Die Presse

Das Mullah-Regime in Teheran treibt sein Atomprogra­mm voran

Irans ehemaliger Atomchef behauptet, die Forscher hätten alle Teile für die Bombe beisammen.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS SEIBERT

Istanbul/Teheran. Während die Welt auf Gaza blickt, treibt der Iran sein Atomprogra­mm ohne wirksame internatio­nale Kontrollen voran. Rafael Grossi, der Leiter der Atomenergi­ebehörde IAEA, wirft den iranischen Behörden einen Mangel an Transparen­z vor. „Lasst uns sehen, was ihr habt“, sagte Grossi nun an die iranische Führung gerichtet. Ein ehemaliger Chef des iranischen Atomprogra­mms hatte Grossi und andere Fachleute mit der Bemerkung aufgeschre­ckt, das Regime in Teheran habe alle Teile für eine Atombombe beisammen und müsse sie nur noch zusammense­tzen. Ob das stimmt und ob der Iran die Bombe wirklich will, ist umstritten.

Der Westen und arabische Staaten wollen den Bau einer iranischen Atombombe verhindern, weil sie befürchten, dass die Islamische Republik die Waffe einsetzen könnte, um Israel anzugreife­n oder Nachbarsta­aten mit der Androhung eines Atomschlag­s zu erpressen. Israel und die USA wollen die Bombe notfalls mit Angriffen auf iranische Atomanlage­n verhindern.

Im Schatten des Gaza-Kriegs

Laut US-Geheimdien­sten gibt es keine Hinweise auf ein Bombenprog­ramm im Iran. Sichere Aussagen über den Stand der iranischen Atomforsch­ung sind indes schwierig. Weil die USA aus dem Atomabkomm­en von 2015 ausgestieg­en sind und neue Sanktionen gegen die Islamische Republik verhängt haben, hält sich Teheran nicht mehr an die Beschränku­ngen des Vertrags.

Der Gaza-Krieg sei eine Gelegenhei­t für den Iran, ungestört an Atombomben zu bauen, erklärte das US-Institut für Wissenscha­ft und Internatio­nale Sicherheit (Iwis) jetzt in einem Bericht. Seit Oktober führt die vom Iran unterstütz­te Hamas-Miliz in Gaza Krieg gegen Israel. Andere iranische Partner wie die Houthi-Rebellen im Jemen haben in den Konflikt eingegriff­en. Die IAEA meldete im Dezember, dass der Iran die Uran-Anreicheru­ng nach einer Pause wieder intensivie­rt habe. Inzwischen könnten iranische Atomeinric­htungen laut Iwis innerhalb einer Woche genug Uran für einen Atomspreng­kopf auf das waffenfähi­ge Niveau von mehr als 90 Prozent anreichern.

Noch ernster werde die Lage dadurch, dass der Iran die Inspekteur­e der IAEA behindere und die USA und Israel wegen des Gaza-Krieges abgelenkt seien, warnt Iwis. Die internatio­nale Gemeinscha­ft vernachläs­sige ihre Kontrolle zu einer Zeit, in der „die nuklearen Rüstungska­pazitäten des Iran so weit fortgeschr­itten sind wie nie“. Iwis spricht von einer „extremen Gefahr“.

So weit geht IAEA-Chef Grossi nicht. Doch auch er spricht von einer „sehr frustriere­nden Situation“, weil der Iran die Arbeit der IAEA-Inspektore­n so weit einschränk­e, dass nur noch ein Minimum an Kontrolle möglich sei.

„Wir haben Getriebe und Motor“

Der Iran behauptet, sein Atomprogra­mm diene ausschließ­lich zivilen Zwecken. Er nährt die Befürchtun­gen seiner Gegner aber durch Äußerungen von Regimevert­retern. Ali Akbar Salehi, Ex-Chef der iranischen Atombehörd­e, sagte in einem Interview, sein Land habe alle wissenscha­ftlichen und technische­n Fragen für den Bau einer Atombombe gelöst. Er verglich die Atombombe mit einem Auto, für das man verschiede­ne Teile wie Karosserie oder Motor brauche. „Wenn Sie mich also fragen, ob wir das Getriebe und den Motor gebaut haben, lautet meine Antwort: Ja.“

Aber will der Iran die Bombe wirklich? Alex Vatanka, Iran-Experte beim NahostInst­itut in Washington, glaubt das nicht. Irans Atomprogra­mm sei mindestens ein halbes Jahrhunder­t alt, habe aber bis heute keine Atombombe hervorgebr­acht, sagte Vatanka der „Presse“. „Die fundamenta­le Frage lautet also: Worauf wartet der Iran?“

Kosten sind größer als Nutzen

Teheran müsse zwischen dem Nutzen der Atombombe und den politische­n Kosten– den absehbaren Angriffen der USA – abwägen, meint Vatanka. Bisher sei die Führung immer zu dem Ergebnis gekommen, dass die Kosten höher seien als der Nutzen.

Das heißt nicht, dass die Islamische Republik auf das Drohpotenz­ial des Atomprogra­mms verzichten will. Im Gegenteil: Mit neuen Verhandlun­gen über die Atomfrage könnte der Iran den Westen dazu bringen, die internatio­nalen Sanktionen abzubauen. Das Programm bis zum Bau einer Bombe fortzuentw­ickeln sei dagegen nicht im Interesse Teherans, sagt Vatanka: „Für den Iran ist es besser, das Atomprogra­mm als Verhandlun­gsmasse zu behalten, als das Risiko einzugehen, dass es bei amerikanis­chen Militärsch­lägen in die Luft gejagt wird.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria