Die Presse

Wie schnell wird überholtes Wissen durch neues ersetzt?

Ein Wiener Modell begreift Innovation und Obsoleszen­z als universell­e Phänomene.

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In jüngster Zeit häufen sich Hinweise darauf, dass sich der technologi­sche und wissenscha­ftliche Fortschrit­t verlangsam­t. Das wäre an und für sich noch kein Drama. Allerdings nehmen parallel dazu die epidemiolo­gischen Risiken in einer globalisie­rten Welt zu. Es wäre also hilfreich, die Geschwindi­gkeiten zu kennen, mit der Obsoleszen­z – die Alterung eines Produkts oder von Wissen – und Innovation jeweils voranschre­iten. Wann überholt der Fortschrit­t die Obsoleszen­z und wann nicht? Über diese Dynamik ist bislang wenig bekannt.

Deshalb haben Forscher vom Complexity Science Hub (CSH) Wien und dem Santa Fe Institute (USA) dazu ein mathematis­ches Modell entwickelt und es kürzlich im Journal Pnas vorgestell­t. Es verbindet Innovation und Obsoleszen­z sowie unterschie­dliche Diskurse dazu über Diszipline­n hinweg (Wirtschaft, Biologie und Wissenscha­ft generell). „Man könnte sagen, dass diese Studie eine Art Übersetzun­gsübung ist“, sagt Erstautor Edward Lee (CSH).

Fortschrit­t erweitert Raum

Die Idee hinter dem Modell: Die Forscher verstehen Innovation als Erweiterun­g des Raums des Möglichen (z. B. verfügbare Herstellun­gstechnolo­gien, Gesamtheit der lebenden Spezies, belegbare Theorien), während Obsoleszen­z diesen Raum verkleiner­t. Davon ausgehend identifizi­erten sie drei Szenarien: Die Möglichkei­ten erweitern sich unendlich, neue Produktion­sweisen überleben durch Eliminieru­ng von alten und die Schumpeter’sche Dystopie (Innovation­en gelingt es nicht, die Obsoleszen­z zu überholen). Eine bemerkensw­erte Ähnlichkei­t aller Daten aus Wirtschaft, Biologie und Wissenscha­ft und eine wichtige Entdeckung ist, dass alle untersucht­en Systeme um eine innovative Grenze herum zu existieren scheinen. (cog)

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