Angriffe auf Aktivisten: Machen Autos aggressiv?
Die Letzte Generation steht vor einer Neuausrichtung. Und Aggressionen gegen die Klebe-Aktivisten haben zuletzt zugenommen. Woran liegt das?
Eine „richtungsweisende Entscheidung“wollen die Klima-Aktivisten der Letzen Generation am Montagnachmittag präsentieren. Ob die Gruppe, die in Österreich nun seit ziemlich genau zwei Jahren aktiv ist, nun wie ihre deutschen Nachbarn von KlebeAktionen absehen und sich auf andere Protestformen konzentrieren will, ist fraglich. So ist die nächste Protestwelle nach „Presse“-Informationen bereits in Planung.
Dennoch, ganz auszuschließen ist eine Neuausrichtung nicht, hat sich doch die Stimmung gegenüber den Klima-Aktivisten der Letzten Generation verschärft. Von Beschimpfungen, über das Zerren an Warnwesten und Tritten auf am Boden sitzenden Menschen bis hin zu Versuchen, die Aktivisten mit Fahrzeugen anzufahren. Neben verbalen Aggressionen ist es auch vermehrt zu physischen Attacken gekommen.
Es sind Szenen, die man weder von anderen Klimaprotesten, noch von alltäglichen Staus kennt. Warum werden Autofahrer gerade von den Klima-Aktivisten so provoziert? Und macht der Umstand, im Verkehr festzustecken, allgemein aggressiv? Ein Verkehrsund ein Klimapsychologe geben Antworten.
Man kennt es: Im Straßenverkehr unterwegs zu sein, vor allem in einer Stadt, vielleicht noch im Frühverkehr, ist nicht gerade entspannend. Da können Emotionen hochkochen, ein Schimpfwort fällt schneller als anderswo. Das habe einen Grund, sagt Verkehrspsychologe Rainer Christ. Grundsätzlich werde Fortbewegung, egal in welcher Form, von Menschen positiv wahrgenommen. „Wir bewegen uns, es verändert sich etwas, es ist gut für unsere Stimmung. Bei zusätzlicher körperlicher Aktivität kommt es zu positiven Hormonausschüttungen“, so der Leiter der Verkehrspsychologie des Berufsverbands Österreichischer PsychologInnen.
Wohin mit den Stresshormonen?
Sitze man hingegen im Auto, fehle dieser Mechanismus der Hormonregulation. Wenn es dann zu Störungen komme – der Vorrang wird genommen, man wird geschnitten, oder ausgebremst – werden dennoch Stresshormone ausgeschüttet. Was für unsere Vorfahren bei der Jagd oder Flucht vor einem wilden Tier sinnvoll war, ist nun kontraproduktiv: „Wohin mit den Stresshormonen, wenn ich im Stau stecke? Ich möchte raus und bin in einem Gefängnis. Das ist die Situation, die Aggression und Unmut begünstigt“, so Christ. Das kann so gut wie jeden Autofahrer betreffen. Doch nicht jeder könne damit gleich gut umgehen. Was im Normalfall zu diffusem Ärger führt, hat im Falle der Klimaproteste ein Gegenüber. „Der Stau hat plötzlich einen klaren Auslöser, und zwar Personen“, so Christ.
„Proteste rütteln am Status quo“
Um diesen gesellschaftlichen Tabubruch, den gewalttätige Übergriffe auf wehrlose Menschen darstellen, zu erklären, brauche es aber noch mehr, sagt Klimapsychologe Thomas Brudermann. Einerseits spiele die grundsätzliche Haltung zum Klimathema eine Rolle, bei der man eine zunehmende Polarisierung erkennen könne. „Es ist ein unangenehmes Thema, und der Protest rüttelt am Status quo“, so Brudermann. Andererseits könne so ein Protest als Angriff empfunden werden. „Dieser richtet sich gegen mich als Autofahrer. Die Reaktion auf einen Angriff ist Verteidigung oder Gegenangriff.“
Schließlich sei das Auto für viele nicht nur Fortbewegungsmittel, sondern bedeute auch „Freiheit, Status, Identität“. „Autofahren hat sich zu einer kollektiv gelebten Praktik entwickelt, das ganze gesellschaftliche Leben ist auf den Autoverkehr ausgerichtet.“
Das müsse nicht heißen, dass all den Menschen, die genervt oder wütend in ihren Autos sitzen, das Klima egal sei, sagt Verkehrspsychologe Christ. Der Protest halte den Autofahrern vor Augen, dass sie etwas tun, was die Klimakrise befeuere – das ist unangenehm. In der Psychologie spricht man hier von „kognitiver Dissonanz“, also der unangenehme Gefühlszustand, der entsteht, wenn eigenes Verhalten und eigene Werte nicht übereinstimmen. Also wird nach einem Schuldigen gesucht. „Natürlich kann ich sagen, dass ich etwas Schlechtes tue. Bequemer ist es aber, die Schuld bei anderen zu suchen.“Auch der öffentliche Diskurs um KlimaAktivismus begünstige Aggressionen, sagt Brudermann. „Im politischen Diskurs werden Klima-Aktivisten mit Verbrechern verglichen, Verwaltungsübertretungen als Terrorismus geframed. Das setzt Hemmschwellen herab.“Für Brudermann sind die politischen Akteure mitverantwortlich für die gesteigerte Aggression. Videos von Übergriffen auf Aktivisten hätten online enorm hohe Aufrufzahlen. „Das baut Hemmschwellen ab.“
Dass es tatsächlich zu Übergriffen komme, hänge auch von der sozialen Dynamik ab. Komme es zu „gegenseitigem Aufschaukeln“oder haben die Aktivisten Unterstützer? „Wenn sich solidarische Gruppen hinter die Aktivisten stellen, scheint das Übergriffe zu verhindern“, so Brudermann.