Ursula von der Leyen, die Frau mit dem Sicherheitsgurt
Sie ist diszipliniert, geschmeidig und machtpolitisch effizient. Die richtige Frau für unsichere Zeiten, die falsche, um die EU-Stimmung zu verbessern.
Sie wirkt spröde, ist es aber nicht. Ursula von der Leyen ist dafür bekannt, dass sie Gesprächspartner überzeugen kann – mit harten Argumenten, aber auch mit freundlichem Charme. Sie hat das politische Geschäft von ihrem Vater gelernt, Ernst Albrecht, dem langjährigen Ministerpräsidenten von Niedersachsen, dessen politische Karriere genau dort begonnen hat, wo sie heute tätig ist: in Brüssel.
Manchmal mag sich von der Leyen an die Kindheit im großen Haus am Stadtrand, in Tervuren, erinnern. Ihr Vater war damals Kabinettschef des deutschen Kommissars Hans von der Groeben. Was sie in ihrer Arbeit als Kommissionspräsidentin auszeichnet, hat sie von ihm gelernt. Es sind eiserne Disziplin, machtpolitische Härte und Geschmeidigkeit. Konsequentes Handeln ist etwas für Ideologen, das war der CDU-Politiker Albrecht nie. Aber er wusste ebenso wie heute seine Tochter, was der Moment verlangt.
Ursula von der Leyen wird mit großer Wahrscheinlichkeit deshalb auch als Kommissionspräsidentin von den EUStaatsund Regierungschefs wiederbestellt. Sie denkt strategisch, handelt – wenn es notwendig ist – ausreichend rasch und hat nach Jahren als Familien-, Arbeits- und Verteidigungsministerin das Handwerk der Machtpolitikerin ausgezeichnet gelernt. Dieses Handwerk ermöglicht es, durch Isolieren von erstarkten Gegnern einen Freiraum für eigene Entscheidungen zu schaffen. Es gehört aber auch dazu, wie nun etwa beim Green Deal (dem EU-Paket an Klimaschutzmaßnahmen) offensichtlich wird, das eine oder andere Mal vom Kurs abzuweichen, wenn dies der eigenen Machtbasis dient. Weil der Widerstand von Industrie und Landwirtschaft zunahm, zog die Kommission zuletzt beispielsweise Vorhaben wie die neuen Regeln für gefährliche Chemikalien oder das Auslaufen der Ausnahmeregelung für die Nutzung von Brachland zurück. Der Green Deal steht nicht mehr im Vordergrund, sondern wirtschaftliche Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit. Diese dürften neben der Sicherheitspolitik auch die Schwerpunkte ihrer zweiten Amtszeit werden.
Müsste von der Leyen ein Zeugnis für ihre erste Amtszeit ausgestellt werden, würde sie ein Sehr Gut für ihre Disziplin erhalten, ein Gut für ihre Reaktionsfähigkeit in Krisen und ein Genügend für angestoßene Reformen. Ihre schlechteste Note gäbe es für Transparenz. Denn obwohl die Deutsche dem EU-Parlament und den EU-Regierungsvertretern regelmäßig Rede und Antwort steht, bleibt sie im Umgang mit der Öffentlichkeit mehr als nur zurückhaltend.
Möglicherweise mag das Teil ihrer Machtpolitik sein, sich einen uneinsehbaren Hinterhof zu schaffen, in dem sie möglichst frei handeln kann. Manchmal zu frei, wie etwa bei den nach wie vor aufklärungsbedürftigen SMS-Deals mit der Pharmaindustrie bei der europaweiten Beschaffung von Corona-Impfstoffen.
In Zeiten wachsender Unsicherheit, eines Kriegs in der Ukraine und im Nahen Osten, eines ungewissen Ausgangs der US-Präsidentenwahl, mag Ursula von der Leyen die Richtige sein. Ihre Erfahrung in der Verteidigungspolitik, die von ihr mitgestaltete Politik einer neuen wirtschaftlichen Unabhängigkeit der EU sprechen für sie. Wenn sie könnte, wie sie wollte, würde sie Europa sogar noch einen engeren Sicherheitsgurt anlegen – militärisch wie wirtschaftlich. Freilich bräuchte sie dafür alle EU-Regierungen auf ihrer Seite, die immer dann ausbrechen, wenn es teuer und unpopulär wird.
Mit Geschmeidigkeit wird sie zumindest einen Teil ihres Plans voranbringen. Das ist kein Zufall, sondern ein Kalkül, mit dem sie schon bisher reüssierte. Die EUPolitik war und wird nie stringent sein, sondern ein Slalom durch 27 innenpolitische Befindlichkeiten. Ursula von der Leyen ist sich dessen – und auch das spricht für sie – bewusst.
Ihr Problem ist ein anderes. Diese Art der flexiblen Steuerung der europäischen Politik, bei der Ziele vernebelt werden, umschifft und dann plötzlich wieder auftauchen, nimmt die Menschen nicht mit. Sie verlieren in einer solchen Scharade von kaum nachvollziehbaren, intransparenten und widersprüchlichen Entscheidungen den Überblick und letztlich das Vertrauen in die Europäische Union.