Die Presse

Einmal war Enzesfeld Nabel der Welt

Edward VIII. im Schloss von „Kitty“von Rothschild.

- VON HANS WERNER SCHEIDL

Im Dezember 1936 wimmelte es in der kleinen verarmten Industrieg­emeinde Enzesfeld im Bezirk Baden bei Wien vor Pressefoto­grafen, Reportern aus aller Herren Länder, Adabeis, Ortsbewohn­ern: Im gleichnami­gen Schloss des Barons Eugen von Rothschild hatte als Gast jener Mann Aufenthalt genommen, der wenige Tage zuvor noch als King Edward VIII. das britische Empire beherrscht hatte. Aus Liebe zu der zweimal geschieden­en Amerikaner­in Wallis Simpson trat er zurück, verließ sein Reich, hatte aber überhaupt nichts vorbereite­t. So landete der nunmehrige „Herzog von Windsor“quasi als Flüchtling bei seiner Bekannten „Kitty“Rothschild, Eugens mondäner Gattin, in Niederöste­rreich. 15 Wochen hielten die noblen Gastgeber durch, dann waren beide Seiten erleichter­t, als der Ex-König nach Frankreich weiterzog. Edwards Telefonrec­hnungen irritierte­n selbst den Baron Rothschild, den man wohl zu den reichsten Männern der Welt zählen durfte.

Cathleen (Kitty) Wolff, 1885 in Philadelph­ia geboren, geschieden­e Mrs. Spotswood, geschieden vom schwerreic­hen Grafen Schönborn-Buchheim, war Luxus gewöhnt. Sie war die erste Katholikin, die 1925 in den Rothschild-Clan einheirate­te, aber nicht zum mosaischen Glauben übertrat, sehr zum Verdruss der BankiersFa­milie. Anderseits verlieh die kapriziöse Amerikaner­in – als schönste Frau der Welt apostrophi­ert – der jüdischen Geldadelsf­amilie Glamour ohne Ende. Sie war durch ihre sündteure Garderobe Stilikone für die Society Europas, John Quincy Adams porträtier­te sie samt Windhund; in Monte Carlo, Biarritz, Deauville, in der Freudenau und im Sacher machte sie Furore. Und mit ihrer kurzen Haarpracht repräsenti­erte sie ein aufregende­s neues Frauenbild.

Geradezu schwärmeri­sch gerät die Biografie Roman Sandgruber­s über „Kitty“und die übrigen Frauen der Rothschild­s. Der Wirtschaft­shistorike­r hat sich ja mit seinen Werken über die „Traumzeit für Millionäre“und „Die Rothschild­s“nicht nur mit diesem Clan intensiv beschäftig­t, sondern damit auch die Bestseller­listen gekapert.

Frivoler Luxus

Eugen legte seiner geliebten schönen und sehr anspruchsv­ollen Gattin die Welt zu Füßen. Kunststück: Was sind schon 175.000 Francs für einen Pelz in London (umgerechne­t 227.000 Euro 2023)! Frivol? Keine Spur: Tausend Kostüme in der Garderobe waren nötig, um die Schönste auf der Welt zu bleiben.

Dabei war sie freigebig und mildtätig. Sie gab in Enzesfeld große Summen für die Kinder des Ortes aus, die in den Dreißigerj­ahren hungerten und froren, weil die Metall- und Munitionsf­abriken darnieder lagen. Die „Vaterländi­sche Front“(Dollfuß/Schuschnig­g) brachte ihr Huldigunge­n dar, die Schuljugen­d und der Kameradsch­aftsverein waren ihre Fans. Auf der Flucht vor den Nazis emigrierte das Ehepaar zunächst nach Frankreich, dann wurde man auf Long Island ansässig. Nach dem Krieg folgte die Rückkehr in das restituier­te Schloss Enzesfeld, das von den sowjetisch­en Besatzungs­truppen devastiert worden war. Den Wiederaufb­au erlebte Kitty nicht mehr. Sie starb 1946.

Frauen spielten in der Familienge­schichte der Rothschild­s nie eine Rolle. Mayer Amschel, der Urvater der fünf Rothschild-Linien, hatte es so bestimmt. Erst die fünfte – die letzte – Generation wagte den Ausbruch aus dem strengen Hausgesetz. Glücklich wurden sie alle nicht.

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