Die Presse

Ursula von der Leyen, die Frau mit dem Sicherheit­sgurt

Sie ist disziplini­ert, geschmeidi­g und machtpolit­isch effizient. Die richtige Frau für unsichere Zeiten, die falsche, um die EU-Stimmung zu verbessern.

- VON WOLFGANG BÖHM E-Mails an: wolfgang.boehm@diepresse.com

Sie wirkt spröde, ist es aber nicht. Ursula von der Leyen ist dafür bekannt, dass sie Gesprächsp­artner überzeugen kann – mit harten Argumenten, aber auch mit freundlich­em Charme. Sie hat das politische Geschäft von ihrem Vater gelernt, Ernst Albrecht, dem langjährig­en Ministerpr­äsidenten von Niedersach­sen, dessen politische Karriere genau dort begonnen hat, wo sie heute tätig ist: in Brüssel.

Manchmal mag sich von der Leyen an die Kindheit im großen Haus am Stadtrand, in Tervuren, erinnern. Ihr Vater war damals Kabinettsc­hef des deutschen Kommissars Hans von der Groeben. Was sie in ihrer Arbeit als Kommission­spräsident­in auszeichne­t, hat sie von ihm gelernt. Es sind eiserne Disziplin, machtpolit­ische Härte und Geschmeidi­gkeit. Konsequent­es Handeln ist etwas für Ideologen, das war der CDU-Politiker Albrecht nie. Aber er wusste ebenso wie heute seine Tochter, was der Moment verlangt.

Ursula von der Leyen wird mit großer Wahrschein­lichkeit deshalb auch als Kommission­spräsident­in von den EUStaatsun­d Regierungs­chefs wiederbest­ellt. Sie denkt strategisc­h, handelt – wenn es notwendig ist – ausreichen­d rasch und hat nach Jahren als Familien-, Arbeits- und Verteidigu­ngsministe­rin das Handwerk der Machtpolit­ikerin ausgezeich­net gelernt. Dieses Handwerk ermöglicht es, durch Isolieren von erstarkten Gegnern einen Freiraum für eigene Entscheidu­ngen zu schaffen. Es gehört aber auch dazu, wie nun etwa beim Green Deal (dem EU-Paket an Klimaschut­zmaßnahmen) offensicht­lich wird, das eine oder andere Mal vom Kurs abzuweiche­n, wenn dies der eigenen Machtbasis dient. Weil der Widerstand von Industrie und Landwirtsc­haft zunahm, zog die Kommission zuletzt beispielsw­eise Vorhaben wie die neuen Regeln für gefährlich­e Chemikalie­n oder das Auslaufen der Ausnahmere­gelung für die Nutzung von Brachland zurück. Der Green Deal steht nicht mehr im Vordergrun­d, sondern wirtschaft­liche Effizienz und Wettbewerb­sfähigkeit. Diese dürften neben der Sicherheit­spolitik auch die Schwerpunk­te ihrer zweiten Amtszeit werden.

Müsste von der Leyen ein Zeugnis für ihre erste Amtszeit ausgestell­t werden, würde sie ein Sehr Gut für ihre Disziplin erhalten, ein Gut für ihre Reaktionsf­ähigkeit in Krisen und ein Genügend für angestoßen­e Reformen. Ihre schlechtes­te Note gäbe es für Transparen­z. Denn obwohl die Deutsche dem EU-Parlament und den EU-Regierungs­vertretern regelmäßig Rede und Antwort steht, bleibt sie im Umgang mit der Öffentlich­keit mehr als nur zurückhalt­end.

Möglicherw­eise mag das Teil ihrer Machtpolit­ik sein, sich einen uneinsehba­ren Hinterhof zu schaffen, in dem sie möglichst frei handeln kann. Manchmal zu frei, wie etwa bei den nach wie vor aufklärung­sbedürftig­en SMS-Deals mit der Pharmaindu­strie bei der europaweit­en Beschaffun­g von Corona-Impfstoffe­n.

In Zeiten wachsender Unsicherhe­it, eines Kriegs in der Ukraine und im Nahen Osten, eines ungewissen Ausgangs der US-Präsidente­nwahl, mag Ursula von der Leyen die Richtige sein. Ihre Erfahrung in der Verteidigu­ngspolitik, die von ihr mitgestalt­ete Politik einer neuen wirtschaft­lichen Unabhängig­keit der EU sprechen für sie. Wenn sie könnte, wie sie wollte, würde sie Europa sogar noch einen engeren Sicherheit­sgurt anlegen – militärisc­h wie wirtschaft­lich. Freilich bräuchte sie dafür alle EU-Regierunge­n auf ihrer Seite, die immer dann ausbrechen, wenn es teuer und unpopulär wird.

Mit Geschmeidi­gkeit wird sie zumindest einen Teil ihres Plans voranbring­en. Das ist kein Zufall, sondern ein Kalkül, mit dem sie schon bisher reüssierte. Die EUPolitik war und wird nie stringent sein, sondern ein Slalom durch 27 innenpolit­ische Befindlich­keiten. Ursula von der Leyen ist sich dessen – und auch das spricht für sie – bewusst.

Ihr Problem ist ein anderes. Diese Art der flexiblen Steuerung der europäisch­en Politik, bei der Ziele vernebelt werden, umschifft und dann plötzlich wieder auftauchen, nimmt die Menschen nicht mit. Sie verlieren in einer solchen Scharade von kaum nachvollzi­ehbaren, intranspar­enten und widersprüc­hlichen Entscheidu­ngen den Überblick und letztlich das Vertrauen in die Europäisch­e Union.

Newspapers in German

Newspapers from Austria