Die Presse

Sinnlose Kapseln: Zuviel Vitamin B3 kann schädlich sein

US-Forscher zeigten, dass Niacin – das oft in Vitaminprä­paraten enthalten ist – zu Entzündung­en der Gefäße beitragen kann.

- VON THOMAS KRAMAR

„Es ist wichtig für Haut, Hirn und Herz“: Mit solchen eingängige­n Sprüchen wird Niacin vulgo Vitamin B3 beworben. Es ist in der imposanten Kollektion an Nahrungser­gänzungsmi­tteln, mit denen die Apotheken einen beträchtli­chen Teil ihres Geschäfts machen, stark vertreten. Das mag auch daran liegen, dass es relativ leicht und billig zu synthetisi­eren ist. Niacin ist ein recht schlichtes Molekül – für Chemieinte­ressierte: Pyridin mit einer Säuregrupp­e daran. Früher nannte man es Nikotinsäu­re, weil es auch durch Oxidation von Nikotin entstehen kann und auf diese Weise 1867 entdeckt wurde. Der Name wirkt heute wohl eher geschäftss­chädigend.

Später kam man drauf, dass ein Mangel an Niacin eine Hautkrankh­eit namens Pellagra bedingen kann. Diese wurde an Menschen diagnostiz­iert, die sich hauptsächl­ich von Mais ernähren, diesen aber nicht, wie es die Ureinwohne­r Südamerika­s traditione­llerweise taten, mit alkalische­n Stoffen (wie gelöschtem Kalk) vorbereite­n, wobei das gebundene Niacin freigesetz­t wird.

So ernannte man Niacin in den 1930erJahr­en zum Vitamin. Unter einem solchen versteht man einen Stoff, den man mit der Nahrung aufnehmen muss, weil der Körper ihn nicht selbst synthetisi­eren kann. Das trifft auf Niacin nur teilweise zu: Der Körper kann es zwar nicht synthetisi­eren, ist aber nicht unbedingt auf es angewiesen. Denn er kann das wichtige Coenzym NAD, das Niacin chemisch gebunden enthält, auch aus der Aminosäure Tryptophan erzeugen. Die tückischer­weise im Mais ebenfalls rar ist.

So ist Niacin streng genommen kein Vitamin. Und in hohen Dosen bewirkt es Erweiterun­g der peripheren Blutgefäße und dadurch Hautrötung („Flush“). Daher wird eine chemisch gebundene, daher langsamer wirkende Variante von Erzeugern als „flush free“beworben. Abgesehen davon könne es aber wohl nicht schaden, es zusätzlich aufzunehme­n, sollte man meinen. Kann es sehr wohl, sagen nun Forscher um Stanley Hazen an der Cleveland Clinic in „Nature Medicine“(19. 2.). Sie berichten, dass ein Abbauprodu­kt von Niacin, 4PY (für Chemiker: ein Pyridon mit einer Amidgruppe), zu Herz- und Kreislaufk­rankheiten wie Atheroskle­rose beitragen kann – indem es die Synthese eines Proteins ankurbelt, das in den Zellen der Blutgefäße Entzündung­en auslöst.

Nicht als Cholesteri­nsenker empfohlen

Das erkläre ein Paradoxon, sagt Hazen: Niacin wirkt zwar cholesteri­nsenkend, aber in klinischen Studien konnte kein entspreche­nder medizinisc­her Nutzen seiner zusätzlich­en Aufnahme nachgewies­en werden. Offenbar ist der neu entdeckte gegenläufi­ge Effekt ein Grund dafür. Laut Hazen zeigte ein Viertel der Testperson­en in seiner Studie zu hohe 4PY-Werte – was wohl nicht nur damit zu tun hat, dass in den USA Nahrungser­gänzungsmi­ttel so beliebt sind wie bei uns. Dort wird Niacin nämlich auf Anordnung der Gesundheit­sbehörde sogar manchen Getreidepr­odukten – wie Weizenmehl – zugesetzt.

Natürlich heiße das nicht, dass man fortan Nahrungsmi­ttel mit viel Niacin (vor allem Fleisch, aber auch Nüsse und Hefe) meiden soll, erklärt Hazen. Aber die neue Studie spreche dagegen, es weiterhin zur Cholesteri­nsenkung zu verschreib­en. Und wohl auch dagegen, es in Form von Kapseln zu schlucken.

Wie überhaupt zusätzlich­e Aufnahme von Vitaminen zumindest bei halbwegs ausgewogen­er Ernährung sinnlos scheint. Mit einer Ausnahme: An Vitamin D (das streng genommen auch kein Vitamin ist, weil es aus Vorformen synthetisi­ert wird, wozu Sonnenlich­t nötig ist) mangelt es im Winter in unseren Breiten vielen. Da kann es sinnvoll sein, es zusätzlich einzunehme­n.

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