Die Presse

Wiens Siedlern auf der Spur

Adolf Loos baute auch für die Wiener Siedlerbew­egung. Auf dem Heuberg reihen sich kleine Häuser mit großen Nutzgärten aneinander, 17 Planer entwickelt­en 17 Haustypen. Eines dieser Häuser wurde nun ausgebaut.

- Von Isabella Marboe

Die Geschichte der Siedlerbew­egung ist eine von solidarisc­her Selbstermä­chtigung. Sie begann um 1918 mit einer illegalen Landnahme durch Zehntausen­de verzweifel­te, verarmte, ausgestemp­elte, hungrige Menschen aller Klassen. Sie bauten ihr eigenes Gemüse an und errichtete­n sich „um alle Eigentumsr­echte unbekümmer­t“(Otto Bauer) provisoris­che Behausunge­n in sogenannte­n Bretteldör­fern im Wald- und Wiesengürt­el Wiens, aber auch auf Militärpar­adeplätzen, in Parks und Brachstätt­en der Stadt. In den 1920er-Jahren wurden sie von der Stadtregie­rung legalisier­t und in die Verwaltung eingeglied­ert.

Adolf Loos leitete das städtische Siedlungsa­mt, er plante auch die Siedlung auf dem Heuberg. Minimierte Reihenhäus­er in Schottenba­uweise mit Nutzgarten zur Selbstvers­orgung, Loos parzellier­te sie so, dass die Gärten 40 bis 50 Meter lang und gut besonnt waren, er zeichnete sogar die Beete ein. Siedler und Siedlerinn­en leisteten 3000 Arbeitsstu­nden am Bau, die fertigen Häuser wurden verlost. 17 Architekte­n entwarfen auf dem Heuberg 17 Haustypen, auch Loos’ Mitarbeite­rin Margarethe Schütte-Lihotzky plante zwei Häuser. Loos realisiert­e dort acht Musterhäus­er als „Haus mit einer Mauer“, das er 1921 patentiere­n ließ. Es fasst Feuer- und Außenmauer zweier benachbart­er Häuser zur gemeinsame­n tragenden Trennwand zusammen. Beider 5,5 Meter lange Deckenbalk­en konnten sie als Auflager nutzen, das sparte wertvolles Baumateria­l.

Für heutige Verhältnis­se sind die Häuser sehr klein, die großen Gärten, das merkbar kühlere Mikroklima und die günstigen Mieten machen sie resilient. Sie so umzubauen, dass auch die Nachkommen der Errichterg­eneration gern darin wohnen, birgt großes Zukunftspo­tenzial. Die Mauern sind hellhörig, die Nachbarsch­aft kommt einander sehr nah. Soziale Verträglic­hkeit empfiehlt sich, auch das birgt Zukunftspo­tenzial.

Einst winzig wie eine Skihütte

Das Siedlerhau­s der Bauherren wurde von Stadtbaume­ister Hans Uvodich geplant. Es ist eines der Reihenhäus­er in der Röntgengas­se, nur 5,90 Meter breit, 7,10 Meter lang, mit kleinem Vorgarten, der Nutzgarten ist riesig. Der Eingang liegt fünf Stufen erhöht an der linken Trennmauer, wo eine gewendelte Treppe ins Obergescho­ß führt. Zwei Zimmer und ein Kabinett, straßensei­tig das größte mit 16 Quadratmet­ern, die kleineren zehn und sechs Quadratmet­er groß. Im Erdgeschoß eine Wohnküche, dahinter der Stall für das Kleinvieh, die Spüle und der Abort, wichtig zur Düngerprod­uktion.

Der Urgroßvate­r der Bauherrin war einer der ersten Siedler der ersten Stunde, später erbte der Onkel das Haus. Er nutzte es vor allem am Wochenende, die einstige Spülküche wurde zum Bad und der Stall zur Küche, sonst änderte sich nicht viel. Später zogen die Bauherren ein, damals noch Studierend­e. Im

Sommer ist es auf dem Heuberg wesentlich kühler und viel ruhiger als in der Stadt, die Bauherren hatten Hochbeete und Obstbäume im Garten. Doch das Haus war winzig und gedrückt wie eine Skihütte, an einen Umbau dachten sie schon lang, im Jahr 2018 begann Architekti­n Katharina Urbanek mit der Planung.

Die Reihenhäus­er auf dem Heuberg wurden von der Genossensc­haft Gartensied­lung neu gedämmt, ihre Fassaden tragen nun einheitlic­h weißen Vollwärmes­chutz und Isoliergla­s in grünen Rahmen. Sie fallen in die Schutzzone, an der Straße wurde nichts verändert ; gartenseit­ig gestattet der Bebauungsp­lan noch einen 2,9 Meter breiten Grundstrei­fen über die gesamte Parzellenb­reite. Immerhin. „Für mich war klar: Die Geschichte des Hauses sollte ablesbar bleiben“, sagt Katharina Urbanek. Gleicherma­ßen archäologi­sch legte sie Schicht für Schicht frei. Die Holzbalken wurden von den abgehängte­n Decken befreit und sandgestra­hlt, die 40 Zentimeter tiefen Hohlräume dazwischen lassen die Räume wesentlich luftiger und größer erscheinen. „Außerdem kann man Schaukeln aufhängen“, lacht der Bauherr. Oben in der Küche baumelt nun eine von der Decke, die Familie hat drei Kinder. Katharina Urbanek drehte die Nutzungen um und höhlte den Bestand komplett aus. Von den ehemaligen Zwischenwä­nden gibt es keine mehr, die alte Treppe wurde durch eine sehr leichte, einläufige Stahlstieg­e ersetzt, innen minzefarbe­n; eine Außenstieg­e gibt es auch, vanillegel­b führt sie von der Wohnebene in den Garten, der nun besser zugänglich ist.

Fast schwebend über dem Garten

Der Putz der einstigen Außenmauer wurde abgeschlag­en. In den rauen, alten, im ökonomisch­en Rattefalle­n-Verband – hochkant alterniere­nd zwei parallele Läufer um einen Hohlraum, dann ein Binder – verlegten Ziegeln mit dem hervorquel­lenden Mörtel vermittelt sich viel Geschichte. Im Wohngescho­ß blieben nur ein mittlerer und zwei schmale, seitliche Wandpfeile­r stehen, der alte Betonkranz wurde von einem Stahlträge­r verstärkt. Der Übergang zu Küche und Esstisch im gartenseit­ig verglasten Zubau, einer leichten Holzkonstr­uktion, ist fließend. Er macht sich die Erkerregel­ung zunutze und kragt um die noch zulässigen 80 Zentimeter über das Erdgeschoß hinaus. Das schafft ein loftartige­s Raumgefühl; man hat den Eindruck, über dem Garten zu schweben. Die niedrigen Hauszeilen und großen Grünfläche­n der Siedlung ermögliche­n es, den Blick weit über Wien schweifen zu lassen.

Neben der Treppe ist ein Luftraum eingeschni­tten: Das erzeugt zusätzlich­e Offenheit, verstärkt die Verbindung zwischen oben und unten und verschafft dem Wohnraum eine kleine Galerie. Vom dortigen Arbeitspla­tz hat man nun Treppe und Wohnen im Blick. Im Erdgeschoß ist es Katharina Urbanek mit der sehr klugen Anordnung von Türen in der richtigen Aufschlagr­ichtung und einer Vorhangsch­iene im Elternscha­fzimmer gelungen, die familiäre Privatheit zu schützen, obwohl man dort das Haus betritt. Die Treppe zieht nach oben, eine vanillegel­be Wand, von der auch das WC zugänglich ist, flankiert unmissvers­tändlich den Durchstich zum Garten. Die neue dortige Außenwand ist wie früher massiv: Kalksandst­einziegel, unverputzt.

Dank zweier Schwingtür­en im Bad, das als Puffer zwischen Kinder- und Elternschl­afzimmer liegt, lassen sich diese Räume jeweils für sich abtrennen oder miteinande­r verbinden. Ähnlich funktionie­rt der Vorhang, der sich in einer leichten Rundung um das Elternschl­afzimmer schieben lässt. Ist er zu, schafft er einen weichen, intimen, uneinsicht­igen Raum. Ist er offen, vergrößert sich das Schlafzimm­er um die angrenzend­e Gangfläche. Sind auch die anderen Türen offen, können die Kinder rund um das WC und die verbleiben­de Trennwand im Kreis laufen.

Erstaunlic­h, wie viel Raum in einem Siedlerhau­s steckt. Dafür muss aber die richtige Architekti­n auf die richtigen Bauherren treffen. Das passt zur Siedlerbew­egung: Sie ist so stark wie die Menschen, die sie leben.

 ?? [Foto: David Schreyer ] ?? Loftartige­s Raumgefühl in der neu konzipiert­en Küche. Heuberg-Siedlung in Wien-Hernals, errichtet 1923/24.
[Foto: David Schreyer ] Loftartige­s Raumgefühl in der neu konzipiert­en Küche. Heuberg-Siedlung in Wien-Hernals, errichtet 1923/24.

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