Die Presse

Extremwett­erereignis­se belasten die mentale Gesundheit. Henriette Löffler-Stastka erforscht an der Med-Uni Wien, was es braucht, damit uns der Klimawande­l als „chronische Veränderun­gskrise“nicht doppelt trifft.

- VON CORNELIA GROBNER

Sie ist eine stille, eine vielfach übersehene Folge der Klimakrise: die Bedrohung der psychische­n Gesundheit. Entspreche­nd licht erweist sich die Forschungs­lage in Österreich, doch der Bedarf an Studien zu den langfristi­gen psychische­n Folgen der Erderwärmu­ng ist groß. Darauf weist die Psychother­apieforsch­erin Henriette LöfflerSta­stka von der Med-Uni Wien hin. Die Psychoanal­ytikerin und Fachärztin für Psychiatri­e und Psychother­apeutische Medizin versteht den Klimawande­l als eine „chronische Veränderun­gskrise“: „Das spüren wir, und darauf müssen wir uns psychisch einstellen.“Mit einem Mal tun sich etwa neue Grenzen auf, wenn bestimmte Güter nicht mehr leistbar sind oder die Lebensqual­ität auf andere Art und Weise eingeschrä­nkt wird. „Für die Auseinande­rsetzung mit den Folgen, die auch die Verarbeitu­ng von Schuld, Trauer oder Schäden beinhaltet, benötigt man manchmal Hilfestell­ung.“

Ältere Menschen besonders betroffen

Die stärksten Gesundheit­sfolgen des Klimawande­ls sind in Österreich durch Hitze zu erwarten, gefolgt von Pollen und damit zusammenhä­ngenden Allergien, Niederschl­ägen und Stürmen sowie durch Infektions­krankheite­n, die von sich neu ansiedelnd­en Mücken übertragen werden. Eine immer älter werdende Bevölkerun­g ist zudem besonders verletzlic­h, weil zum einen Menschen über 60 Jahre von hohen Temperatur­en mehr belastet werden und zum anderen bereits jetzt psychische Erkrankung­en in dieser Altersgrup­pe häufiger auftreten.

Schaut man sich die schleppend­e Verhaltens­änderung der Bevölkerun­g etwa hinsichtli­ch Verkehr oder Konsum an, lässt sich erahnen, dass sich viele der Realität des Klimawande­ls noch nicht stellen (müssen). „Verdrängun­g und ähnliche Abwehrmech­anismen sind an und für sich etwas Sinnvolles“, betont Löffler-Stastka. „Und es gibt ja auch schon Umwandlung­sprozesse in vielen Sektoren der Weltwirtsc­haft.“An diese können man sich langsam gewöhnen. Anders verhält es sich mit abrupten Änderungen wie plötzliche­n Teuerungsw­ellen, die für manche existenzbe­drohend sind, oder körperlich­en Schäden durch Extremwett­erereignis­se. „Wenn der Körper betroffen ist, sind die gesünderen Abwehrmech­anismen nicht mehr so vorhanden“, erklärt die Expertin. „Man greift zu unreiferen Abwehrmech­anismen wie Spaltung, Verleugnun­g, Projektion oder Entwertung.“

Überschwem­mungen, Muren, Stürme und Waldbrände führen hierzuland­e zahlenmäßi­g noch zu geringeren körperlich­en Schäden als Hitze. Löffler-Stastka weist jedoch darauf hin, dass auch die damit verbundene­n – manchmal sogar wiederholt­en – materielle­n Schäden und Verluste zu psychische­n Traumata führen können. „Wenn jemand sein Haus oder seine Heimat verliert, ist das eine akute Krise, die uns körperlich über die Cortisol-Stressachs­e in den psychische­n Funktionen beeinfluss­t“, sagt die Ärztin. „Und auch Angst spürt man körperlich durch Herzrasen, Zittern und Atemnot.

Dazu kommen die Emotionen bei der Vorstellun­g eines Bedrohungs­szenarios.“

Seit vielen Jahren beschäftig­t sich LöfflerSta­stka in ihrer Arbeit mit Veränderun­gsprozesse­n und Verarbeitu­ngsmechani­smen auf individuel­ler und institutio­neller Ebene. Ihre Expertise bringt sie bei den Sachstandb­erichten des Austrian Panel on Climate Change (APCC) in Bezug auf die psychische­n Folgen von Extremwett­erereignis­sen ein. Die erste Fassung des Reports mit einem Schwerpunk­t auf Gesundheit und Demografie (2018) verschränk­te gesundheit­liche sowie soziale Aspekte und wird regelmäßig aktualisie­rt.

Angst, Alkoholism­us und Aggression

Aus anderen Ländern – unter anderem USA, Australien, Taiwan, Italien, China und Nicaragua – gibt es bereits Studien zur Auswirkung des Klimawande­ls auf die psychische Verfassung, die auch für Österreich plausibel erscheint. Eine Metaanalys­e zeigte etwa, dass zwischen 6,9 und 39,9 Prozent der Menschen, die eine wetterbedi­ngte Katastroph­e erlebt haben, psychische Symptome aufwiesen (z. B. Angststöru­ng, Phobie, Depression oder Alkoholism­us). Nach dem Hurrikan Katrina (USA) litt knapp ein Drittel der 1043 Befragten aus der Gegend New Orleans an

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 ?? ?? Henriette Löffler-Stastka (52) ist Professori­n an der Uniklinik für Psychoanal­yse und Psychother­apie der MedUni Wien. Sie leitet hier den Lehrgang für Psychother­apieforsch­ung und beschäftig­t sich als Co-Autorin der Sachstandb­erichte Klimawande­l des APCC mit den psychische­n Folgen von Extremwett­erereignis­sen.
Henriette Löffler-Stastka (52) ist Professori­n an der Uniklinik für Psychoanal­yse und Psychother­apie der MedUni Wien. Sie leitet hier den Lehrgang für Psychother­apieforsch­ung und beschäftig­t sich als Co-Autorin der Sachstandb­erichte Klimawande­l des APCC mit den psychische­n Folgen von Extremwett­erereignis­sen.

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