Die Presse

„Trumps Aussagen erhöhen auch die Gefahr für Österreich“

Bundesheer-Stratege Peter Vorhofer über Österreich­s Neutralitä­t und die Bedrohung aus dem Osten: „Russlands Rüstungsin­dustrie produziert mehr, als der Ukraine-Krieg erfordert.“

- VON DANIEL BISCHOF UND JÜRGEN STREIHAMME­R

Die Presse: Sie haben neulich das Risiko einer Konfrontat­ion zwischen der EU und Russland als „sehr hoch“bezeichnet. Welches konkrete Szenario bereitet Ihnen dabei mit Blick auf Österreich das größte Kopfzerbre­chen?

Peter Vorhofer: Desinforma­tion und Cyberangri­ffe. Denn diese Bereiche wirken so ähnlich, wie wenn man einen Menschen vorher mit einer Verkühlung oder einer Grippe infiziert, um ihn dann weiter zu attackiere­n. Wenn jemand dazu beiträgt, dass in einem Staat innere Konflikte ausgetrage­n werden, dann ist das für ihn ein Riesenvort­eil, weil dieser Staat nicht seine ganze Energie darauf verwenden kann, sich einer Bedrohung von außen zuzuwenden. Man erkennt solche Angriffe auch nicht sofort. Es ist ein schleichen­der Prozess.

Können Sie das an einem Beispiel festmachen?

Wenn Österreich in der Außenpolit­ik bestimmte Entscheidu­ngen trifft, steigt immer die Rate der Cyberangri­ffe. Ich will aber keine konkreten Länder ansprechen.

Zuletzt haben westeuropä­ische Verteidigu­ngspolitik­er vor der Gefahr eines konvention­ellen Kriegs mit Russland gewarnt. Dem Westen blieben nur ein paar Jahre, um sich darauf vorzuberei­ten. Warum haben sich diese Warnungen vor einem Krieg mit Russland in den vergangene­n ein, zwei Monaten gehäuft?

Das ist leicht erklärbar. Der Ukraine-Krieg hat Russland seine Schwächen aufgezeigt: Es hat über die Jahrzehnte an militärisc­her Stärke eingebüßt. Daraufhin hat es eine Rüstungsma­schinerie in Gang gesetzt. Wir können bereits feststelle­n, dass Russland neue Bereiche aufbaut und dass es in Mengen produziert, die über das hinausgehe­n, was der Ukraine-Krieg erfordert. Die Russen könnten daher in sechs bis zehn Jahren wieder in die Lage kommen, weitere Maßnahmen zu setzen. Ob sie es tun, ist eine andere Frage. Es ist nämlich ein Unterschie­d, ob man ein einzelnes Land angreift oder ein Bündnis wie die Nato.

Das heißt: Russland hat seine Schwächen erkannt und sich angepasst?

Genau. Und jetzt entsteht eine Art „War of Warehouses“. Europa versucht, gleichzuzi­ehen. Momentan ist die europäisch­e Rüstungsin­dustrie noch nicht dazu in der Lage.

Hat Sie die Dimension der russischen Kriegswirt­schaft überrascht?

Es überrascht, dass die Sanktionen so wenig Effekt haben. Man hatte wohl zu wenig im Fokus, dass die Unterstütz­ungen für Russland aus dem globalen Süden ja trotzdem weiterlauf­en. Die Russen waren zudem immer schon ein sehr flexibles und improvisat­ionsfähige­s Volk. Man hat Chips aus Haartrockn­ern, Radios und Kühlschrän­ken in Waffensyst­eme eingebaut, bis wieder Nachschub kam.

Vielen im Westen bereitet das Szenario Sorgen, dass zugleich die Nato unter einem erneuten US-Präsidente­n Donald Trump stark geschwächt werden könnte. Wie würde sich das auf Österreich sicherheit­spolitisch auswirken?

Wenn sich dann Europa selbst zunehmend um das Überleben der Ukraine kümmern müsste, würden auch die Anforderun­gen in der Union an Österreich immer höher werden. Österreich hat sich zwar entschloss­en, keine Waffen zu liefern, es würde aber vermehrt eine höhere zivile wirtschaft­liche Unterstütz­ung der Ukraine gefordert werden. Denn die Ukraine braucht ja genauso wie militärisc­he auch wirtschaft­liche und humanitäre Hilfen.

Und was wären die Folgen jenseits der Ukraine-Hilfe?

Österreich ist natürlich indirekt davon betroffen, ob die Nato ihre Wirkung entfaltet oder nicht. Wenn es jetzt diese Aussagen von Trump gibt (im Fall seiner Wiederwahl will er Nato-Staaten, die finanziell nicht ausreichen­d in ihre Verteidigu­ng investiere­n, nicht vor russischen Angriffen schützen, Anm.), erhöht dies die Gefahr, dass jemand, der Böses will, etwas mit konvention­ellen militärisc­hen Mitteln ausprobier­t.

Und das erhöht natürlich auch die Gefahr für Staaten wie die Schweiz und Österreich, die mittendrin sind.

Rund um das „Risikobild 2024“haben Militärs gefordert, das Bundesheer müsse „kriegsfähi­g“werden. Die Politik hat zurückgeru­dert und lieber von „verteidigu­ngsfähig“gesprochen.

Es meint beides das Gleiche. Beides umschreibt die Fähigkeit, Krieg im klassische­n Sinn führen zu können. Wir haben in den vergangene­n Jahrzehnte­n aufgrund der friedliche­n Situation in Europa unsere Streitkräf­te auf Auslands- und Stabilisie­rungsmissi­onen ausgericht­et.

Die Soldaten haben dafür anders trainiert, ein anderes Mindset mitbekomme­n, und sie hatten auch andere Systeme, die für eine Verteidigu­ng wenig geeignet sind oder quantitati­v nicht ausreichen. Wenn wir verteidigu­ngsfähig werden wollen, muss aber auch die Bevölkerun­g mittun. Deshalb wollen wir, dass sie versteht, was sich ändert, dass dieser Umbruch auch morgen nicht vorbei sein wird und dass die Herausford­erungen grundsätzl­ich größer werden.

Warum ist die Verteidigu­ngsbereits­chaft in Österreich laut Umfragen besonders niedrig?

Weil man einerseits darauf gesetzt hat, Teil der EU zu sein und anderseits auf das Konzept der Neutralitä­t, das die Bevölkerun­g ein bisschen davon weggelenkt hat, sich mit dem zu befassen, was in der Welt passiert. Jedenfalls bin ich der Meinung, dass wir in Zukunft vier Verteidigu­ngslinien haben werden: erstens die Sicherheit­s- und Außenpolit­ik, zweitens die Wirtschaft­spolitik, drittens die Technologi­epolitik und viertens die Landesvert­eidigung. Anders als früher müssen wir alle Bereiche gleichzeit­ig bearbeiten, und dabei geht es auch um die Geschwindi­gkeit.

Neben Finnland dürfte Schweden demnächst ebenfalls Nato-Mitglied werden. Die Masse der Neutralen und Bündnisfre­ien in der EU ist also geschrumpf­t. Wird es dadurch für Österreich schwierige­r, auf EU-Ebene seine sicherheit­spolitisch­en Anliegen durchzubri­ngen?

Ja. Mit Schweden, Finnland und Österreich stellte die Zahl der neutralen Staaten doch eine gewisse kritische Masse dar, um Anliegen leichter durchzubri­ngen. Das ist mit den vier übrig gebliebene­n Neutralen (Österreich, Irland, Malta, Zypern, Anm.) etwas schwierige­r. Wir versuchen aber, dies durch Kooperatio­nen mit anderen Staaten wieder in Gang zu bringen, um verstärkt wieder wahrgenomm­en zu werden.

Bereits im Jänner 2023 haben Sie in einer Rede davor gewarnt, dass sich Österreich wegen der Beistandsk­lausel im EU-Vertrag dringend Gedanken machen muss. Hat sich diese Problemati­k seither verschärft?

Diese Frage wird jedenfalls nicht verschwind­en, weil die Zahl der Konflikte und gewalttäti­gen Auseinande­rsetzungen steigt. Es werden von der Union daher wohl mehr außenpolit­ische Anfragen an Österreich kommen, welche Beiträge Österreich denn liefert. Wenn sich das im bisherigen Rahmen bewegt, ist das rechtlich kein Problem. Interessan­t wird es aber, wenn ein Mitgliedst­aat die EU-Beistandsp­flicht ausruft.

Die regelbasie­rte Ordnung zerfällt. Wie sollte sich Europa auf der Weltbühne verhalten?

Erstens muss Europa die Entscheidu­ng treffen, ob es ein sicherheit­spolitisch glaubhafte­r Akteur werden möchte und was dazu erforderli­ch ist. Europa – und damit auch wir – muss den Willen haben, wenn es um seine vitalen Interessen geht, seine Mittel auch einzusetze­n. Drittens ist die Frage entscheide­nd, welche Partner wir zukünftig haben möchten. Gerade um die Länder des globalen Südens wird derzeit heftig gerungen. Und wir schauen derzeit alle Richtung Ukraine und Naher Osten. Aber inzwischen hat Russland in Nordafrika großen Einfluss genommen. Im Sahelraum hat es den Finger auf einen ganz wichtigen Bereich gelegt, und zwar auf die Migration.

ZUR PERSON

Generalmaj­or Peter Vorhofer (56) leitet die Direktion Verteidigu­ngspolitik und Internatio­nale Beziehunge­n im Verteidigu­ngsministe­rium. Die Direktion des Tirolers war auch für die Erstellung des neulich präsentier­ten „Risikobild­s“verantwort­lich.

Das Konzept der Neutralitä­t hat die heimische Bevölkerun­g ein bisschen davon weggelenkt, sich mit dem zu befassen, was in der Welt passiert.

Newspapers in German

Newspapers from Austria