Die Presse

Freiheit ist doch alles, ohne sie ist alles nichts – oder?

In Europa bereiten Nato, Atomwaffen, Aufrüstung Kopfzerbre­chen. Um die Bereitscha­ft zur Verteidigu­ng mit der Waffe ist es aber in Österreich schlecht bestellt.

- VON ANNELIESE ROHRER

Ich bin dafür, dass wir uns auf das Schlimmste vorbereite­n.“Wieder drückt jemand auf den Alarmknopf. Dieses Mal der langjährig­e Präsident der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, in einem Interview mit der „Neuen Zürcher Zeitung“, zwei Tage vor Beginn der Sicherheit­skonferenz dieses Wochenende in München.

Solche Angst-Titel schlagen in seriösen Medien auf. „Alle meine Jugendträu­me sind zerplatzt“, stellt der französisc­he EU-Kommissar Thierry Breton laut Medienberi­chten fest und rät zur raschen Umstellung auf Kriegswirt­schaft mit schnellere­r Waffenprod­uktion. In einem Interview mit der „Wirtschaft­swoche“warnt der CDU-Experte Roderich Kiesewette­r: „Wir laufen auf einen kritischen Moment zu.“

Aber was genau ist das Schlimmste, von dem Juncker spricht? Verlust der Sicherheit­sgarantien und Austritt der USA aus dem Verteidigu­ngsbündnis Nato? Notwendigk­eit der Aufrüstung der EU, auch mit Atomwaffen außerhalb Großbritan­niens und Frankreich­s? Niederlage der Ukraine im Krieg mit Russland und ungezügelt­er Appetit Wladimir Putins auf andere Territorie­n, vor dem der kürzlich verstorben­e frühere Außenminis­ter Prags, Karel Schwarzenb­erg, bereits 2014 nach der Annexion der Krim gewarnt hat: „In der Politik ist es auch so, dass mit dem Essen der Appetit kommt.“

Vielleicht schlafwand­elt die EU nicht in die nächste Katastroph­e, wie dies vielfach beschriebe­n wird, aber sie scheint mit geschlosse­nen Augen auf diese zu warten. Es ist bezeichnen­d und erschrecke­nd, mit welcher Resignatio­n in politische­n Debatten und Interviews von einem Wahlsieg Donald Trumps im November dieses Jahres nicht mehr im Konjunktiv gesprochen wird. Viele gehen davon bereits aus. Das kommt einem gefährlich­en (und ansteckend­en) Fatalismus nach Trumps Drohung gleich, er werde Russland ermuntern, „to do what the hell they want“(sollen machen, was immer sie wollen). Diese Ergebenhei­t ist längerfris­tig in ihrer Auswirkung auf die Stimmung in der Bevölkerun­g fatal.

Zumindest lässt sich das aus Umfragen in Österreich und Deutschlan­d ablesen. Zwar stimmt in Österreich eine große Mehrheit von 69 Prozent mehr Geld für das Bundesheer zur Aufrüstung zu, das Heer wird aber nicht für die Landesvert­eidigung geschätzt, sondern für die Katastroph­enhilfe und die Einsätze im Ausland. Die Bereitscha­ft zur Verteidigu­ng des Landes mit der Waffe ist gering. Eine Mehrheit von 58 Prozent war bei einer Umfrage im November 2023 dagegen. Zwar ist gegenüber einer Umfrage aus Vorkriegsz­eiten die Bereitscha­ft leicht gestiegen, von 29 auf 31 Prozent, ein Bild der Entschloss­enheit, die Freiheit zu verteidige­n, ergibt das dennoch nicht. Und eine österreich­ische Spezialitä­t: Drei von vier Befragten erwarten Hilfe der anderen EU-Staaten, aber nur ein Drittel wäre bereit, anderen zu helfen.

Auch in Deutschlan­d ist das so. Dort sind laut Umfragen 17 Prozent sicher dafür, das Land mit der Waffe zu verteidige­n, und 19 Prozent eher. Eine Mehrheit ergibt das auch nicht. Wahrschein­lich wurde deshalb der Vorschlag des bayrischen Ministerpr­äsidenten, Markus Söder, vom Dezember 2023, die Wehrpflich­t in Deutschlan­d wieder einzuführe­n, kaum diskutiert. Die Diskussion um Atomwaffen in EU-Ländern ist hingegen so intensiv wie noch nie. Die einen sehen darin die Abschrecku­ngsantwort auf Russlands Drohungen, die anderen halten das für Unsinn, wie der frühere Chef der Münchner Sicherheit­skonferenz, Wolfgang Ischinger.

Die Debatten kreisen um Geräte, Waffenprod­uktion, „hardware“sozusagen. Wozu, wenn die Gesellscha­ft der Verteidigu­ng der Freiheit nicht den höchsten Stellenwer­t beimisst? An welchem Punkt in der Zeit seit 1945 hat Freiheit ihren Wert verloren? Gilt sie nur jenen etwas, die sich an die Besatzung im eigenen Haus erinnern? Werden sie die Jungen erst schätzen, wenn sie verloren ist? Das wäre dann wirklich das „Schlimmste“.

Vielleicht schlafwand­elt die EU nicht in die nächste Katastroph­e, aber sie scheint mit geschlosse­nen Augen auf diese zu warten.

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