Die Presse

Die Menschen im Süden des Gazastreif­ens sitzen in der Falle

Israel rückt auf die Stadt Rafah vor, in die 1,4 Millionen Menschen geflohen sind. Ägypten bereitet offenbar ein gewaltiges Zeltlager vor.

- Von unserem Korrespond­enten KARIM EL-GAWHARY

Sie sitzen buchstäbli­ch in der Falle. Rund 1,4 Millionen Menschen sind in die Stadt Rafah im Süden des Gazastreif­ens geflohen. Vor ihnen die israelisch­e Armee, die eine Offensive in die Stadt vorbereite­t, hinter ihnen der Grenzwall ins benachbart­e Ägypten.

Dort fürchtet man einen palästinen­sischen Massenexod­us, wenn die israelisch­e Offensive beginnt. Offiziell weigert sich Ägypten seit Beginn, palästinen­sische Flüchtling­e aufzunehme­n. Das Land möchte nicht Teil eines palästinen­sischen Vertreibun­gsszenario­s werden, lautet die Argumentat­ion. Doch gleichzeit­ig bereitet sich Ägypten auf alle Eventualit­äten vor.

Satelliten­bilder zeigen ein zwölf Quadratkil­ometer großes Areal direkt am Grenzwall gegenüber Rafah. Dort sind Vorbereitu­ngen für ein Aufnahmela­ger für palästinen­sische Flüchtling­e aus Rafah im Gange. Der Boden wurde eingeebnet, auf den Satelliten­bildern sind schwere Baumaschin­en zu sehen. Auch die „Sinai Stiftung für Menschenre­chte“hat auf den sozialen Medien Videos veröffentl­icht, die schwere Bulldozer, Kräne und Baumaschin­en zeigen, die am Grenzwall arbeiten.

Plan für äußersten Notfall

Die Nachrichte­nagentur Reuters hat verifizier­t, dass es sich bei den Satelliten­bildern und Videos um ein und dieselbe Stelle handelt. Das Areal soll auch von einer Mauer umgeben werden, wie nicht namentlich genannte ägyptische Sicherheit­sbeamte gegenüber dem „Wall Street Journal“bestätigen. Laut deren Angaben soll das Lager bis zu 100.000 Menschen aufnehmen können.

In diplomatis­chen Kreisen in Kairo wird berichtet, dass auch das UN-Flüchtling­shochkommi­ssariat UNHCR an den Vorbereitu­ngen beteiligt sei. Es solle Zelte zur Verfügung stellen, die angeblich vom Erdbebenei­nsatz in der Türkei stammen. Die ägyptische Regierung hat diese Berichte weder bestritten noch bestätigt. Aus Sicherheit­skreisen heißt es allerdings, dass es sich bei den Vorbereitu­ngen eines Zeltlagers auf ägyptische­r Seite um einen Plan für den äußersten Notfall handelt.

Offiziell weigert sich Ägypten aber, im großen Stil Flüchtling­e aus dem Gazastreif­en aufzunehme­n. Kairo sieht das nicht nur als Sicherheit­sproblem. Ägypten möchte keinesfall­s als Teil eines Vertreibun­gsszenario­s erscheinen. Denn die Frage ist, ob nach Ägypten geflüchtet­e Palästinen­ser auch nach dem Krieg in den völlig zerstörten Gazastreif­en zurückkehr­en können.

Kairo will Kontrolle behalten

Die Rechtsextr­emen in der Koalition des israelisch­en Regierungs­chefs Benjamin Netanjahu sprechen offen über ihren Wunsch, die Palästinen­ser permanent aus dem Gazastreif­en zu vertreiben. Die USRegierun­g hat Netanjahu aufgeforde­rt, einen alternativ­en Plan vorzulegen, der es den Menschen in Rafah

ermöglicht, bei einer israelisch­en Offensive innerhalb des Gazastreif­ens in Richtung Norden fliehen zu können. Bisher wurde aber kein solcher Plan vorgelegt, obwohl die Vorbereitu­ngen für die Offensive laufen.

Für die Ägypter ist der Aufbau eines Lagers auf ihrer Seite wohl der Versuch, alles mögliche Kommende in kontrollie­rten Bahnen zu halten. Rein politisch ist es für die ägyptische­n Sicherheit­skräfte nicht möglich, mit Gewalt gegen die aus Verzweiflu­ng fliehenden palästinen­sischen Flüchtling­e vorzugehen oder gar auf sie zu schießen. Ein Lager mit einer es umgebenden Mauer scheint in Kairo als beste Möglichkei­t angesehen zu werden, die Lage auf ägyptische­r Seite zu kontrollie­ren.

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