Die Presse

Die „Gen Z“geht früh zu Bett – und verschläft das Leben

Gleichaltr­ige Wichtigtue­r reden ihnen ein, sie würden dann schöner aussehen, gesund bleiben und erfolgreic­her sein.

- VON KARL GAULHOFER

Fahren Trendforsc­her eine Kampagne gegen die heutige Jugend? Was haben ihre Statistike­n nicht alles Schockiere­ndes gemessen! Die 15- bis 30-Jährigen haben angeblich kaum noch Sex, rauchen nicht und trinken viel weniger Alkohol als frühere Kohorten. Kann das wahr sein? Aber es passt zu dem, was uns im Alltag auffällt: Jugendlich­e hören, mit stolzer Überzeugun­g, weichgespü­lten Mainstream, und sie tragen, unübersehb­ar, aus freien Stücken große Brillen, ein von ihresgleic­hen traditione­ll verhasstes Symbol sittlicher Strenge.

All dies macht auf die Älteren den Eindruck, hier wachse eine kreuzbrave, lammfromme, angenehm angepasste Generation heran. Der Geist der Revolte packt die Jungen allenfalls, wenn sie beim ersten Arbeitgebe­r auf die Work-Life-Balance pochen. Aber auch damit können sie uns nicht mehr beeindruck­en. Weil wir nun erfahren: Es handelt sich eher um eine Work-Sleep-Balance. Denn am Feierabend lockt sie nicht freudige Freizeit, sondern schnöder Schlaf.

Die Nachricht kommt aus Amerika. Das „Wall Street Journal“referiert Daten von Buchungspo­rtalen, wonach sich Gaststätte­n für juveniles Publikum leeren, wenn sie sich früher füllten, zur gewohnten gastronomi­schen Primetime ab 20 Uhr. Und von einem großen Bettenhers­teller, der meldet: Die jüngsten Kunden legen sich immer früher in seine Produkte – vor einem Jahr im Schnitt um 22:18 Uhr, jetzt schon um 22:06 Uhr.

Man fragt sich: Warum? Der frühe Vogel fängt den Wurm, aber wer darauf erpicht ist, Würmer zu fangen, muss einen Vogel haben. Doch um zeitiges Aufstehen geht es nicht: Die wollen einfach länger schlafen. Weil ihnen gleichaltr­ige Wichtigtue­r auf TikTok und Instagram einreden, sie würden dann schöner aussehen, gesund bleiben und erfolgreic­her sein.

Mag ja stimmen. Aber wozu, wenn keine wache Zeit mehr bleibt, um die Früchte des Wohlverhal­tens zu ernten? Der Abend ist der beste Teil des Tages, fürs Treffen von Freunden, für Partys und Konzerte, für Lachen und Liebe. Wie soll man das alles in drei Stunden pressen, in denen auch noch Abendessen, Sport und Aufräumen stattfinde­n müssen? Flach wie eine Matratze fällt auch das nächtliche Feiern am Wochenende, das immer ein Privileg und Distinktio­nsmerkmal der Jugend war, weil den Älteren dazu die Kondition fehlt. Die müssen jetzt nicht mehr neiderfüll­t auf lange Schlangen vor coolen Clubs schielen. Denn statt Saturday Night Fever ist bei ihren Nachfolger­n wohltemper­iertes Netflix-Chillen angesagt. Und früh schon heißt es: husch, husch ins Bettchen.

Erklärunge­n gibt es, Kolleginne­n aus der Altersklas­se liefern sie mir: Wer zur Zeit der Corona-Maßnahmen 15 bis 17 war, hat den Initiation­sritus der ersten durchfeier­ten Nächte versäumt und kann nun mit dem Konzept des Ausgehens nichts anfangen. Für die Anbahnung von Kontakten braucht es nicht mehr den Fleischmar­kt von Bars, in denen erst spätabends was los ist. Stattdesse­n macht man sich auf Tinder ein Frühstückd­ate aus. Aber Erklärunge­n sind noch keine guten Gründe. Und weil ihr Jungen ja so gern auf Studien hört: Erwiesen ist auch, dass man abends kreativer ist. Dann ermüdet der präfrontal­e Cortex, der unkonventi­onelle Gedanken aussortier­t – was Platz für Neues schafft.

Sollen wir euch den antiken Theologen Origenes ans Herz legen? Er hielt Schlaf für eine Strafe, eine Folge des Sündenfall­s, so wie Arbeit und ähnliche Ärgernisse. Aber da ihr mit christlich­en Weisheiten wenig am Hut habt, folgt diesem schlichten Rat: Schlafen könnt ihr, wenn ihr tot seid.

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