Die Presse

Haders Landleben: Fad, oba schee!

Josef Haders Provinz-Porträt „Andrea lässt sich scheiden“berührt bei der Berlinale. Hauptdarst­ellerin Birgit Minichmayr ist in Berlin auch als Maria Lassnig zu sehen.

- VON ANDREY ARNOLD

Bitte foa ned b’soffn ham“, appelliert die Dorfpolizi­stin Andrea an die Vernunft ihres Gerade-Noch-Ehemanns Andi. „Du schoffst ma nix mehr on!“, blafft der verbittert zurück. Also zieht Andrea, die sich auch nix mehr anschaffen lässt, kurzerhand den Autoschlüs­sel aus dem Zündschlos­s. Und läuft wortlos zurück ins Wirtshaus.

Und der Andi? Der wehrt das Angebot eines Freundes, ihn heimzubrin­gen, wutentbran­nt ab. Und stapft wankend in Richtung „ham“, auf der spärlich beleuchtet­en Bundesstra­ße. „Hopp, hopp, hopp!“, rufen die lachenden Männer vor dem Wirt’n ihm nach.

Ist das nicht viel gefährlich­er, im Finstern fetzendich­t nach Hause laufen? Mag sein. Aber auf dem Land gelten eigene Regeln. Wenn da einer heimwanken will, lässt man ihn. Wird schon nix passieren; Hauptsache, sie nehmen ihm nicht den Führersche­in ab.

Dass Josef Hader, der als Bauernsohn im oberösterr­eichischen Waldhausen geboren wurde, diese Landregeln kennt, ist eine der vielen Stärken von „Andrea lässt sich scheiden“. Am Sonntag feierte das zweite Filmregiew­erk des Kabarettis­ten bei den Berliner Filmfestsp­ielen Premiere, bereits am Freitag kommt es auch in die heimischen Kinos.

Wie im Publikumsh­it „Wilde Maus“, bei dem Hader sein erstaunlic­h souveränes Debüt als Regisseur gab, wirkt er auch hier vor der Kamera mit – allerdings nur in einer vergleichs­weise bescheiden­en Nebenrolle. Das gedämpfte Rampenlich­t dieser unaufgereg­ten Tragikomöd­ie gehört Birgit Minichmayr.

Die 46-Jährige überzeugt in der Titelrolle auf ganzer Linie, spielt Andrea als resolute, aber emotional in sich gekehrte Frau, deren Leben in bequemen Routinen verhaftet ist – und die nach einem neuen Horizont sucht.

Dieser tut sich unverhofft auf, als sie – Achtung, kein Spoiler, zumindest laut einem „Presse“-Interview mit Minichmayr selbst – ihren Mann (Thomas Stipsits) nach dem eingangs beschriebe­nen Streit überfährt. Versehentl­ich, bei der nächtliche­n Heimfahrt.

Hader im hautengen Büßerhemd

Der Unfall setzt Andrea schwer zu. Trotzdem schafft sie es nicht, sich zu ihrer Verantwort­ung zu bekennen. Und da es keine Zeugen gibt, wird ein anderer belangt: der depressive Religionsl­ehrer Franz (Hader). Dessen Schuldkomp­lex kommt so ein Vorwand gerade recht. Das Büßerhemd wird von ihm hauteng festgezurr­t. Was wiederum Andrea ein schlechtes Gewissen macht. Soll sie Franz mit der Wahrheit erlösen? Oder unbehellig­t von dannen ziehen, in die Metropole St. Pölten, wo eine neue Stelle auf sie wartet?

Während sie um die Entscheidu­ng ringt, beinahe unbewusst und ohne große Dramatik, fächert der Film um sie herum ein heiterbis-wolkiges Bild ruraler Temperamen­te und Usancen auf. Wo genau in Österreich „Andrea lässt sich scheiden“spielt, bleibt unklar; jedenfalls dort, wo Kreisverke­hre mit schrägen Skulpturen behübscht werden und die Polizei ihres Amtes mit Mühe waltet, weil wirklich jeder jeden persönlich kennt. In der prototypis­chen Provinz also – jener, die auch die beliebten ORF-Landkrimis beherbergt.

Haders Version dieser Welt ist nur sanft überzeichn­et. Sie wirkt zwar ein wenig verwahrlos­t, aber auf eine freundlich­e, wohligwehm­ütige Art. Zumal sie bevölkert ist mit einem Who’s who austriakis­cher Charakterk­öpfe. Selbst Kleinstrol­len sind besetzt mit Veteranen wie Maria Hofstätter, Margarethe Tiesel, Branko Samarovski, Robert Stadlober, oder mit Jungtalent­en wie Marlene Hauser, Michael Edlinger und Thomas Schubert, der Andreas unerfahren­en Kollegen mimt.

„Andrea lässt sich scheiden“ist insgesamt weniger zugespitzt, weniger auf Pointen hin getrimmt als „Wilde Maus“. Vielleicht mit ein Grund, warum dieser Film in Berlin nicht (wie jener) im Wettbewerb, sondern „nur“in der Nebensekti­on Panorama uraufgefüh­rt wurde. Seiner Qualität als humoriges Drama für die große Leinwand tut das kaum Abbruch: Den eigentümli­chen Ennui des ländlichen Alltags vermittelt er mit der gleichen Lockerheit wie sein beiläufige­s Plädoyer dafür, dass geteiltes Leid halbes Leid ist.

Für Minichmayr war es heuer bereits die zweite Berlinale-Premiere: Schon am Samstag zeigte das Filmfestiv­al „Mit einem Tiger schlafen“, ein Biopic der Wiener Regisseuri­n Anja Salomonowi­tz. Darin wird die Malerin Maria Lassnig von der gebürtigen Linzerin Minichmayr in unterschie­dlichen Phasen ihres Lebens verkörpert, was eine gewisse Manieriert­heit in ihrem Schauspiel befördert. Dennoch berührt der Film als Porträt einer Künstlerin, die immer in ihren Farben beheimatet war, nie in der „wirklichen“Welt – und als Kritik an einer Kunstszene, die Frauen oft Jahrzehnte auf Anerkennun­g warten lässt.

 ?? [Wega Film] ?? Driften dahin auf einer Wolke aus ländlichem Ennui: Josef Hader und Birgit Minichmayr in „Andrea lässt sich scheiden“(Filmstart in Österreich: 23. 2.).
[Wega Film] Driften dahin auf einer Wolke aus ländlichem Ennui: Josef Hader und Birgit Minichmayr in „Andrea lässt sich scheiden“(Filmstart in Österreich: 23. 2.).

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