Der Mond ist eine Tablette
Sprünge und überraschende Wendungen liebt die litauische Dichterin Aušra Kaziliūnaitė. Mit „Feiertags Makeup“liegt nun ein Überblicksband in deutscher Sprache vor.
Die 36-jährige litauische Poetin Aušra Kaziliūnaitė hat bislang fünf Gedichtbände veröffentlicht und wurde bereits in 18 Sprachen übersetzt; sie hat etliche Auftritte und Aufenthalte im deutschsprachigen Raum hinter sich – zuletzt im Lyrikkabinett München und an der Akademie der Künste Berlin. Nun liegt unter dem Titel „Feiertags Makeup“endlich ein Band auf Deutsch vor, der einen Überblick über ihr bisheriges Werk ermöglicht. Er beginnt mit Gedichten aus ihrem jüngsten Gedichtband „Da ist kein Meer“– Kaziliūnaitė liebt thesenhafte Titel, die sie in ihren Texten variiert und weiterspinnt. Aber sie kann einen Titel auch in produktiver Spannung zum Gedicht setzen, die man lesend auflösen muss. Heißt ein Gedicht „pressetext“, oder „abendnachrichten“, so darf man sich nichts erwarten, was diesen Genres entspricht.
Diese Lyrikerin liebt Sprünge, überraschende Wendungen, die einen bisweilen aus knappen Realitätsfragmenten in surreale Bildwelten kippen lassen. Ihre Bilder sind stark und sehr spezifisch, aber auch die Denkerin, die promovierte Philosophin, schaut immer wieder zwischen den Gedichtzeilen hervor. Und sie provoziert gerne. „Der Mond ist eine Tablette“heißt ihr 2014 erschienener Gedichtband – eine produktive Ernüchterung angesichts der vielen Monde, die seit Jahrhunderten durch unzählige litauische, aber auch deutsche Gedichte geistern.
Formal hat Aušra Kaziliūnaitė ein breites Repertoire: Ihre freirhythmischen und ungereimten Gedichte weisen weitausschwingende melodiöse Verszeilen ebenso auf wie aphoristisch verknappte Formulierungen. Sie versteht sich auf Wiederholungen und Variationen. Gerne spielt sie auch mit der grafischen Form und dem Schriftbild. Die weitgehend interpunktionslosen Verse in konsequenter Kleinschreibung fordern ein bewusstes Aufspüren der Satzstrukturen.
Disparate Bildwelten
Kaziliūnaitė lässt sich durchaus auf so traditionelle Themen der Lyrik wie Natur, Jahreszeiten, Liebe und Tod ein – aber in ihrer sehr spezifischen Sprache und in einer sprunghaften Widerspenstigkeit gegen gewohnte Zusammenhänge, so etwa in dem Gedicht „erste etage“, das folgende Szenerie entwirft: „aus meinem fenster sieht man / wie die o-bus-kabel / menschen davontragen // der strom blitzt auf und / erlischt // die pupillen verengen / und weiten sich // das blut strömt in die schläfen // ein hirsch hebt / unruhig den kopf // und lauscht dem noch nie gehörten / plätschern der nacht / aus der er getrunken hat.“
Andere Gedichte bestehen aus viel disparateren Bildwelten, die gelegentlich irritieren, immer jedoch zu faszinieren vermögen. Der Übersetzer Markus Roduner hat alles dafür getan, dass sie auch im Deutschen leuchten und einen verwundert aufhorchen lassen. Zu wünschen wären lediglich ein paar Erklärungen, denn wer kennt schon die Gründungssage von Vilnius oder weiß, dass Naujininkai ein Stadtviertel ist? Und ein Inhaltsverzeichnis hätte auch nicht geschadet. Aber was macht das schon aus angesichts der überraschenden Bild- und Klangwelten, die dieser Gedichtband evoziert. Von Aušra Kaziliūnaitė wird auch auf Deutsch noch mehr zu lesen sein.