Vivienne Westwood, quittenweiß
Das Romandebüt „Liste der gebliebenen Dinge“von Katrin Schumacher vereint opulente Stillleben, junge Liebe und Naturromantik.
In der ersten Woche war die Bude noch keine Bude, sondern eine Hütte. Man musste einen großen Teil des Hangs hinunterstolpern, die Bretter und Handläufe, die einmal den Weg sichern sollten, waren mit der Zeit Hindernisse geworden.“Wer da den Hang hinunterstolpert, sind Mirren und Kato, zwei junge Frauen und ein sehr junges Liebespaar. Sie haben „die Bude“– ein kleines Häuschen mit einigem Renovierungsbedarf auf einem verwilderten Stück Land – gemietet, das sie nun nach ihren Vorstellungen ummodeln. Mit viel Farbe und Enthusiasmus schaffen sie sich einen gemeinsamen Ort, der ihnen als Refugium dient. Ein Schneckengehäuse für die frisch Verliebten, in dem „die Spinnweben atemberaubende Segel waren, die ins Wehen kamen und die Räume zum Leben erweckten“.
Kato verdient ihr Geld mit dem Nachkochen von Essen auf alten Gemälden, dem Arrangieren von Stillleben und dem Anrichten von langen Tafeln, die bekannten Gemälden nachempfunden sind. Mirren ist Malerin, die ihre Bilder nur ungern hergibt. Sie möchte am liebsten alle um sich behalten, muss hin und wieder aber doch eines verkaufen, um den Lebensunterhalt zu sichern. Dann malt sie das Bild eben für sich wieder nach. Erzählt wird aus ihrer Perspektive in der Ich-Form, teils in der Gegenwart, teils in Rückblenden, vor allem was die Zeit betrifft, in der sie und Kato einander kennengelernt haben, „in der Stadt im Ausland“und „in der Stadt im Inland“. Nun eben befinden sie sich auf dem Land, das sie sich gemeinsam einverleiben, so könnte man es auch sehen.
Artischocken erinnern an eine Vulva
Die Gegenwart ist von der sukzessiven Inbesitznahme der „Bude“beherrscht, von diesem neuen Leben inmitten einer struppigen Natur mit einem geliebten Menschen, einer sinnlichen Körperlichkeit, die sich wie ein schützender Mantel um die beiden legt.
Die Lust, mit der Katrin Schumacher in ihrem literarischen Debüt von den arrangierten Stillleben erzählt, mit Bergen von Früchten und einem Kaninchen dazwischen oder aufgeschnittenen Artischocken, die frappant einer Vulva ähneln, durchzieht das ganze Buch. Wenn Kato etwa Quitten einkocht, dann ist das ein kulinarisches Gesamtereignis, dessen Duft das ganze Haus umweht, obwohl die Quitten so ein „schwieriges Obst“sind, „nicht anzubeißen, das man erst zubereiten musste, um es zu essen“. Ein begehrtes Objekt der niederländischen Meister jedoch, so gibt es die „Vermeer-Quitten“oder die „Snyder-Quitten“. Das Quittenweiß der aufgeschnittenen Frucht sei ein vollkommenes Weiß, das Kato einst auf einer Fotografie der nackten Vivienne Westwood gesehen hatte, deren Haut genau dieser Farbe entsprach.
Schumacher schwelgt in opulenten Bildern und oft in poetisch-mystischer Sprache, hält aber immer die Balance, kippt nicht in Kitsch oder Schwulst; die Liebe zwischen den beiden Frauen ist kein Stillleben, sie verändert sich. Ein durch und durch gelungenes Gesamtkunstwerk, das bereits der Buchumschlag mit seinen dem Verfall preisgegebenen Früchten, die von Schnecken und einer Wespe bedroht werden, andeutet.