Die Presse

Es gab schon lang keinen richtigen Crash mehr

Crashproph­eten lagen in den vergangene­n Jahren so oft daneben, dass sie keiner mehr ernst nimmt. Doch können sie nicht doch recht haben?

- VON BEATE LAMMER Email: beate.lammer@diepresse.com

Robert Kiyosaki warnt wieder einmal vor einem BörsenCras­h. Der US-Aktieninde­x S&P 500 werde um 70 Prozent abstürzen, schrieb der Unternehme­r und Autor von Ratgeber-Büchern („Rich Dad, Poor Dad“) kürzlich auf der Plattform X. Als potenziell­en Auslöser verwies er auf den hohen Schuldenst­and der USA und zog Parallelen zum Untergang des römischen Imperiums.

Nun kann man das abtun mit dem Hinweis, dass der 76-Jährige bereits seit Dekaden regelmäßig vor einem solchen Jahrhunder­tcrash warnt, was den S&P nicht daran gehindert hat, heuer erstmals die Marke von 5000 Punkten zu überspring­en. Und Kiyosaki ist nicht der einzige Unheilspro­phet: Seit Jahren kursieren Warnungen von Menschen, die Parallelen zu 1929 ziehen, dem Jahr, als die Weltwirtsc­haftskrise ausbrach und den schlimmste­n Börsen-Crash des Jahrhunder­ts auslöste.

Doch könnten die Warner nicht einmal recht haben? Mit einem zyklusund inflations­bereinigte­n KursGewinn-Verhältnis (Shiller-KGV) von 33 sind US-Aktien teurer als 1929, als der Wert bei 31 lag. Indes gab es in den Jahren 1999 und 2021 einen noch höheren Wert. Da folgte zwar jeweils ein Crash, aber kein so schlimmer wie 1929. Die Marktteiln­ehmer scheinen nicht annähernd so Schlimmes zu erwarten: An den Märkten herrscht „extreme Gier“, wie der Index von CNN Money anzeigt. Und diese wird nicht zuletzt durch die Tatsache genährt, dass es schon ziemlich lang keinen wirklichen Crash mehr gegeben hat.

Auf die Finanzkris­e 2008/09 folgte einer der längsten Bullenmärk­te der Geschichte. Bis 2020 gab es im S&P keinen einzigen Rücksetzer von mehr als 20 Prozent. Im Coronakris­enjahr 2020 gab es erstmals wieder einen solchen, die Kurse fielen um 34 Prozent. Doch bereits einige Monate später gab es das nächste Rekordhoch. Im Jahr 2022 fielen die Kurse infolge der plötzliche­n Straffung der Geldpoliti­k in den USA und in Europa und infolge des Ukrainekri­egs um bis zu 25 Prozent. Doch kaum zwei Jahre später folgte schon wieder ein Rekordhoch. Die Folge: Das Wort „Crash“hat seinen Schrecken weitgehend verloren.

Doch sind Crashs, die einen unvorberei­tet treffen, nicht viel gefährlich­er? Mag sein. Der Finanzkris­e war keine Blase vorangegan­gen. Auch waren die Kurse in den zehn Jahren davor nur um durchschni­ttlich fünf Prozent pro Jahr gestiegen. (Zum Vergleich: Vor dem Platzen der Internetbl­ase im März 2000 waren es 16 Prozent, vor dem Rücksetzer im Jahr 2022 14 Prozent pro Jahr gewesen.) Dennoch – oder gerade weil sie andere Ursachen hatte als hohe Aktienbewe­rtungen – hatte sie einigen Schrecken zu bieten. So brach der S&P 500 von 2007 bis 2009 um 57 Prozent ein, was die Finanzkris­e zu schwersten Krise seit 1929 machte. Auch fiel der Index auf einen Stand, den man zuletzt 1996 gesehen hatte. Das Platzen der Internetbl­ase sieben Jahre vor der Finanzkris­e hatte die Kurse nicht so tief nach unten gedrückt. Und es sollte nach der Finanzkris­e sechs Jahre bis zum nächsten Rekordhoch dauern.

Finanzkris­e und Weltwirtsc­haftskrise haben das Vertrauen der Anleger viel nachhaltig­er beschädigt, als geplatzte Blasen das könnten. Diese Ereignisse sind selten, aber umso bedrohlich­er. Ob die nächste solche Krise in einem, zehn oder 50 Jahren kommt, weiß keiner. Wahrschein­lich ist, dass auf die derzeit hohen Bewertunge­n eine Korrektur folgt. Doch ob diese in einen schweren Crash mündet, weiß auch Robert Kiyosaki nicht.

An den Märkten herrscht „extreme Gier“. Und diese wird nicht zuletzt durch die Tatsache genährt, dass es schon ziemlich lang keinen wirklichen Crash mehr gegeben hat.

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