„Trumps Aussagen erhöhen auch die Gefahr für Österreich“
Bundesheer-Stratege Peter Vorhofer über Österreichs Neutralität und die Bedrohung aus dem Osten: „Russlands Rüstungsindustrie produziert mehr, als der Ukraine-Krieg erfordert.“
Die Presse: Sie haben neulich das Risiko einer Konfrontation zwischen der EU und Russland als „sehr hoch“bezeichnet. Welches konkrete Szenario bereitet Ihnen dabei mit Blick auf Österreich das größte Kopfzerbrechen?
Peter Vorhofer: Desinformation und Cyberangriffe. Denn diese Bereiche wirken so ähnlich, wie wenn man einen Menschen vorher mit einer Verkühlung oder einer Grippe infiziert, um ihn dann weiter zu attackieren. Wenn jemand dazu beiträgt, dass in einem Staat innere Konflikte ausgetragen werden, dann ist das für ihn ein Riesenvorteil, weil dieser Staat nicht seine ganze Energie darauf verwenden kann, sich einer Bedrohung von außen zuzuwenden. Man erkennt solche Angriffe auch nicht sofort. Es ist ein schleichender Prozess.
Können Sie das an einem Beispiel festmachen?
Wenn Österreich in der Außenpolitik bestimmte Entscheidungen trifft, steigt immer die Rate der Cyberangriffe. Ich will aber keine konkreten Länder ansprechen.
Zuletzt haben westeuropäische Verteidigungspolitiker vor der Gefahr eines konventionellen Kriegs mit Russland gewarnt. Dem Westen blieben nur ein paar Jahre, um sich darauf vorzubereiten. Warum haben sich diese Warnungen vor einem Krieg mit Russland in den vergangenen ein, zwei Monaten gehäuft?
Das ist leicht erklärbar. Der Ukraine-Krieg hat Russland seine Schwächen aufgezeigt: Es hat über die Jahrzehnte an militärischer Stärke eingebüßt. Daraufhin hat es eine Rüstungsmaschinerie in Gang gesetzt. Wir können bereits feststellen, dass Russland neue Bereiche aufbaut und dass es in Mengen produziert, die über das hinausgehen, was der Ukraine-Krieg erfordert. Die Russen könnten daher in sechs bis zehn Jahren wieder in die Lage kommen, weitere Maßnahmen zu setzen. Ob sie es tun, ist eine andere Frage. Es ist nämlich ein Unterschied, ob man ein einzelnes Land angreift oder ein Bündnis wie die Nato.
Das heißt: Russland hat seine Schwächen erkannt und sich angepasst?
Genau. Und jetzt entsteht eine Art „War of Warehouses“. Europa versucht, gleichzuziehen. Momentan ist die europäische Rüstungsindustrie noch nicht dazu in der Lage.
Hat Sie die Dimension der russischen Kriegswirtschaft überrascht?
Es überrascht, dass die Sanktionen so wenig Effekt haben. Man hatte wohl zu wenig im Fokus, dass die Unterstützungen für Russland aus dem globalen Süden ja trotzdem weiterlaufen. Die Russen waren zudem immer schon ein sehr flexibles und improvisationsfähiges Volk. Man hat Chips aus Haartrocknern, Radios und Kühlschränken in Waffensysteme eingebaut, bis wieder Nachschub kam.
Vielen im Westen bereitet das Szenario Sorgen, dass zugleich die Nato unter einem erneuten US-Präsidenten Donald Trump stark geschwächt werden könnte. Wie würde sich das auf Österreich sicherheitspolitisch auswirken?
Wenn sich dann Europa selbst zunehmend um das Überleben der Ukraine kümmern müsste, würden auch die Anforderungen in der Union an Österreich immer höher werden. Österreich hat sich zwar entschlossen, keine Waffen zu liefern, es würde aber vermehrt eine höhere zivile wirtschaftliche Unterstützung der Ukraine gefordert werden. Denn die Ukraine braucht ja genauso wie militärische auch wirtschaftliche und humanitäre Hilfen.
Und was wären die Folgen jenseits der Ukraine-Hilfe?
Österreich ist natürlich indirekt davon betroffen, ob die Nato ihre Wirkung entfaltet oder nicht. Wenn es jetzt diese Aussagen von Trump gibt (im Fall seiner Wiederwahl will er Nato-Staaten, die finanziell nicht ausreichend in ihre Verteidigung investieren, nicht vor russischen Angriffen schützen, Anm.), erhöht dies die Gefahr, dass jemand, der Böses will, etwas mit konventionellen militärischen Mitteln ausprobiert.
Und das erhöht natürlich auch die Gefahr für Staaten wie die Schweiz und Österreich, die mittendrin sind.
Rund um das „Risikobild 2024“haben Militärs gefordert, das Bundesheer müsse „kriegsfähig“werden. Die Politik hat zurückgerudert und lieber von „verteidigungsfähig“gesprochen.
Es meint beides das Gleiche. Beides umschreibt die Fähigkeit, Krieg im klassischen Sinn führen zu können. Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten aufgrund der friedlichen Situation in Europa unsere Streitkräfte auf Auslands- und Stabilisierungsmissionen ausgerichtet.
Die Soldaten haben dafür anders trainiert, ein anderes Mindset mitbekommen, und sie hatten auch andere Systeme, die für eine Verteidigung wenig geeignet sind oder quantitativ nicht ausreichen. Wenn wir verteidigungsfähig werden wollen, muss aber auch die Bevölkerung mittun. Deshalb wollen wir, dass sie versteht, was sich ändert, dass dieser Umbruch auch morgen nicht vorbei sein wird und dass die Herausforderungen grundsätzlich größer werden.
Warum ist die Verteidigungsbereitschaft in Österreich laut Umfragen besonders niedrig?
Weil man einerseits darauf gesetzt hat, Teil der EU zu sein und anderseits auf das Konzept der Neutralität, das die Bevölkerung ein bisschen davon weggelenkt hat, sich mit dem zu befassen, was in der Welt passiert. Jedenfalls bin ich der Meinung, dass wir in Zukunft vier Verteidigungslinien haben werden: erstens die Sicherheits- und Außenpolitik, zweitens die Wirtschaftspolitik, drittens die Technologiepolitik und viertens die Landesverteidigung. Anders als früher müssen wir alle Bereiche gleichzeitig bearbeiten, und dabei geht es auch um die Geschwindigkeit.
Neben Finnland dürfte Schweden demnächst ebenfalls Nato-Mitglied werden. Die Masse der Neutralen und Bündnisfreien in der EU ist also geschrumpft. Wird es dadurch für Österreich schwieriger, auf EU-Ebene seine sicherheitspolitischen Anliegen durchzubringen?
Ja. Mit Schweden, Finnland und Österreich stellte die Zahl der neutralen Staaten doch eine gewisse kritische Masse dar, um Anliegen leichter durchzubringen. Das ist mit den vier übrig gebliebenen Neutralen (Österreich, Irland, Malta, Zypern, Anm.) etwas schwieriger. Wir versuchen aber, dies durch Kooperationen mit anderen Staaten wieder in Gang zu bringen, um verstärkt wieder wahrgenommen zu werden.
Bereits im Jänner 2023 haben Sie in einer Rede davor gewarnt, dass sich Österreich wegen der Beistandsklausel im EU-Vertrag dringend Gedanken machen muss. Hat sich diese Problematik seither verschärft?
Diese Frage wird jedenfalls nicht verschwinden, weil die Zahl der Konflikte und gewalttätigen Auseinandersetzungen steigt. Es werden von der Union daher wohl mehr außenpolitische Anfragen an Österreich kommen, welche Beiträge Österreich denn liefert. Wenn sich das im bisherigen Rahmen bewegt, ist das rechtlich kein Problem. Interessant wird es aber, wenn ein Mitgliedstaat die EU-Beistandspflicht ausruft.
Die regelbasierte Ordnung zerfällt. Wie sollte sich Europa auf der Weltbühne verhalten?
Erstens muss Europa die Entscheidung treffen, ob es ein sicherheitspolitisch glaubhafter Akteur werden möchte und was dazu erforderlich ist. Europa – und damit auch wir – muss den Willen haben, wenn es um seine vitalen Interessen geht, seine Mittel auch einzusetzen. Drittens ist die Frage entscheidend, welche Partner wir zukünftig haben möchten. Gerade um die Länder des globalen Südens wird derzeit heftig gerungen. Und wir schauen derzeit alle Richtung Ukraine und Naher Osten. Aber inzwischen hat Russland in Nordafrika großen Einfluss genommen. Im Sahelraum hat es den Finger auf einen ganz wichtigen Bereich gelegt, und zwar auf die Migration.
ZUR PERSON
Generalmajor Peter Vorhofer (56) leitet die Direktion Verteidigungspolitik und Internationale Beziehungen im Verteidigungsministerium. Die Direktion des Tirolers war auch für die Erstellung des neulich präsentierten „Risikobilds“verantwortlich.
Das Konzept der Neutralität hat die heimische Bevölkerung ein bisschen davon weggelenkt, sich mit dem zu befassen, was in der Welt passiert.