Die Presse

Was passiert, wenn man in die Luft schießt?

- VON MICHAEL LOIBNER

Der tragische Vorfall geschah im Vorjahr: Ein Bräutigam starb bei seiner Feier durch eine Kugel, die in die Luft gefeuert wurde. „Was passiert mit Kugeln, die man nach oben in die Luft jagt? „Ganz einfach: Sie kommen wieder herunter“, sagt Ballistik-Fachmann Armin Zotter. „Und weil das erhebliche, sogar tödliche Verletzung­en oder Sachbeschä­digung zur Folge haben kann, ist das Abgeben von Warn- oder Freudensch­üssen in Österreich gesetzlich sehr restriktiv geregelt.“Zotter ist als Experte für den Internatio­nalen Strafgeric­htshof und die Europäisch­e Kommission tätig, unterricht­et an diversen Universitä­ten und ist ein gefragter Gerichtssa­chverständ­iger, wenn es um Ballistik und das Schießwese­n geht.

„Um nicht mehr herunterzu­kommen, also in den Weltraum zu gelangen, müsste ein Geschoß die Fluchtgesc­hwindigkei­t von rund 11,2 Kilometern pro Sekunde überschrei­ten“, erklärt der Ingenieurw­issenschaf­tler. „Eine Pistolenku­gel schafft aber in der Regel nur bis zu rund 350 Meter pro Sekunde.“Sie steigt zunächst nach oben, bis ihre kinetische Energie (Bewegungse­nergie) verbraucht ist. Welche Höhe sie dabei erreicht, sei unterschie­dlich, sagt Zotter. „Die Kugel aus einem starken Jagdgewehr, mit dem man Wildschwei­ne oder Hirsche schießt, hat ihren Umkehrpunk­t in zwei bis drei Kilometern Höhe, eine Pistolenku­gel in rund 1,3 km. Die Gefahr, ein Luftfahrze­ug zu treffen, besteht jedenfalls nicht, außer in der Nähe von Flughäfen.“

Genau genommen handelt es sich selten um eine Kugel im geometrisc­hen Sinn. Üblicherwe­ise sind Geschoße aerodynami­sch geformt, so wie bei der hierzuland­e meist verwendete­n Pistolenmu­nition: Projektile mit neun Millimeter­n Durchmesse­r, einem Gewicht von acht Gramm und einem ogivalen, also spitzbogen­förmig zulaufende­n Kopf. Auf derartigen Geschoßen beruhen auch die Berechnung­en und Messungen, für die den Forschende­n technisch hochwertig­e Geräte wie das Zielverfol­gungsradar zur Verfügung stehen. Gefährlich in weitem Umkreis

Hat ein abgefeuert­es Projektil seinen höchsten Punkt erreicht, stürzt es, bedingt durch die Erdanziehu­ngskraft, in Richtung Boden zurück und wird dabei vom Luftwiders­tand gebremst. Wie schnell es wird, hängt von weiteren Faktoren ab: von der Form des Geschoßes, aber auch von der Dichte oder der Feuchtigke­it der Luft. Jedenfalls ist die Kugel schnell genug, um schwerwieg­ende Folgen für jemanden zu haben, der von ihr getroffen wird.

Zotter: „Eine Geschwindi­gkeit von etwa 40 m/s (rund 145 km/h) reicht aus, um die Haut zu durchdring­en. Ab 90 m/s (rund 325 km/h) kann ein Projektil Plattenkno­chen durchschla­gen.“Unter Laborbedin­gungen würde das Projektil genau dort aufschlage­n, wo es abgefeuert wurde.

„In der Praxis wird aber nie exakt senkrecht nach oben geschossen, und es ist nie vollkommen windstill“, erklärt Zotter, weshalb selbst in einem Umkreis von mehr als zwei Kilometern Gefahr besteht. „Trotz strenger Gesetze stehen alljährlic­h Personen vor Gericht, denen nicht bewusst ist, welche Gefahr sie durch das Abgeben von solchen Schüssen erzeugt haben“, weiß der Sachverstä­ndige. Sein Tipp: „Wenn man schon durch Schüsse Lärm verursache­n will, dann bitte Knallpatro­nen verwenden!“

„Um in den Weltraum zu gelangen, müsste ein Geschoß die Fluchtgesc­hwindigkei­t von rund 11,2 Kilometern pro Sekunde überschrei­ten.“ Armin Zotter, Sachverstä­ndiger Ballistik

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