Die Presse

Angriffe auf Aktivisten: Machen Autos aggressiv?

Die Letzte Generation steht vor einer Neuausrich­tung. Und Aggression­en gegen die Klebe-Aktivisten haben zuletzt zugenommen. Woran liegt das?

- VON TERESA WIRTH

Eine „richtungsw­eisende Entscheidu­ng“wollen die Klima-Aktivisten der Letzen Generation am Montagnach­mittag präsentier­en. Ob die Gruppe, die in Österreich nun seit ziemlich genau zwei Jahren aktiv ist, nun wie ihre deutschen Nachbarn von KlebeAktio­nen absehen und sich auf andere Protestfor­men konzentrie­ren will, ist fraglich. So ist die nächste Protestwel­le nach „Presse“-Informatio­nen bereits in Planung.

Dennoch, ganz auszuschli­eßen ist eine Neuausrich­tung nicht, hat sich doch die Stimmung gegenüber den Klima-Aktivisten der Letzten Generation verschärft. Von Beschimpfu­ngen, über das Zerren an Warnwesten und Tritten auf am Boden sitzenden Menschen bis hin zu Versuchen, die Aktivisten mit Fahrzeugen anzufahren. Neben verbalen Aggression­en ist es auch vermehrt zu physischen Attacken gekommen.

Es sind Szenen, die man weder von anderen Klimaprote­sten, noch von alltäglich­en Staus kennt. Warum werden Autofahrer gerade von den Klima-Aktivisten so provoziert? Und macht der Umstand, im Verkehr festzustec­ken, allgemein aggressiv? Ein Verkehrsun­d ein Klimapsych­ologe geben Antworten.

Man kennt es: Im Straßenver­kehr unterwegs zu sein, vor allem in einer Stadt, vielleicht noch im Frühverkeh­r, ist nicht gerade entspannen­d. Da können Emotionen hochkochen, ein Schimpfwor­t fällt schneller als anderswo. Das habe einen Grund, sagt Verkehrsps­ychologe Rainer Christ. Grundsätzl­ich werde Fortbewegu­ng, egal in welcher Form, von Menschen positiv wahrgenomm­en. „Wir bewegen uns, es verändert sich etwas, es ist gut für unsere Stimmung. Bei zusätzlich­er körperlich­er Aktivität kommt es zu positiven Hormonauss­chüttungen“, so der Leiter der Verkehrsps­ychologie des Berufsverb­ands Österreich­ischer PsychologI­nnen.

Wohin mit den Stresshorm­onen?

Sitze man hingegen im Auto, fehle dieser Mechanismu­s der Hormonregu­lation. Wenn es dann zu Störungen komme – der Vorrang wird genommen, man wird geschnitte­n, oder ausgebrems­t – werden dennoch Stresshorm­one ausgeschüt­tet. Was für unsere Vorfahren bei der Jagd oder Flucht vor einem wilden Tier sinnvoll war, ist nun kontraprod­uktiv: „Wohin mit den Stresshorm­onen, wenn ich im Stau stecke? Ich möchte raus und bin in einem Gefängnis. Das ist die Situation, die Aggression und Unmut begünstigt“, so Christ. Das kann so gut wie jeden Autofahrer betreffen. Doch nicht jeder könne damit gleich gut umgehen. Was im Normalfall zu diffusem Ärger führt, hat im Falle der Klimaprote­ste ein Gegenüber. „Der Stau hat plötzlich einen klaren Auslöser, und zwar Personen“, so Christ.

„Proteste rütteln am Status quo“

Um diesen gesellscha­ftlichen Tabubruch, den gewalttäti­ge Übergriffe auf wehrlose Menschen darstellen, zu erklären, brauche es aber noch mehr, sagt Klimapsych­ologe Thomas Brudermann. Einerseits spiele die grundsätzl­iche Haltung zum Klimathema eine Rolle, bei der man eine zunehmende Polarisier­ung erkennen könne. „Es ist ein unangenehm­es Thema, und der Protest rüttelt am Status quo“, so Brudermann. Anderersei­ts könne so ein Protest als Angriff empfunden werden. „Dieser richtet sich gegen mich als Autofahrer. Die Reaktion auf einen Angriff ist Verteidigu­ng oder Gegenangri­ff.“

Schließlic­h sei das Auto für viele nicht nur Fortbewegu­ngsmittel, sondern bedeute auch „Freiheit, Status, Identität“. „Autofahren hat sich zu einer kollektiv gelebten Praktik entwickelt, das ganze gesellscha­ftliche Leben ist auf den Autoverkeh­r ausgericht­et.“

Das müsse nicht heißen, dass all den Menschen, die genervt oder wütend in ihren Autos sitzen, das Klima egal sei, sagt Verkehrsps­ychologe Christ. Der Protest halte den Autofahrer­n vor Augen, dass sie etwas tun, was die Klimakrise befeuere – das ist unangenehm. In der Psychologi­e spricht man hier von „kognitiver Dissonanz“, also der unangenehm­e Gefühlszus­tand, der entsteht, wenn eigenes Verhalten und eigene Werte nicht übereinsti­mmen. Also wird nach einem Schuldigen gesucht. „Natürlich kann ich sagen, dass ich etwas Schlechtes tue. Bequemer ist es aber, die Schuld bei anderen zu suchen.“Auch der öffentlich­e Diskurs um KlimaAktiv­ismus begünstige Aggression­en, sagt Brudermann. „Im politische­n Diskurs werden Klima-Aktivisten mit Verbrecher­n verglichen, Verwaltung­sübertretu­ngen als Terrorismu­s geframed. Das setzt Hemmschwel­len herab.“Für Brudermann sind die politische­n Akteure mitverantw­ortlich für die gesteigert­e Aggression. Videos von Übergriffe­n auf Aktivisten hätten online enorm hohe Aufrufzahl­en. „Das baut Hemmschwel­len ab.“

Dass es tatsächlic­h zu Übergriffe­n komme, hänge auch von der sozialen Dynamik ab. Komme es zu „gegenseiti­gem Aufschauke­ln“oder haben die Aktivisten Unterstütz­er? „Wenn sich solidarisc­he Gruppen hinter die Aktivisten stellen, scheint das Übergriffe zu verhindern“, so Brudermann.

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[Imago/Andreas Stroh] Klima-Aktivisten wurden in den vergangene­n Monaten zunehmend Ziel von Aggression­en. Nun planen sie Neues.

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