundlich, ein wenig fremdelten wir, schließlic­h wussten wir kaum etwas voneinande­r. Für Nawalny war es das erste Treffen mit einem westlichen Journalist­en, der größer über ihn schreiben wollte. Und mir war über ein paar Basisfakte­n hinaus nur bekannt, dass hier ein extrem mutiger Mann einen gefährlich­en Weg eingeschla­gen hatte.

Dass wir überhaupt so früh zusammenka­men, verdankte sich dem Umstand, dass wir gemeinsame Bekannte hatten, wovon ich lange nichts wusste. Diese riefen mich eines Tages an, ob ich nicht einmal über Nawalny schreiben wolle. „Warum über ihn?“, fragte ich. „Weil er für einen Russen Unerhörtes tut, und Konzerne, Behörden und Politik zunehmend auf ihn aufmerksam werden“, so die Antwort. „Und warum kommt ihr gerade auf mich?“, fragte ich weiter. „Einer wird im Westen der erste sein müssen.“

Der Hass auf das Regime

Das Unerhörte, das Nawalny damals tat, hatte mit Politik im engeren Sinn noch nichts zu tun. Der gerade einmal 33-Jährige kämpfte schon seit Jahren als Shareholde­rValue-Aktivist für die Rechte von Minderheit­saktionäre­n. Und das ging so: Für ein paar Tausend Dollar kaufte er sich Aktien russischer und oft auch staatliche­r Großkonzer­ne. So bekam er Zugang zu internen Informatio­nen und konnte auch an Aktionärsv­ersammlung­en teilnehmen. Dort mischte er den Betrieb auf wie keiner zuvor. „Wem gehört Surgutneft­egaz?“, fragte er etwa bei der Versammlun­g des viertgrößt­en Ölkonzerns, bei dem die Fäden in den Kreml zu führen schienen. Die Anwesenden waren baff. Navalny legte nach und fragte, warum die Dividenden so niedrig seien. „Ich hasse dieses Regime, weil es auf Korruption aufbaut und mein Land zerstört“, sagte Nawalny bei unserem ersten Gespräch.

Nach der Reihe kommen sie dran, die Staatskonz­erne. Gazprom, der Ölpipeline­monopolist Transneft, die zweitgrößt­e Bank VTB. Allen wird der Aktivist lästig. Denn er erzwingt nicht nur die Herausgabe von Informatio­nen, er macht sie auf seinem schon 2006 gestartete­n Blog des Website-Anbieters „Livejourna­l“auch publik. Dort erfährt man, dass ein Teil jener 500 Mio. Dollar, die Transneft als Ausgaben für Wohltätigk­eitszwecke auswies, an den Fonds „Kreml 9“für Mitarbeite­r der Präsidialw­ache im Kreml geflossen ist. Oder dass der Firmenwert bei Gazprom gemindert wurde, weil der Konzern Einkäufe zu überhöhten Preisen über Mittlerfir­men tätigte. Ende 2011 hat der Blog 55.000 Leser. Ein Medium, das der Kreml noch nicht im Griff hat. Und über das Nawalny sich als Pionier der Korruption­sbekämpfun­g etabliert.

Logik, Klarheit und Furor

Die Firmengefl­echte konnten einen schwindlig machen, die mir Nawalny auf der Tafel in seinem Büro aus dem Kopf heraus aufzeichne­te. Er sprach schnell, mit bestechend­er Logik und Klarheit – und zugleich mit dem Eifer eines Davids im Kampf gegen die Goliaths. Von einem seltenen „Furor“in seinem Charakter sollte einer seiner Mitstreite­r später sprechen.

Warum ich gerade jetzt über Nawalny schreibe, fragte mich ein Sprecher der VTB-Bank, die ich Ende Februar 2010 um einen Kommentar ersuchte, weil ihr nachgesagt wurde, dass sie hinter dem damals gestartete­n Blog http://anti-navalny.livejourna­l.com mit kompromitt­ierendem Material gegen Nawalny stehe, was sie dementiert­e. „Weil ich schon lang über ihn schreiben wollte“, sagte ich. Kurz nachdem ich den Artikel im Westen publiziert hatte, wurde der Anti-Nawalny-Blog abgedreht. Nawalny hatte zuvor auf seinem Blog um Leute gefragt, die meinen Artikel ins Russische übersetzen. Nawalnys Umgebung meinte, eine Bekannthei­t im Westen würde ihm etwas Schutz in Russland bringen.

Es muss drei Jahre später gewesen sein, als ich Nawalny, der inzwischen zum weltbekann­ten Politiker und zum Schrecken des Kreml geworden war, wegen eines Interviews anrief. Ich erreichte ihn auf Urlaub in Mexiko. Wir verschoben das Gespräch – und es sollte weitere zwei Jahre dauern, bis wir uns 2015 zum Interview trafen. Dann schon etwas weiter südlich des Moskauer Rings im modernen Büro seines Stabs. Wer alles vor dem Eingang zum Geheimdien­st gehörte, war mit freiem Auge nicht zu unterschei­den. Es sollte unser letztes Gespräch gewesen sein.

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