Es ist nicht weit vom Volkstheater zum Zentralfriedhof
„Heit bin e ned munta wuan“kompiliert Gedichte der Wiener Gruppe mit Wiener Klischees zu einer „Liebeserklärung an den Tod“.
Nein, der medizinische Notfall im Publikum während der Premiere war kein Teil der Inszenierung. Zum Glück verlief er, wie man nach der Vorstellung erfuhr, glimpflich, war also kein Einbruch tödlichen Ernstes in die Theaterrealität, die an diesem Abend unter „Liebeserklärung an den Tod“lief. Was jedenfalls ein dummer Untertitel ist für ein an sich gescheites Unterfangen: Wolfgang Menardi hat Texte der Wiener Gruppe (Friedrich Achleitner, H. C. Artmann, Konrad Bayer, Gerhard Rühm, Oswald Wiener) zusammengestellt. Im Bemühen, daraus ein Stück zu machen, verband er sie mit Monologen eines Pompfüneberers aus einer Filmdoku.
Diesen Pragmatiker des Todes verkörpert resch und leutselig Claudia Sabitzer, sie plaudert aus ihrer zentralfriedhöfischen Praxis und fertigt imaginierte Friedhofsbesucher ab, die zu den Gräbern von Artmann und Bayer wollen. Auf die Frage nach Rühm antwortet sie unwirsch: „Da san S’ hier falsch, der Herr Rühm is pumperlg’sund!“Tatsächlich, Gerhard Rühm saß im Publikum …
Qualtinger blödelte nicht so
Im Leben steht auch die Hauptfigur, die von Samouil Stoyanov gegeben und als Frau Q. bezeichnet wird. Offenbar eine Anspielung auf Helmut Qualtinger, der 1966 Gedichte von Artmann und Rühm als „Schwarze Lieder“kongenial interpretiert hat. Tatsächlich spielt Stoyanov eine dickliche und ungeschickliche Matrone, wobei er ein bisschen an Qualtinger erinnert, wenn dieser die Volksschauspielerin Annie Rosar persiflierte. Das tat Qualtinger ziemlich kabarettistisch. Wenn er dagegen Rühm und Artmann sprach oder sang, tat er das nicht kabarettistisch, sondern tief, ja: bestürzend ernst.
Dazu hat die Regie den Komödianten Stoyanov offenbar nicht angehalten. So stößt er Artmanns „med an briaf fon mia zu dia“keuchend hervor, während er hin und her rennt, sogar „aum eaxtn is s ma r one dia“schreit er, und zwar nicht so unheimlich, wie die von Artmann beschworenen Amseln schreien, sondern so, wie ein herzhafter Komödiant halt schreit, wenn man ihn lässt. Das tut weh. Passender ist diese laute, outrierende Art der Interpretation bei formalistischeren Gedichten von Rühm und Bayer, etwa der rituellen Beschimpfung einer gesamten Großfamilie. Oder einem brillant rhythmisierten Auszug aus Rühms „Die Jause“.
Lose zusammengefügt werden die Gedichte zu einem Tag im Leben der Frau Q., der laut am Eiskasten affichiertem Kalenderblatt der 31. Dezember ist und in einer zeitlos abgewohnten Siebzigerjahre-Wohnung stattfindet, mit ausgestopften Vögeln an der Wand. Auf dem zerwühlten Bett liegt Matteo Haitzmann, der später einen Toten und den (erträumten?) Liebhaber geben wird. Die Pendeluhr tickt, der Fernseher läuft, fahles Licht fällt durchs Fenster. Ein stimmiges Bühnenbild. Dass die Dramaturgie des Abends nicht ganz so stimmig ist, liegt an der Natur dieser Collage. Die die Klischees vom ach so todesnahen Wien auf Dauer doch etwas überstrapaziert (und dabei seltsamerweise einschlägige Artmann-Gedichte wie „waun e schdeam soit“auslässt).
Am Ende kommen Sissi und Franzl
Es endet, wie es enden muss im ewigen Wien: Stoyanov und der nackte Haitzmann tanzen als Sissi und Franzl den Donauwalzer, Pompfüneberin Sabitzer singt „Das Glück is a Vogerl“. Um ein Lied des Wiener Volksdichters Wilhelm Wiesberg zu variieren: Das hat ka Artmann g’schrieb’n, das hat ka Bayer ’dicht’, es klingt halt trotzdem voller Poesie … Fazit: Der Einundsiebzigerwagen zum Zentralfriedhof hält nun mit noch mehr Recht an einer Station namens Volkstheater.