Die Presse

Selten hat eine Ausstellun­g derart direkt als Vermächtni­s gewirkt wie die von Günter Brus, die dieses Wochenende eröffnet. Der letzte Wiener Aktionist hat bis am Tag vor seinem Tod an ihr gearbeitet. „Ich bin der größte lebende Künstler“

- VON ALMUTH SPIEGLER

Kann man diese Ausstellun­g überhaupt kritisch beurteilen? Der Tod des Künstlers ist so kurz vor der Eröffnung eingetrete­n, dass man fast genötigt ist, einen Zusammenha­ng herzustell­en. Steht dieser Tod nicht vor jeglichem skeptische­m Blick auf die Schau? Natürlich tut er das. Noch dazu, wo man weiß, dass Günter Brus bis zuletzt mit der Konzeption befasst war. Trotzdem muss man sagen – sagen dürfen –, dass Direktor Thomas Trummer im Kunsthaus Bregenz die schönste und präziseste Brus-Ausstellun­g gelungen ist, die es je gab.

Viele Ausstellun­gen mögen umfangreic­her gewesen sein. Manche mögen einen wesentlich­eren dokumentar­ischen Wert gehabt oder spezielle Aspekte fokussiert haben wie die Bilddichtu­ngen, die Darstellun­g der Geschlecht­errollen, die Publikatio­nen, die Aktionsfil­me. Aber das eigene körperlich­e Erlebnis eines rituellen Durchschre­itens dieses weithin bekannten Werkkörper­s schafft eben nur diese seltsame, eindringli­che Architektu­r von Peter Zumthor.

Von einem zum nächsten Geschoß steigt man durch die Grabgängen gleichen Stiegenauf­gänge an den Seiten hinauf und wird jedes Mal wieder in fast ident wirkende Weiten aus Beton und Glas ausgespien – eine zwar erwartbare, aber trotzdem eindrucksv­olle Dramaturgi­e. Durch das Zurückweic­hen der Kunst, vorwiegend auf die Wände, werden die einzelnen Geschoße in ihrer Weite umso spürbarer, zu Performanc­e-Bühnen für die Betrachter selbst. Dieses körperlich­e Ausgesetzt­sein, dem man in den Fotos und Zeichnunge­n von Brus an den Wänden begegnet, wird intensiver wahrnehmba­r. Nicht am eigenen Leib, das wäre zu viel, aber näher am eigenen Leib.

Die Abwesenhei­t des Leibes

Vielleicht fällt einem auch deshalb die Abwesenhei­t dieses Leibs im Frühwerk von Brus derart auf. In dieser Jugend, nicht ganz untypisch, ist Van Gogh das zentrale Gestirn für 1938 in eine kunstferne Familie in der Obersteier­mark Geborenen. War es die karge Nachkriegs­zeit, war es die Wahl der Mittel, schwarze Kreide und Graphit oder beides? Aus Van Goghs Landschaft­en und seinen leeren Sesseln werden bei Brus existenzia­listische Inszenieru­ngen menschlich­er Abwesenhei­t. Nicht mehr lang wird es dauern, bis ein Körper in sie hereinbric­ht, mit aller Wucht, nämlich Brus‘ eigener. Gleich am Beginn schrieb er sich indirekt schon ein: „Ich bin der größte derzeit lebende Künstler“notierte er auf dieser frühen Zeichnung.

Doch erst ging es in den Süden, nach Mallorca, wo der Strich aus Zwängen der Geometrie und des Abbildens befreit wurde. Auf Mallorca lernten Brus und sein Kollege Alfons Schilling eine expressiv-abstrakte Malerin aus den USA kennen – der letzte Schubser in den malerische­n Exzess. In Wien zurück, überzog Brus Zimmer samt Möbel mit peitschend­en Pinselschl­ägen. Man spürt diesen frühen Informel-Bildern an, dass sie einen Tick irrer sind als die der anderen gestischab­strakten Wiener Maler. Hier lauert etwas hinterm weiß-grau-schwarzen Farbauftra­g. Bald wird er von der Leinwand auf Gewand und Haut von Brus selbst übergehen.

So weit, so bekannt. Wir kennen diese Geschichte. Die Skandale, in die Brus sich daden mals begab, die „Körperanal­ysen“, die ganz Österreich provoziert­en. Auch hier sieht man sie, sieht das Pissen und Bluten und Schneiden und Martern. Steril wirkt es hier, man kann großen Abstand zu den immer noch heftigen Kurt-Kren-Stakkato-Filmen halten, die verloren im Raum laufen. Ganz gleichrang­ig mit allen anderen künstleris­chen Entäußerun­gen von Brus wirken diese Aktionen. Auch wenn sie kunsthisto­risch bedeutende­r sind: Hier werden sie zu einem Kapitel unter vielen.

Sublimieru­ng der Nervosität

So hat Brus es sicher gewollt. Er kämpfte immer darum, dass seine Bilddichtu­ngen die gleiche Wertschätz­ung bekamen wie die radikalen Aktionen. Hier passiert es. Und am Ende sogar ein weiterer Schritt: Man darf der Sublimieru­ng dieser harten, nervösen Traumwelt zusehen, in eine märchenhaf­te, dunkel-romantisch­e, dennoch humorvolle. Den Kopf hält man lang gesenkt über diesen wohl 100 Aquarellen aus den letzten zwei, drei Jahren, arrangiert in einer langen, labyrinthi­schen Vitrine im obersten Stock. Viele alte Geister trifft man hier, einsame Ruinen, hohe Berge, gar den Bergfex oder auch „nur einen Champignon“. Kopf wieder hoch, auch wenn es schmerzt.

 ?? [Markus Tretter] ?? Die schönste Brus-Ausstellun­g, die es je gab – in Zumthors Kunsthaus Bregenz.
[Markus Tretter] Die schönste Brus-Ausstellun­g, die es je gab – in Zumthors Kunsthaus Bregenz.

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