Das Mullah-Regime in Teheran treibt sein Atomprogramm voran
Irans ehemaliger Atomchef behauptet, die Forscher hätten alle Teile für die Bombe beisammen.
Istanbul/Teheran. Während die Welt auf Gaza blickt, treibt der Iran sein Atomprogramm ohne wirksame internationale Kontrollen voran. Rafael Grossi, der Leiter der Atomenergiebehörde IAEA, wirft den iranischen Behörden einen Mangel an Transparenz vor. „Lasst uns sehen, was ihr habt“, sagte Grossi nun an die iranische Führung gerichtet. Ein ehemaliger Chef des iranischen Atomprogramms hatte Grossi und andere Fachleute mit der Bemerkung aufgeschreckt, das Regime in Teheran habe alle Teile für eine Atombombe beisammen und müsse sie nur noch zusammensetzen. Ob das stimmt und ob der Iran die Bombe wirklich will, ist umstritten.
Der Westen und arabische Staaten wollen den Bau einer iranischen Atombombe verhindern, weil sie befürchten, dass die Islamische Republik die Waffe einsetzen könnte, um Israel anzugreifen oder Nachbarstaaten mit der Androhung eines Atomschlags zu erpressen. Israel und die USA wollen die Bombe notfalls mit Angriffen auf iranische Atomanlagen verhindern.
Im Schatten des Gaza-Kriegs
Laut US-Geheimdiensten gibt es keine Hinweise auf ein Bombenprogramm im Iran. Sichere Aussagen über den Stand der iranischen Atomforschung sind indes schwierig. Weil die USA aus dem Atomabkommen von 2015 ausgestiegen sind und neue Sanktionen gegen die Islamische Republik verhängt haben, hält sich Teheran nicht mehr an die Beschränkungen des Vertrags.
Der Gaza-Krieg sei eine Gelegenheit für den Iran, ungestört an Atombomben zu bauen, erklärte das US-Institut für Wissenschaft und Internationale Sicherheit (Iwis) jetzt in einem Bericht. Seit Oktober führt die vom Iran unterstützte Hamas-Miliz in Gaza Krieg gegen Israel. Andere iranische Partner wie die Houthi-Rebellen im Jemen haben in den Konflikt eingegriffen. Die IAEA meldete im Dezember, dass der Iran die Uran-Anreicherung nach einer Pause wieder intensiviert habe. Inzwischen könnten iranische Atomeinrichtungen laut Iwis innerhalb einer Woche genug Uran für einen Atomsprengkopf auf das waffenfähige Niveau von mehr als 90 Prozent anreichern.
Noch ernster werde die Lage dadurch, dass der Iran die Inspekteure der IAEA behindere und die USA und Israel wegen des Gaza-Krieges abgelenkt seien, warnt Iwis. Die internationale Gemeinschaft vernachlässige ihre Kontrolle zu einer Zeit, in der „die nuklearen Rüstungskapazitäten des Iran so weit fortgeschritten sind wie nie“. Iwis spricht von einer „extremen Gefahr“.
So weit geht IAEA-Chef Grossi nicht. Doch auch er spricht von einer „sehr frustrierenden Situation“, weil der Iran die Arbeit der IAEA-Inspektoren so weit einschränke, dass nur noch ein Minimum an Kontrolle möglich sei.
„Wir haben Getriebe und Motor“
Der Iran behauptet, sein Atomprogramm diene ausschließlich zivilen Zwecken. Er nährt die Befürchtungen seiner Gegner aber durch Äußerungen von Regimevertretern. Ali Akbar Salehi, Ex-Chef der iranischen Atombehörde, sagte in einem Interview, sein Land habe alle wissenschaftlichen und technischen Fragen für den Bau einer Atombombe gelöst. Er verglich die Atombombe mit einem Auto, für das man verschiedene Teile wie Karosserie oder Motor brauche. „Wenn Sie mich also fragen, ob wir das Getriebe und den Motor gebaut haben, lautet meine Antwort: Ja.“
Aber will der Iran die Bombe wirklich? Alex Vatanka, Iran-Experte beim NahostInstitut in Washington, glaubt das nicht. Irans Atomprogramm sei mindestens ein halbes Jahrhundert alt, habe aber bis heute keine Atombombe hervorgebracht, sagte Vatanka der „Presse“. „Die fundamentale Frage lautet also: Worauf wartet der Iran?“
Kosten sind größer als Nutzen
Teheran müsse zwischen dem Nutzen der Atombombe und den politischen Kosten– den absehbaren Angriffen der USA – abwägen, meint Vatanka. Bisher sei die Führung immer zu dem Ergebnis gekommen, dass die Kosten höher seien als der Nutzen.
Das heißt nicht, dass die Islamische Republik auf das Drohpotenzial des Atomprogramms verzichten will. Im Gegenteil: Mit neuen Verhandlungen über die Atomfrage könnte der Iran den Westen dazu bringen, die internationalen Sanktionen abzubauen. Das Programm bis zum Bau einer Bombe fortzuentwickeln sei dagegen nicht im Interesse Teherans, sagt Vatanka: „Für den Iran ist es besser, das Atomprogramm als Verhandlungsmasse zu behalten, als das Risiko einzugehen, dass es bei amerikanischen Militärschlägen in die Luft gejagt wird.“