„Ein Big Bang reicht nicht“
Ann-Kristin Cordes versteht sich mit ihrer Stiftungsprofessur an der FH Vorarlberg als Wegbegleiterin: Sie hilft Firmen bei der Digitalisierung ihrer Aufgaben und ihres Angebots.
Ann-Kristin Cordes kennt viele Branchen. „Ich habe vor fünf oder sechs Jahren einen Stuckateur im Münsterland bei der Einführung der Zeiterfassung begleitet. Ich bin mit meinem Forschungsteam in das Unternehmen gegangen, wir haben Interviews geführt, Abläufe beobachtet, sind überall mitgelaufen“, erzählt sie. Nach einer umfassenden Prozessanalyse präsentierte man eine Lösung – und schlug überdies ein passendes Dokumentationssystem für Baustellen vor.
Ähnlich ging man bei der Digitalisierung von Stahlwechselkoffern vor, das sind besonders stabile und dennoch leichte Transportbehälter, die ein Lkw (ähnlich wie Container) auf- und abladen kann. Hier präsentierte Cordes einem münsterländischen Unternehmen ein Konzept für ein digitales System, das mittels Sensoren Logistikaufgaben erleichtert. Und sich als Produkt verkaufen lässt.
„Es geht in meiner Arbeit darum, in unterschiedlichen Bereichen tätige mittelständische Unternehmen auf dem Weg der Digitalisierung zu begleiten und zu qualifizieren, sodass sie eigenständig Technologien finden und einführen können“, schildert Cordes, die seit September 2023 die BlumStiftungsprofessur für Digital Business Transformation an der FH Vorarlberg hält. Sie sucht – und findet – also gemeinsam mit Firmen Softwarewerkzeuge, um deren Portfolio zu stärken oder Prozesse effizienter ablaufen zu lassen. Und das macht die gebürtige Deutsche nun auch in Österreich.
Oft noch Zettelwirtschaft
Aber warum kaufen sich die Unternehmen nicht einfach eine passende Lösung selbst ein? „Es gibt für vieles ganz viele unterschiedliche Lösungen“, erläutert Cordes. „Für den Mittelstand ist immer das Problem: Wie wähle ich es aus? Was ist für mich das Richtige? Weil sie bei den vielen Möglichkeiten den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen. Und weil Kleinstbetriebe, die ja meist Handwerksbetriebe sind, nicht die passenden Experten an Bord haben, um gut entscheiden zu können.“Für die IT-Beratungsbranche sei das wiederum zu unattraktiv. Also kommt Cordes überall da ins Spiel, wo Klein- und Mittelbetriebe (KMU) in IT-Fragen nicht mehr weiterwissen.
Mitunter überrasche sie, wie viel noch manuell, auf Zetteln oder ohne Kassen- oder Warenwirtschaftssystem passiert, sagt sie. Andere Firmen wiederum hätten ganz konkrete Ideen: etwa ein Tischler, der sich einen Verkaufstisch für Juweliere wünschte, in den sich ein Tablet integrieren lässt – und die passende Lösung bekam.
Ob mit oder ohne konkrete Anfangsidee: Es gehe stets darum, schrittweise und in der richtigen
Reihenfolge an Neuerungen zu arbeiten. „Weil das ja nicht mit einem Big Bang sofort alles erledigt ist“, sagt Cordes. Wichtig in ihrer Forschung sei, auch die Menschen in den Betrieben gut mitzunehmen. „Man darf die Dinge nicht im stillen Kämmerlein entwickeln und dann auf einen Schlag etwas Neues präsentieren. Eigene Ideen müssen einfließen können, dann identifizieren sich die Leute leichter und man hat weniger Widerstand.“
Gesucht: Gute Leute
Der Stifter der Professur, der internationale Hersteller von Möbelbeschlägen Blum, bleibt bei all dem im Hintergrund. „Ich bin frei in meiner Forschung“, sagt Cordes. Es gäbe keinen Auftrag oder ein Muss in eine Richtung. Cordes‘ Ziel sei, die Vierländerregion – auch das Fürstentum Liechtenstein liegt nicht weit vom Grenzgebiet zwischen Österreich, Deutschland und der Schweiz entfernt – und den Mittelstand als „Riesenfundament“des Landes zu stärken. Aber ja, man diskutiere schon über Projektideen für Blum. Und auch von Absolventinnen und Absolventen als gut ausgebildeten Fachkräften könne das Unternehmen profitieren.
Derzeit bemüht sich Cordes aber noch selbst – wie so viele im IT-Sektor –, qualifizierte Leute anzuheuern. Ihr Team soll letztlich aus fünf bis acht Leuten bestehen. Sie selbst zog es früh in diesen Bereich. „Ich war schon immer sehr interessiert an Technologien und sehr mathematikaffin. Kurse wie Informatik oder Physik waren meine Steckenpferde in der Schulzeit.“Inspiration holt sich die heute 40Jährige vielleicht auch beim Blick über die Schulter des elf Jahre älteren Bruders: „Er saß immer vor dem Computer und spielte damit herum.“Heute ist er ausgebildeter Informatiker.
Den Bergen näher gerückt
Cordes studierte zunächst an der Universität Bielefeld BWL mit Fokus auf Betriebsinformatik, Produktionswirtschaft, Logistik und Controlling. Das Doktorat in Wirtschaftsinformatik, das sie an der Universität Münster „summa cum laude“, also mit der höchsten Auszeichnung für eine Dissertation in Deutschland, absolvierte, lag damit nahe. Vor ihrem Umzug nach Österreich vertrat sie schließlich die Professur Wirtschaftsinformatik und Process Analytics an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
Und wo sucht und findet sie Ausgleich von den doch recht komplexen Themen? Cordes liebt es zu segeln, vor allem die slowenische und die kroatische Adria haben es ihr angetan. „Den Bodensee muss ich aber noch erkunden“, sagt sie schmunzelnd. Beim Skifahren bleibt sie gern den österreichischen Bergen treu. Denen ist sie mit ihrem Wechsel an die FH Vorarlberg jedenfalls ein deutliches Stück näher gerückt.