Wenn Eltern Céline Dion fürchten
Yasmina Rezas Farce „James Brown trug Lockenwickler“wurde in Wien von Sandra Cervik flockig leicht mit einigem Klamauk inszeniert.
Ein Paradies für Leichtgläubige sind derzeit die Kammerspiele des Theaters in der Josefstadt. Wer die österreichische Erstaufführung von Yasmina Rezas neuem Stück besucht, sieht in großen Lettern Folgendes auf den Vorhang projiziert: „Céline Dion. Road to the South. World Tour“. Liebhaber angelsächsischer Schnulzen werden enttäuscht. Nicht die kanadische Sängerin tritt auf, sondern tatsächlich wird „James Brown trug Lockenwickler“gespielt.
Sandra Cervik lässt in ihrer Inszenierung fünf Darstellende den Mut zu Klamauk und diversen Klischees von Korrektheit ausleben. Das ist fast schon wieder hinterfotzig. Der Plot: Bei Familie Hutner herrscht Verstörung. Jacob (Julian Valerio Rehrl) hat bereits als Kind eine unstillbare Leidenschaft für Céline Dion entwickelt. Jetzt ist er erwachsen und hält sich für diesen Weltstar. Die Eltern Pascaline (Maria Köstlinger) und Lionel (Juergen Maurer) haben ihren Sohn in eine Heilanstalt bringen lassen. Dort freundet er sich mit Philippe (Dominic Oley) an, der sich als Schwarzer liest, obwohl er offensichtlich ein Weißer ist. Das Verhalten ihrer Psychiaterin (Alexandra Krismer) kommt den Eltern bald so sonderbar vor wie das der Patienten.
Alle in diesem Quintett scheinen nicht ganz normal – Pardon für dieses Reizwort! Wahrnehmungen sind in dieser französischen Farce generell infrage zu stellen. Offenbar geht es Reza um Vorgänge im Kopf. „Eine Klinik und deren Park (kein Realismus)“, lautet die erste Regieanweisung. Das hat auch Sabine Freude beim Bühnenbild beherzigt. Eine helle Gummizelle, zum Publikum hin offen. Schon hat Rehrl den ersten großen Auftritt, in wallendem Gewand (Kostüme: Aleksandra Kica), mit wehendem Haar und großen Gesten (Musik: Eva Jantschitsch). Der Feigensycorus wird „umgedreht“
Dann platzen die Eltern herein, der Sohn hockt auf dem Boden, sie verhalten sich, als ob er nicht da wäre. Pascaline schwärmt von der Zelle als angeblich gar nicht kleinem Zimmer. Auch habe es einen Blick ins Grüne. Köstlinger spielt das Komödiantische gelenkig, gibt die Schwärmerin, die auch rasch ins Depressive verfallen kann. Maurer stellt den Vater als höflichen Mann dar. Aber Vorsicht! Dahinter steckt großes cholerisches Potenzial.
Schon ist unbemerkt die Psychiaterin da. Krismer gibt sie als ein bizarres Kabinettstück. Mit jeder Bewegung, jeder Geste, jedem Räuspern vermittelt sie, dass sich diese dominante Person für die Norm hält, die Kranken aber in ihren Marotten bestärkt. Anfangs
bewahrt das Ehepaar gute Manieren, doch dann bricht die Tollerei auch bei ihnen aus. Und die Patienten? Sie entwickeln eine komplexe Beziehung, die von Zärtlichkeiten über subtiles bis plakatives Streben nach Dominanz reicht. Da behandelt Philippe seinen Feigensycorus wie einen Menschen, sorgt sich, weil er nur auf eine Seite wächst. Jacob: „Warum willst du ihn umdrehen? Das ist sein Leben, er ist eben so.“Solche Sätze sind mehrdeutig zu lesen. Reza scheint sich hinter ihnen zu verstecken. Man kann den Hintersinn als Verhöhnung oder als tiefes Verständnis für dekadente Sensibilitäten empfinden.
Die 95 Minuten lange Aufführung bleibt flockig leicht und vorwiegend fast heiter. Gesangseinlagen mit bekannten Melodien sind einschmeichelnd. Rühren kann die Sorge der Eltern, die sich immerzu schwertun, mit der Fantasiewelt Jacobs umzugehen. Wenn Lionel schließlich einen gewaltigen Wutanfall hat oder Pascaline ihren Gram endlich rauslässt, wirkt das therapeutisch befreiend. Der Psychiaterin bleibt hingegen jeder Zweifel offenbar fremd. Ihre Patienten haben allzu lang vergessen, sich infrage zu stellen.