China: Kommt jetzt endlich eine Trendwende?
Immokrise, Konsumflaute und Staatseingriffe setzen Chinas Börse zu. Kann sich das jemals ändern?
Wien. Mehr als 20 Jahre ist es her, dass der britische Ökonom Jim O’Neill die Abkürzung „BRIC“für die aufstrebenden Volkswirtschaften Brasilien, Russland, Indien und China erfand. In die entsprechenden Aktienmärkte zu investieren, war nur bedingt eine gute Idee. Russland mag ein Sonderfall sein, wer Aktien aus diesem Land hat, läuft oft Gefahr, sie abschreiben zu müssen. Doch so richtig überzeugt hat nur Indien: Der MSCI India hat sich in 20 Jahren verzehnfacht und den Anlegern auch auf Zehn- und Fünfjahressicht fette Erträge beschert. Mit brasilianischen Papieren konnte man sein Vermögen in 20 Jahren etwas mehr als verdoppeln, mit chinesischen Papieren gelang nicht einmal das zur Gänze.
Auf Zehn- und Fünfjahressicht ist der MSCI China gefallen. Seit einem Jahr haben chinesische Aktien um 25 Prozent nachgegeben, während indische um 30 Prozent zulegten. Nicht nur das: Der MSCI China ist heuer zeitweise auf einen noch tieferen Stand gerutscht als infolge des Coronacrashs 2020. China hatte auf drastische Maßnahmen zur Einschränkung der Pandemie gesetzt, die die Lieferketten weltweit ins Wanken brachten. Trotzdem hielt das Land länger als andere an den strengen Lockdowns fest. Im Vorjahr hatten viele gehofft, dass sich die Märkte nach der Öffnung fulminant erholen würden. Doch es kam anders. Konsumenten hielten sich mit Ausgaben zurück.
Halbfertige Bauprojekte
Das war das Letzte, was der stark überhitzte Immobiliensektor brauchen konnte. Zahlreiche kreditfinanzierte Bauprojekte wurden mangels Nachfrage nicht fertiggestellt, große Konzerne wie Evergrande und Country Garden konnten ihre Schulden nicht mehr bedienen. Die Regierung versprach Hilfen, die aber bislang ohne große Wirkung blieben. „Letztlich ist es schwierig, eine konjunkturelle Trendwende ohne eine Wende auf dem chinesischen Immobilienmarkt zu schaffen, der von der Regierung umfangreiche Stimuli erfordert“, schreibt Gareth Gettinby, Investment-Manager bei Aegon, in einem Marktausblick.
Unter den großen Werten im MSCI China konnte seit einem Jahr nur der Onlinehändler PDD stark zulegen. Das größte Schwergewicht, der Internetkonzern Tencent, rutschte hingegen um fast ein Viertel ab. Ein Grund ist das harte Vorgehen der chinesischen Regierung gegen Internetsucht bei Jugendlichen, die nur begrenzt Zeit mit Onlinespielen verbringen dürfen und künftig auch nur begrenzt Ausgaben tätigen dürfen.
Viele Firmen spüren die Konsumzurückhaltung: Gleich um die Hälfte rutschte die Aktie des IT-Unternehmens Meituan in die Tiefe, welches etwa Lieferservices und Ticketverkauf anbietet. Dem E-Autobauer BYD half es wenig, dass er im vierten Quartal Tesla als weltgrößten Produzenten von E-Autos überholt hatte. Die Aktie gab dennoch um ein Fünftel nach. Die Papiere der Fastfoodkette Yum verloren 30 Prozent auf Jahressicht. Besonders schlimm erwischte es die BiotechAktie Wuxi, welche gleich um 70 Prozent nachgab. Nicht im MSCI China enthalten sind die Suchmaschinenfirma Baidu und der Onlinehändler Alibaba, deren Aktien ebenfalls im zweistelligen Prozentbereich verloren haben. Beide notieren in den USA.
Wachstum ist noch stark
Doch gibt es Aussicht auf Besserung? Ja, meint Alexis Bienvenu, Fondsmanager bei LFDE, in einer Aussendung. Zwar sei die Lage schlimm – der Experte verweist auf die strengen Covid-Maßnahmen, das harte Vorgehen der Regierung gegen Tech-Konzerne, den Protektionismus der USA, die Immobilienkrise, die schrumpfende Bevölkerung und die hohe private und staatliche Verschuldung –, aber nicht hoffnungslos. China verfüge „über starke Trümpfe“. Einer sei das nach wie vor starke Wachstum von durchschnittlich fünf Prozent pro Jahr – und das von einem relativ zu Indien hohen Niveau aus. Zudem habe die chinesische Zentralbank noch viel Spielraum, um bei Bedarf die geldpolitischen Anreizmaßnahmen auszuweiten.
Freilich könne es noch Jahre dauern, bis diese positiven Faktoren schlagend werden und die Anleger ihr Misstrauen ablegen, schreibt Bienvenu. Doch wenn sich der Immobiliensektor erst einmal stabilisiert habe, werde schon die kleinste gute Nachricht das Misstrauen in Euphorie verwandeln.
Jasmine Kang, Portfoliomanagerin des Comgest Growth China, hält bereits heuer eine Trendwende für möglich: Angesichts der Zinssenkungen in den USA und einer wahrscheinlichen Bodenbildung auf dem chinesischen Immobilienmarkt könnte eine Umschichtung nach Fernost für Anleger eine interessante Investmentstrategie sein, schreibt sie in einem Marktkommentar. China habe wachstumsstarke Unternehmen in den Bereichen Automatisierung und Medizintechnik, etwa Mindray. Der Batterienhersteller CATL, der EAutobauer Li Auto oder der Solarglashersteller Xinyi Solar zeichneten sich durch Kostenvorteile gegenüber der Konkurrenz aus.
Es wird wieder gereist
Kang sieht „keine unmittelbare Gefahr, dass eine Vermögensblase platzt“. Chinas Immobilienpreise liegen im Schnitt beim 6,3-Fachen des jährlichen Haushaltseinkommens und damit deutlich niedriger als in den meisten Industrieländern. Zudem sei der Anteil des Immobiliensektors am Bruttoinlandsprodukt (BIP) von rund 30 Prozent im Jahr 2020 auf aktuell unter 20 Prozent gesunken. Auch um den Binnenkonsum ist es ihrer Ansicht nach nicht so schlimm bestellt, wie die hohen Verkaufszahlen von EAutos und die starke Reisetätigkeit zeigten. Ob das ausreicht, um dem jahrelang hinterherhinkenden Aktienmarkt eine nachhaltige Trendwende zu bescheren, werden die nächsten Monate zeigen.