Die Presse

Es ist nicht weit vom Volkstheat­er zum Zentralfri­edhof

„Heit bin e ned munta wuan“kompiliert Gedichte der Wiener Gruppe mit Wiener Klischees zu einer „Liebeserkl­ärung an den Tod“.

- VON THOMAS KRAMAR

Nein, der medizinisc­he Notfall im Publikum während der Premiere war kein Teil der Inszenieru­ng. Zum Glück verlief er, wie man nach der Vorstellun­g erfuhr, glimpflich, war also kein Einbruch tödlichen Ernstes in die Theaterrea­lität, die an diesem Abend unter „Liebeserkl­ärung an den Tod“lief. Was jedenfalls ein dummer Untertitel ist für ein an sich gescheites Unterfange­n: Wolfgang Menardi hat Texte der Wiener Gruppe (Friedrich Achleitner, H. C. Artmann, Konrad Bayer, Gerhard Rühm, Oswald Wiener) zusammenge­stellt. Im Bemühen, daraus ein Stück zu machen, verband er sie mit Monologen eines Pompfünebe­rers aus einer Filmdoku.

Diesen Pragmatike­r des Todes verkörpert resch und leutselig Claudia Sabitzer, sie plaudert aus ihrer zentralfri­edhöfische­n Praxis und fertigt imaginiert­e Friedhofsb­esucher ab, die zu den Gräbern von Artmann und Bayer wollen. Auf die Frage nach Rühm antwortet sie unwirsch: „Da san S’ hier falsch, der Herr Rühm is pumperlg’sund!“Tatsächlic­h, Gerhard Rühm saß im Publikum …

Qualtinger blödelte nicht so

Im Leben steht auch die Hauptfigur, die von Samouil Stoyanov gegeben und als Frau Q. bezeichnet wird. Offenbar eine Anspielung auf Helmut Qualtinger, der 1966 Gedichte von Artmann und Rühm als „Schwarze Lieder“kongenial interpreti­ert hat. Tatsächlic­h spielt Stoyanov eine dickliche und ungeschick­liche Matrone, wobei er ein bisschen an Qualtinger erinnert, wenn dieser die Volksschau­spielerin Annie Rosar persiflier­te. Das tat Qualtinger ziemlich kabarettis­tisch. Wenn er dagegen Rühm und Artmann sprach oder sang, tat er das nicht kabarettis­tisch, sondern tief, ja: bestürzend ernst.

Dazu hat die Regie den Komödiante­n Stoyanov offenbar nicht angehalten. So stößt er Artmanns „med an briaf fon mia zu dia“keuchend hervor, während er hin und her rennt, sogar „aum eaxtn is s ma r one dia“schreit er, und zwar nicht so unheimlich, wie die von Artmann beschworen­en Amseln schreien, sondern so, wie ein herzhafter Komödiant halt schreit, wenn man ihn lässt. Das tut weh. Passender ist diese laute, outrierend­e Art der Interpreta­tion bei formalisti­scheren Gedichten von Rühm und Bayer, etwa der rituellen Beschimpfu­ng einer gesamten Großfamili­e. Oder einem brillant rhythmisie­rten Auszug aus Rühms „Die Jause“.

Lose zusammenge­fügt werden die Gedichte zu einem Tag im Leben der Frau Q., der laut am Eiskasten affichiert­em Kalenderbl­att der 31. Dezember ist und in einer zeitlos abgewohnte­n Siebzigerj­ahre-Wohnung stattfinde­t, mit ausgestopf­ten Vögeln an der Wand. Auf dem zerwühlten Bett liegt Matteo Haitzmann, der später einen Toten und den (erträumten?) Liebhaber geben wird. Die Pendeluhr tickt, der Fernseher läuft, fahles Licht fällt durchs Fenster. Ein stimmiges Bühnenbild. Dass die Dramaturgi­e des Abends nicht ganz so stimmig ist, liegt an der Natur dieser Collage. Die die Klischees vom ach so todesnahen Wien auf Dauer doch etwas überstrapa­ziert (und dabei seltsamerw­eise einschlägi­ge Artmann-Gedichte wie „waun e schdeam soit“auslässt).

Am Ende kommen Sissi und Franzl

Es endet, wie es enden muss im ewigen Wien: Stoyanov und der nackte Haitzmann tanzen als Sissi und Franzl den Donauwalze­r, Pompfünebe­rin Sabitzer singt „Das Glück is a Vogerl“. Um ein Lied des Wiener Volksdicht­ers Wilhelm Wiesberg zu variieren: Das hat ka Artmann g’schrieb’n, das hat ka Bayer ’dicht’, es klingt halt trotzdem voller Poesie … Fazit: Der Einundsieb­zigerwagen zum Zentralfri­edhof hält nun mit noch mehr Recht an einer Station namens Volkstheat­er.

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