Filmfest Berlin: Ein letztes Mal ohne Feeling
Schwerer Start für die 74. Berlinale: Politische Debatten über AfD und Gaza-Krieg rauben Filmen und Stars das Rampenlicht. Das Kinoevent befindet sich im Abstiegskampf.
No Racism! No AfD!“Die Schilder, die am Donnerstagabend bei den 74. Filmfestspielen Berlin von ausstaffierter Prominenz in die Kameras gehalten wurden, sprachen eine deutliche Sprache. Ebenso wie Festival-Geschäftsleiterin Mariëtte Rissenbeek, die bei der Eröffnungsgala im Berlinale-Palast verkündete: „Hass steht nicht auf unserer Gästeliste!“Die Alternative für Deutschland und ihre Pläne, Menschen mit Migrationshintergrund zu deportieren, könne und wolle man nicht tolerieren.
Eine klare Abgrenzung, die für viele zu spät kam: Bis kurz vor Beginn der Berlinale waren Vertreter der AfD auf der Einladungsliste des größten deutschen Filmevents gestanden – wie Abgeordnete aller gewählten Parteien im Berliner Parlament. Als im Zuge einer breiteren Debatte über die politische Legitimität der AfD scharfe Kritik an diesem Umstand laut wurde, rechtfertigte sich die Festivalleitung mit besagter Formalität: „Das ist ein Fakt, und den müssen wir als solches akzeptieren“, hieß es vonseiten Rissenbeeks.
Doch die Kontroverse wuchs sich aus, der Druck stieg, und vergangene Woche legten Rissenbeek und ihr Co-Leiter Carlo Chatrian eine Kehrtwende ein. Alle fünf eingeladenen AfD-Politikerinnen und -Politiker wurden offiziell wieder ausgeladen: gerade noch rechtzeitig, um die Querele aus dem herkömmlichen Berlinale-Diskurs herauszuhalten. Die Slogans, die bei der Eröffnung am Donnerstag der Demokratie das Wort redeten, wurden vielerorts als „Protest“umschrieben – wirkten aber eher wie ein Versuch, die Debatte unter den roten Teppich zu kehren.
Wo bleibt die große Kinoparty?
Zumal es einige AfD-kritische Stimmen gibt, die die Ausladung für die demokratiepolitisch falsche Entscheidung halten: Selbst die Frage, wie man auf die Spaltung der Gesellschaft reagieren soll, spaltet bei der Berlinale. Die renommierte Veranstaltung startet heuer unter keinem guten Stern. Nicht nur der Umgang mit Reizthemen setzt ihr zu. Auch im Kontext der Topfestival-Trias Europas wirkt sie im Vergleich zu Cannes und Venedig zusehends weiter abgeschlagen. Das liegt weder an einem Mangel an Stars – allein bei der Eröffnung strahlten Matt Damon, Emily Watson und „Oppenheimer“Cillian Murphy im Blitzlichtgewitter – noch an der Qualität der Filme. Gerade die Nebensektionen halten in Berlin immer wieder Entdeckungen bereit.
Was fehlt, ist das Feeling: die Aura einer glamourösen, stimmungsvollen und publikumsfreundlichen Kinoparty, wie sie der von 2001 bis 2019 amtierende Berlinale-Direktor Dieter Kosslick gekonnt zu erzeugen verstand, sogar bei Schlechtwetter. Und wenn das Feeling fehlt, fehlen ganz schnell auch das Geld – und der Goodwill der Politik.
Diesem Gefühlsmanagement waren Chatrian und Rissenbeek, ungeachtet ihrer vielen Qualitäten, nicht gewachsen. Auch weil ihre Intendanz von Krisen wie Corona gebeutelt wurde. 2025 übergibt die Doppelspitze das Berlinale-Ruder an die US-Amerikanerin Tricia Tuttle; vorzeitig, wie manche meinen.
Heuer hat das Duo noch ein letztes Mal die Gelegenheit, mit seinem Programm die Welt zu retten, beim – so heißt es immer wieder – „politischsten“aller großen Filmfestivals. Keine leichte Aufgabe im Angesicht der globalen Lage. Dass etwa dem iranischen Regiegespann Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha die Ausreise zur Premiere ihres regimekritischen Wettbewerbsbeitrags „My Favourite Cake“verwehrt wurde, läuft heuer beinahe unter „business as usual“.
Lauter diskutiert wurde die Haltung der Berlinale zum Krieg in Gaza. In Verbindung mit der Boykottaktion „Strike Germany“, die Deutschland die Zensur propalästinensischer Meinungen vorwirft, zogen drei Filmemacher ihre Arbeiten aus der Sektion Forum Expanded zurück. Hinzu kam ein ähnlich gelagertes, u. a. auf Instagram veröffentlichtes Statement von Mitarbeitern und Vertragspartnern
des Festivals, das „stärkere institutionelle Stellungnahmen“für Waffenruhe in Gaza fordert. Das Event selbst nimmt in dieser Hinsicht eine diplomatische Position der Völkerverständigung ein: Ein Aviso im Jänner sprach „allen Opfern der humanitären Krisen in Nahost und darüber hinaus“Mitgefühl aus, pochte auf „die Kraft von Filmen und offenen Diskussionen“, Dialog zu fördern. Das Programm abseits des Wettbewerbs spiegelt das tatsächlich wider: Da findet sich „Holy Week“, ein Drama über keimenden Antisemitismus im Rumänien des 19. Jahrhunderts, Seite an Seite mit „No Other Land“, einem Dokumentarfilm über einen palästinensischen Aktivisten im Westjordanland.
Premiere für Beckermanns „Favoriten“
Dass die 74. Berlinale ihr hehres Bestreben einlösen wird, darf bezweifelt werden. Aber die Geste zählt mehr als nichts. Soziale Kohäsion kostet harte Arbeit: Das zeigt auch Ruth Beckermanns „Favoriten“. Das Doku-Porträt einer multikulturellen Volksschulklasse im gleichnamigen Wiener Gemeindebezirk wurde am Freitag in der Berlinale-Sektion „Encounters“uraufgeführt. Nicht immer gelingt es der Lehrerin, den Kindern im Film die Haltlosigkeit gewisser Vorurteile vor Augen zu führen. Aber sie gibt niemals auf.