Schwere Vorwürfe von Rassismus im Wiener AKH
Eine Pflegerin soll von einem Kollegen rassistisch bedroht worden sein und wirft dem Spital vor, ihr nicht geholfen zu haben.
Es passiert im Herbst 2022 im Wiener AKH. Anna Berisha (Name geändert) hatte wie gewöhnlich Dienst auf ihrer Station. Berisha ist seit mehr als zehn Jahren als Gesundheitsund Krankenpflegerin tätig, davon die vergangenen acht Jahre im AKH. Sie kennt ihren Job, weiß, was zu tun ist. An jenem Tag sollte sie einen neuen Kollegen einschulen. Er hat Migrationshintergrund wie sie selbst.
Er ist serbischer Abstammung. Sie ist im Kosovo geboren, wenn auch schon als Kleinkind nach Österreich gekommen. Doch zwischen ihr und dem neuen Kollegen – das wird schnell klar – stimmt die Chemie nicht. So erzählt sie zumindest die Geschichte – die schlussendlich vor Gericht landen wird – der „Presse“. „Er hat mich provoziert“, sagt Berisha. Er habe Sätze gesagt wie: „Mein Vater hat gesagt, Albanern darf man nicht trauen.“Und er sei noch weiter gegangen: „Hast du nicht Angst vor mir, wenn wir zwei Nachtdienst haben, dass ich dir den Schädel abhacke?“, soll er gesagt haben.
Kroatin beleidigt
Berisha ist schwer irritiert, als sie das hört, tut es aber als eine Art schlechten Scherz ab. Die Situation ändert sich komplett, als zwei Wochen später auch eine kroatische Kollegin berichtet, dass sie von dem Mann rassistisch beleidigt worden sei. Der Kollege, glaubt Berisha, meint es mit seinen Aussagen offenbar ernst.
Berisha beschließt daraufhin, ihren Vorfall bei der Stationsleitung zu melden. Dort wird sie ihrer Aussage nach auf die Bereichsleitung verwiesen. Erst eine Woche später gibt es ein Gespräch mit der Bereichsleiterin. Berisha will, dass der Kollege die Station wechselt. Die Bereichsleiterin habe sie aber hingehalten, erzählt sie. Denn diese habe sich erst erkundigen wollen, wie man bei solchen Vorfällen vorgehe. Außerdem habe die Bereichsleiterin kritisiert, dass Berisha keinen Zeugen für den Vorfall habe. Weiters habe die Chefin vorgeschlagen, einen gemeinsamen Nachtdienst mit dem Kollegen zu machen und ihn auf den Vorfall anzusprechen. Sie solle, so die Botschaft, quasi alles selbst klären.
Berisha hält das für keine gute Idee, willigt aber ein. Im Nachtdienst spricht sie den Kollegen an, der tut alles als Spaß ab. Für Berisha ist die Spaßlinie aber schon längst überschritten. Sie fühlt sich nicht mehr sicher, sagt, sie möchte mit dem Kollegen keinen Dienst mehr machen. Gleichzeitig sei ihr seitens der Bereichsleistung signalisiert worden, dass der Mann ohnehin nach der Einschulung die Station verlassen werde.
„Ruhig verhalten“
Das bestätigt auch eine Kollegin von Berisha, die mit der „Presse“spricht. „Man hat uns gesagt, wir sollen uns alle ruhig verhalten, und es wird über die Einschulung gelöst“, erzählt die Kollegin. Heißt, der serbische Kollege hätte nach der dreimonatigen Einschulung woanders hinkommen sollen. Dieses „Ruhig-verhalten“und Dingenicht-aussprechen, wird die Kollegin später sagen, sei Gift für das Klima gewesen. Jeder habe gewusst, dass es ein Problem gebe, jeder habe hinterrücks gesprochen, aber offen angesprochen sei der Fall nie geworden. Darunter hätte das ganze Team gelitten.
Berisha erzählt, ihr sei schließlich zugesichert worden, dass sie keinen Dienst mehr mit dem Kollegen machen müsse. Doch statt dass er geht, wenn die beiden im Dienst kollidieren, muss sie selbst die Station wechseln. Dass sie weiterhin bei der Dienstübergabe Kontakt mit ihm hat, stresst sie zusätzlich. Sie habe Angst vor dem Kollegen gehabt, erzählt sie, sie habe ihn nicht einschätzen können. Gleichzeitig fühlt sie sich aber auch von ihren Vorgesetzten alleingelassen. „Sie war wochenlang ein Nervenbündel und hat nur mehr geweint“, erzählt Berishas Mann, der bei dem Gespräch mit der „Presse“dabei ist.
Erst einen Monat nachdem sie den Vorfall gemeldet hat, hat sie ein Gespräch mit der Personalleitung. Danach wird ihr mitgeteilt, dass der Kollege die Station verlassen wird. Sie freut sich, bedankt sich. Bis sie bemerkt: Der Mann wurde nur innerhalb der Station in eine andere Gruppe versetzt. Sie kann nach wie vor Kontakt mit ihm haben. Denn ihre Station habe auf seiner ausgeholfen, sagt sie. Es ist mittlerweile Anfang Dezember 2022.
Anfang Jänner 2023 spitzt sich die Situation weiter zu. Berisha ist mittlerweile schwanger und verliert die ungeborenen Zwillinge. Sie macht auch ihren psychischen Ausnahmezustand infolge der Arbeitssituation dafür verantwortlich. Auf ihre Fehlgeburt folgt ein Zusammenbruch. Sie bleibt mehrere Wochen in Reha. Als sie im Mai wieder zurückkommen soll, ist klar: Sie will hier nicht mehr arbeiten und bittet um eine einvernehmliche Kündigung. Erschrocken ist sie, als sie auf der Kopie des Kündigungsschreibens einen schriftlichen Vermerk sieht, wonach eine Wiedereinstellung im AKH nicht befürwortet wird. Damit sind ihr wohl auch die Chancen in anderen Wigev-Krankenhäusern verbaut.
Ebenfalls sei ihr nach der Kündigung sinngemäß mitgeteilt worden, dass sie das Problem sei, erzählt sie. Sie habe zu viele Krankenstände gehabt, auch sei an ihren Fähigkeiten, als Krankenschwester zu arbeiten, auf einmal gezweifelt worden. In einem Gesprächsprotokoll mit der Personalleitung sei weiters festgehalten worden, dass man dem serbischen Kollegen, der den Vorfall abstreitet, Glauben schenke und nicht ihr, erzählt sie. Anstatt als das Opfer von Rassismus gesehen zu werden, hat sie nun das Gefühl, sie wird auch noch dafür bestraft, den Vorfall gemeldet zu haben.
Ihr reicht es. Im Juli 2023 klagte sie das AKH wegen zahlreicher Verstöße gegen die Pflichten eines Dienstgebers auf Schmerzengeld und Schadenersatz. Die erste Verhandlung ist für März anberaumt.
Das AKH wehrt sich
Seitens des AKH heißt es, man könne sich aus rechtlichen Gründen nicht im Detail zu dem Fall äußern. Nur so viel: „Die Leitung des AKH Wien tritt klar gegen jegliche Art von Diskriminierung am Arbeitsplatz auf. Grenzüberschreitungen werden nicht geduldet, und
‘‘ Hast du nicht Angst, dass ich dir den Schädel abhacke? Ein Kollege Anna Berishas laut ihren Angaben zu ihr
jedem Vorwurf wird umgehend nachgegangen. Die Sicherstellung einer diskriminierungsfreien Arbeitsumgebung und einer konstruktiven Zusammenarbeit über alle Berufsgruppen hinweg ist der Spitalsleitung ein sehr großes Anliegen.“Die betroffenen Personen seien „ausführlich und schriftlich dokumentiert befragt, die Vorwürfe abteilungsübergreifend genauestens überprüft und entsprechende Vorkehrungen getroffen“worden. Der Vorwurf „einer Verletzung der Fürsorgepflicht ist in keiner Weise nachvollziehbar“. Der Fall werde nun gerichtlich untersucht.
Vorgehen bei Konflikten
Unabhängig davon stellt sich eine andere Frage: Wie will das AKH generell mit ethnischen Konflikten umgehen? Gesundheitsberufe sind Mangelberufe. Es wird händeringend nach Personal gesucht, weswegen auch Syrer, Afghanen bzw. viele Einwanderer gern in der Branche aufgenommen werden. Dazu heißt es, dass alle Führungskräfte zu den „erforderlichen Sofortmaßnahmen bei Vorfällen von Diskriminierung, Mobbing oder Aggression geschult“werden. Es gebe klare Vorgaben, die einzuhalten seien. Vorwürfe gegen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen seien „umgehend an die Direktion und an die Abteilung Personal zu melden. Die Beschuldigten werden bis zur Klärung der Vorwürfe vom Dienst abgezogen, den Betroffenen wird psychologische Unterstützung angeboten. Zusätzlich sind im Intranet des AKH Wien umfangreiche Informationen zu Regelungen und Meldewegen enthalten, u. a. zur Vorgangsweise bei diskriminierendem Verhalten“, so eine schriftliche Stellungnahme.
Wie schnell muss reagiert werden? „Es ist eine sofortige Meldung ab Kenntnis des Ereignisses an die jeweilige Direktion und an die Abteilung Personal durchzuführen“, heißt es dazu. Für die Betroffenen stünden außerdem Personalvertretung, Gleichbehandlungsbeauftragte etc. zur Verfügung.