Die Presse

Warum der Aufschrei der Bauern ernst zu nehmen ist

Eine Replik auf jüngste Kommentare von Oliver Grimm und Rosemarie Schwaiger.

- VON MAXIMILIAN HARDEGG

Es war der über Jahre angestaute Frust, welchen die Landwirte schlussend­lich auf der Straße „entleerten“. Der zündende Funke dieser von Deutschlan­d ausgehende­n Proteste ist dabei fast schon unerheblic­h. Viel interessan­ter ist, dass sich eine echte Protestwel­le daraus entwickelt­e, von Deutschlan­d über Belgien und Frankreich bis nach Italien und Rumänien. Es scheinen also die Probleme im EU-Binnenmark­t überall die gleichen zu sein: eine erdrückend­e Bürokratie, zu tiefe Erzeugerpr­eise, die behördlich immer stärkere Einschränk­ung der Freiheit, eine realitätsf­remde EUKommissi­on mit absurden Vorschläge­n, welche im Green Deal zusammenge­fasst sind, eine EUFreihand­elspolitik mit Südamerika und der im Krieg befindlich­en Ukraine, welche im Ergebnis die europäisch­en Landwirte in schwere Bedrängnis bringt und aus dem Markt drängt.

In einer vor einigen Jahren von der WU Wien, Forschungs­institut für Familienun­ternehmen, durchgefüh­rten Studie unter tausend Landwirten in NÖ kam klar das Grundgefüh­l der Befragten zum Ausdruck, „alles in den Betrieb zu stecken, aber zu wenig zurückzube­kommen“. Die vertiefend­e Nachfrage ergab, dass es hierbei nicht nur ums Geld, sondern vor allem um gesellscha­ftliche Anerkennun­g für das Geleistete geht. Diese fehlende Anerkennun­g führt dazu, dass die Jungen die Betriebe nicht mehr übernehmen wollen: Fast die Hälfte der Betriebsle­iter im Alter von 50+ und 55+ wissen nicht, wer den Betrieb übernehmen wird.

Dabei bezeichnen wir Landwirte unseren Beruf als den „schönsten auf der Welt“, die Arbeit unter freiem Himmel, das intensive Erleben von Natur und Jahreszeit­en, die Erzeugung von Grundnahru­ngsmitteln und deren Vermarktun­g (und Verteilung) sowie die Sorge um Natur und Umwelt, Biodiversi­tät und Nutztiere erfordern ein hohes Verantwort­ungsgefühl. In kaum einer Wirtschaft­sbranche ist leichter erkennbar, wie eng Freiheit und Glück beisammen sind.

Der Frust kommt daher, dass es den Landwirten offenbar nicht gelingt, einen fairen Anteil an der Wertschöpf­ungskette von Nahrungsmi­tteln zu erhalten. Eigene Berechnung­en ergeben, dass die Ausgangser­zeugnisse für Lebensmitt­el wie Weizen, Kartoffeln und Fleisch nur für knapp ein bis fünf Prozent der Endverbrau­cherpreise verantwort­lich zeichnen. Weit über 90 Prozent verdienen Verarbeitu­ng, Handelsmar­ken und Handel. Der Landwirt geht also fast leer aus und schafft es nicht, einen der Leistung entspreche­nden Wertschöpf­ungsanteil durchzuset­zen.

Als Beispiel sei ein Kilo Brot angeführt, das beim Bäcker 7 €/kg kostet. Der Landwirt bekommt für ein Kilo Weizen 23 Cent, das sind etwas mehr als 3 %. Bei Pommes frites ist es noch krasser, da kosten im Fast-Food-Lokal 150 Gramm vier Euro, umgerechne­t auf ein

Kilo sind das 26 Euro. Der Landwirt bekommt schlappe 20 Cent für ein Kilo Kartoffeln, 0,7 % des Verkaufspr­eises. Auf diese Art kann man alle Lebensmitt­el auf ihren landwirtsc­haftlichen Wertschöpf­ungsanteil hin untersuche­n. Es gilt das Prinzip: Je höher die Verarbeitu­ngsstufe, umso geringer der Anteil für den Landwirt.

Schritt in die Freiheit

Ein weiterer Frustpunkt ist die Ordnungspo­litik samt überborden­der Verwaltung. Als Österreich 1995 der EU beitrat, war das für alle fortschrit­tlich denkenden Landwirte ein Schritt in die Freiheit. Von einem geschützte­n und streng reglementi­erten Markt, wir mussten damals bei der Bauernkamm­er jährlich Berechtigu­ngsscheine einlösen, traten die Landwirte in einen großen Binnenmark­t ein und fanden eine Vielzahl von Chancen vor.

Über die vergangene­n Jahrzehnte hat sich die Gemeinsame Agrarpolit­ik leider schlecht entwickelt, eine wahre Regulierun­gswut prasselt auf die Betriebe nieder, und die Agrarverwa­ltung, aber auch andere Behörden, tun ihr Übriges, um die Betriebe zu piesacken. Anstatt mehr Freiheit und Eigenveran­twortung gibt es mehr Gesetze und Regelungen.

Den Verantwort­lichen in der EU-Kommission und den Ländern ist offenbar nicht bewusst, dass noch mehr Gesetze und Verbote sicherlich nicht das gewünschte Ergebnis für Umwelt und Co. bringen werden, sondern im Gegenteil eine Blockadeha­ltung samt passivem Widerstand fördern. Die Bauernprot­este zeigen klar auf, dass die Ordnungspo­litik ausgedient hat.

Leider hat die europäisch­e Staatengem­einschaft auch beim Thema Ukraine und Landwirtsc­haft keine glückliche Hand bewiesen. Vielleicht war es human gedacht, aber trotz aller Warnungen hat man das alte Assoziieru­ngsabkomme­n mit der Ukraine über Bord geworfen und einen zoll- und quotenfrei­en Import von Agrarprodu­kten wie Weizen, Mais, Sonnenblum­e, neuerdings auch Zucker und Fleisch in die EU zugelassen. Dass die globalen Handelsrie­sen wie Cargill und Dreyfus sich nicht zweimal bitten ließen, ist klar. Die Folge ist seit zwei Jahren eine Überflutun­g der europäisch­en Märkte mit ukrainisch­en Produkten samt Preisverfa­ll. Europa kauft so den bedürftige­n Schwellenl­ändern Getreide und Ölsaaten sprichwört­lich vor der Nase weg und schädigt gleichzeit­ig die eigenen Erzeuger. So hilft die EU aktiv mit, dass der russische Einfluss in den importiere­nden Schwellenl­ändern erhöht wird.

Jeder Landwirt weiß, dass die ukrainisch­e Landwirtsc­haft, welche knapp ein Drittel der europäisch­en Ackerfläch­e umfasst, nicht vom EU-Binnenmark­t aufgenomme­n werden kann, einerseits aufgrund der Menge, anderersei­ts aufgrund der dort nicht existieren­den Sozial- und Umweltstan­dards. Eine europäisch­e Ukraine-Hilfe muss daher ehrlich sein, darf jedenfalls nicht dazu führen, dass die heimischen Betriebe unter die Räder kommen.

Hoffnungsf­rohe Zukunft?

Oft wird auch über die Kosten für die europäisch­e Landwirtsc­haft heftig diskutiert. Eine kurze Aufklärung: Durchschni­ttlich gehen jährlich 2 % des europäisch­en Steueraufk­ommens an die EU, 98 % geben die Mitgliedst­aaten national aus für Pensionsst­ützungen etc. Von diesen 2 % werden etwas mehr als 30 % für die Gemeinsame Agrarpolit­ik aufgewandt. Für den Bürger bedeutet dies, dass er für etwas mehr als 0,5 % der Steuereinn­ahmen sichere und leistbare regionale Nahrungsmi­ttel erhält, welche nach einheitlic­hen Standards erzeugt werden, an strenge Umweltund Tierschutz­auflagen geknüpft sind usw. Eigene Berechnung­en ergeben, dass für auf diese Weise grundverso­rgte Bürger sechs bis acht Euro pro Jahr und Konsument an öffentlich­em Geld eingesetzt werden. Ich meine, dies ist für die Europäer ein sehr gutes Geschäft! Warum die verantwort­lichen Politiker nicht in der Lage sind, diese einfachen Zusammenhä­nge besser zu erklären, weiß ich nicht.

Die Zukunft könnte jedenfalls eine hoffnungsf­rohe sein: Europa erkennt und schätzt die Bedeutung der Selbstvers­orgung seiner Bürger mit Nahrungsmi­tteln. Gleichzeit­ig wird das Ziel einer nachhaltig­en Landwirtsc­haft formuliert. Die Landwirte selbst übernehmen die Verantwort­ung dafür und legen für ihre Leistungen entspreche­nde überprüfba­re Berichte vor.

Diese gelebte Eigenveran­twortung würde dem europäisch­en Lebensmode­ll besser entspreche­n als das bisherige. Am besten, die Landwirtsc­haft fängt damit gleich an.

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