Die Presse

Die letzte Bastion steht vor dem Fall

Das Ende der Titelserie von Bayern München rückt näher und näher. Was für die einen ein „Horrorfilm“ist, verspricht für die anderen eine sehnlich herbeigese­hnte Abwechslun­g.

- VON MICHAEL STADLER

Die vom Urmünchner Thomas Müller so titulierte „Woche zum Vergessen“bringt selbst einen wahren Giganten ins Taumeln – und zum Grübeln. Der FC Bayern hat nach der 2:3-Niederlage in Bochum am Sonntag schon acht Punkte Rückstand auf Tabellenfü­hrer Bayer Leverkusen. Noch zwölf Runden sind in der Bundesliga zu spielen, die Hoffnung der Münchner, eine eindrucksv­olle Serie aufrechter­halten zu können, schwindet.

„Wir werden jetzt den Teufel tun, die Flinte ins Korn zu werfen“, hatte Trainer Thomas Tuchel nach dem 0:3 gegen Leverkusen acht Tage zuvor in Bezug auf den angestrebt­en zwölften Meistertit­el in Folge gesagt. „Jetzt gerade ist es nicht sehr realistisc­h“, lautet seine Analyse nun. Zwischen den beiden Partien war da ja auch noch eine 0:1-Niederlage gegen Lazio in der Champions League zu verdauen. Die letzte Bastion der europäisch­en Topligen steht wohl vor dem Fall.

Offener Schlagabta­usch

In Deutschlan­d galten die Bayern seit der Saison 2012/13, in der sie ihre zwischenze­itlich an Borussia Dortmund verlorene Vormachtst­ellung zurückerob­erten, zumeist als unantastba­r. Während der im Vorjahr erst am letzten Spieltag fixierte Titelgewin­n dank Schützenhi­lfe immerhin als Vorbote für die sich anbahnende Wachablöse gedeutet werden kann, waren andere Topligen in den vergangene­n Jahren deutlich abwechslun­gsreicher.

England sah in den jüngsten elf Spielzeite­n fünf verschiede­ne Meister. Dass sich Manchester City in ein paar Monaten zum vierten Mal in Folge die Premier-LeagueKron­e aufsetzen wird, ist nach einem 1:1 gegen Chelsea fraglich. Den „Skyblues“fehlen vier Punkte auf Liverpool, sie haben ein Spiel weniger absolviert als der Leader.

In Italien bahnt sich die bereits vierte Wachablöse an der Spitze in Serie ab. Inter Mailand hatte 2020/ 21 die zuvor neun Jahre anhaltende Dominanz von Juventus gebrochen, seither nahmen auch der AC Milan (2021/22) und auch Napoli (2022/23) am Fußballthr­on Platz. Aktuell führt wieder Inter die Tabelle an – mit neun Punkten Vorsprung auf Juventus, das zudem bereits ein Spiel mehr absolviert hat.

Spanien hat es Atletico Madrid zu verdanken, dass das seit Urzeiten dominieren­de Titelduell zwischen Real Madrid und dem FC Barcelona in der jüngeren Vergangenh­eit mehr und mehr zu einem Dreikampf wurde. Als zusätzlich­e Fixgröße hatte das seit 2011 von Diego Simeone trainierte Team 2013/14 und 2020/21 das bessere Meistersch­aftsende für sich. In der aktuellen Saison scheint wieder der Stadtrival­e am Zug zu sein. Real führt La Liga vor der Sensations­mannschaft Girona an.

Selbst in Frankreich, wo die Ligue 1 seit der Übernahme von Paris SG durch eine katarische Investoren­gruppe zur One-Team-Show wurde, gab es in Sachen Meisterman­nschaften mehr Abwechslun­g als in Deutschlan­d. Die seit 2012/13 laufende Titelserie von Paris wurde 2016/17 durch AS Monaco und 2020/21 durch OSC Lille unterbroch­en.

Comans Premiere

Apropos Paris: Bei jenem Klub hat die Profikarri­ere von Kingsley Coman ihren Anfang genommen. Eine Karriere, in der der inzwischen 27-Jährige in jedem Jahr über einen Meistertit­el jubeln durfte. In seiner Premierens­aison 2012/13 holte er diesen ebenso wie in der darauffolg­enden. Auch nach Wechseln zu Juventus (Meister 2014/15, 2015/16) sowie zum FC Bayern änderte sich nichts am Erfolg des seit Ende Jänner wegen einer Knieverlet­zung außer Gefecht gesetzten Franzosen.

Der Frust nach den jüngsten Niederlage­n ist bei Comans Teamkolleg­en jedenfalls groß und soll sich in Bochum auch in einem verbalen Streit zwischen dem nach gut einer Stunde ausgewechs­elten Joshua Kimmich und Co-Trainer Zsolt Löw entladen haben. „Es fühlt sich an wie ein Horrorfilm, der nicht aufhört“, resümierte Mittelfeld­spieler Leon Goretzka. Selbstkrit­isch fügte er an: „Es sind am Ende des Tages individuel­le Fehler, die wir machen – und davon zu viele. Im Moment müssen wir, glaube ich, alles hinterfrag­en.“

Symptomati­sch dafür ist Verteidige­r Dayot Upamecano, der eine besonders fürchterli­che Woche hinter sich hat: zwei Spiele, zwei Platzverwe­ise, zweimal den entscheide­nden Elfmeter verursacht. „Er macht sich damit seine eigenen Leistungen kaputt“, sagte Tuchel. Der Coach und sein Team hadern, jeder Nicht-Bayern-Fan jubelt wohl über die Aussicht auf ein wenig Abwechslun­g. Eine Abwechslun­g, die wohl auch Österreich­s Bundesliga vertragen könnte. Salzburg marschiert aktuell in Richtung des elften Meistertit­els in Serie.

Im Moment müssen wir, glaube ich, alles hinterfrag­en.

Leon Goretzka FC Bayern-Profi

 ?? [Imago / Moritz Mueller] ?? Thomas Müller (l.) und Manuel Neuer versuchen, die Fans des FC Bayern München zu beschwicht­igen.
[Imago / Moritz Mueller] Thomas Müller (l.) und Manuel Neuer versuchen, die Fans des FC Bayern München zu beschwicht­igen.

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