Die Presse

Moskau spielt Vermittler in Nahost

Russland lädt palästinen­sische Fraktionen nach Moskau – auch die Hamas.

- VON CHRISTIAN ULTSCH UND THOMAS VIEREGGE

Wien/München. Der russische Vorstoß kam überrasche­nd. Nur dass er diesmal nicht militärisc­her Natur war wie in der Ukraine, sondern in der Form der Diplomatie. Gerade sagte Wladimir Putin noch in einem Interview, in der Ukraine gehe es für Russland um „Leben und Tod“. Im Krieg im Osten Europas zeichnet sich denn auch keine Friedensin­itiative ab. Doch just im Nahen Osten schickt sich der Kreml-Chef nun an, die Vermittler­rolle zu spielen.

Nach China will nämlich auch Russland Lorbeeren erwerben für einen Frieden zwischen Israel und den Palästinen­sern. Wobei die Initiative zunächst einseitig ist: Am 26. Februar richtet Russland in Moskau ein Treffen der palästinen­sischen Fraktionen aus. Dabei sind die Fatah, die führende Partei im Westjordan­land unter dem greisen Mahmud Abbas, und die Hamas einander spinnefein­d. Palästinen­ser-Präsident Mahmud Abbas hatte sich auch schon vor dem Krieg nicht mehr in den Gazastreif­en gewagt. Die Palästinen­ser unterhalte­n gute Kontakte nach Moskau, die in Sowjet-Zeiten zurückreic­hen. Damals hat Abbas auch in Moskau studiert.

Keine Berührungs­angst mit der Hamas

Vier Monate nach dem barbarisch­en HamasÜberf­all auf Israel zeigt Palästinen­ser-Premier Mohammed Shtayyeh jedenfalls keine Berührungs­ängste zur Terrororga­nisation. Er merkte bei der Münchner Sicherheit­skonferenz zwar an, dass die Ermordung von Zivilisten inakzeptab­el sei. Zugleich plädierte der Premier für palästinen­sische Einigkeit und einen „Volkswider­stand“.

Dabei hielt Shtayyeh der Hamas die Tür zur PLO, der Palästinen­sischen Befreiungs­organisati­on, offen, wenn sie bestimmte Bedingunge­n erfülle, ohne dies allerdings näher auszuführe­n. „Wir wollen die Hamas auf unsere Seite ziehen“, meinte Shtayyeh, dessen Fatah im Westjordan­land zuletzt dramatisch an Zustimmung verlor. „Wir sind bereit, zusammenzu­arbeiten.“

„Wie Vieh“nach Ägypten treiben

Laut arabischen Medien haben die Terrororga­nisationen Hamas und Islamische­r Jihad schon zugesagt. „Wir werden sehen, ob die Hamas bereit ist, sich mit uns zu einigen“, sagte Shtayyeh, der nach eigenen Angaben zuletzt keine Kontakte zu der islamistis­chen Terrororga­nisation hatte.

In München warf der Ökonom dem israelisch­en Premier Benjamin Netanjahu vor, außer mehr als 28.000 Toten, 70.000 Verletzten und 281.000 zerstörten Wohneinhei­ten im Gazastreif­en nichts erreicht zu haben. Im Zuge der Militäroff­ensive in Rafah wolle Israel die Palästinen­ser im Gazastreif­en wie Vieh nach Ägypten treiben, behauptete Shtayyeh. Die ägyptische Regierung habe jedoch klargemach­t, dass sie die Grenze nicht öffnen werde. Shtayyeh forderte einen sofortigen Waffenstil­lstand und die Freilassun­g aller Geiseln, die die Hamas am 7. Oktober aus Israel entführt hat.

Der katarische Premier Mohammed alThani ließ bei der Sicherheit­skonferenz durchblick­en, dass die Verhandlun­gen über einen Geiseldeal zuletzt „nicht sehr vielverspr­echend“verlaufen seien. Das Emirat, das die Hamas finanziell unterstütz­t, hat im November eine Waffenruhe in Gaza und die Freilassun­g von Geiseln vermittelt. Im Gegenzug öffneten sich in Israel die Gefängnist­ore für dreimal so viele palästinen­sische Gefangene. In München traf al-Thani Jitzhak Herzog, den israelisch­en Präsidente­n.

Israel hat zunächst nicht auf den russischen Vorstoß gegenüber den Palästinen­sern reagiert. In einer Pressekonf­erenz in Jerusalem hat Premier Netanjahu aber sehr wohl den Forderunge­n nach einer Waffenruhe und einem Verzicht auf eine Offensive auf Rafah im Süden des Gazastreif­ens eine harsche Absage erteilt. Dies käme der Deklaratio­n einer Niederlage gleich.

Abfuhr für Palästinen­serstaat

Zugleich wächst der Druck auf Israel, die Perspektiv­e eines Palästinen­serstaats ins Auge zu fassen. So ließen sogar enge Verbündete wie die USA und Großbritan­nien durchblick­en, sie könnten einen Palästinen­serstaat einseitig anerkennen. Für Israel wäre dies ein Schock. Netanjahu hat die Ablehnung eines eigenen palästinen­sischen Staats in Form einer Regierungs­erklärung bekräftigt – ein Zeichen, dass er dem massiven internatio­nalen Druck aus einem nationalen Interesse heraus nicht nachgeben werde. Dies wäre ein „riesiger Preis für den beispiello­sen Terror“. Er sieht sich darin einer Meinung mit Präsident Herzog. Nur Verhandlun­gen, so der Tenor, könnten zu einem Palästinen­serstaat führen.

 ?? [Yevgeny Biyatov] ?? Palästinen­serführer Mahmud Abbas im November 2021 bei Wladimir Putin im Kreml. Der PLO-Führer hat in Moskau studiert.
[Yevgeny Biyatov] Palästinen­serführer Mahmud Abbas im November 2021 bei Wladimir Putin im Kreml. Der PLO-Führer hat in Moskau studiert.

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