Sinnlose Kapseln: Zuviel Vitamin B3 kann schädlich sein
US-Forscher zeigten, dass Niacin – das oft in Vitaminpräparaten enthalten ist – zu Entzündungen der Gefäße beitragen kann.
„Es ist wichtig für Haut, Hirn und Herz“: Mit solchen eingängigen Sprüchen wird Niacin vulgo Vitamin B3 beworben. Es ist in der imposanten Kollektion an Nahrungsergänzungsmitteln, mit denen die Apotheken einen beträchtlichen Teil ihres Geschäfts machen, stark vertreten. Das mag auch daran liegen, dass es relativ leicht und billig zu synthetisieren ist. Niacin ist ein recht schlichtes Molekül – für Chemieinteressierte: Pyridin mit einer Säuregruppe daran. Früher nannte man es Nikotinsäure, weil es auch durch Oxidation von Nikotin entstehen kann und auf diese Weise 1867 entdeckt wurde. Der Name wirkt heute wohl eher geschäftsschädigend.
Später kam man drauf, dass ein Mangel an Niacin eine Hautkrankheit namens Pellagra bedingen kann. Diese wurde an Menschen diagnostiziert, die sich hauptsächlich von Mais ernähren, diesen aber nicht, wie es die Ureinwohner Südamerikas traditionellerweise taten, mit alkalischen Stoffen (wie gelöschtem Kalk) vorbereiten, wobei das gebundene Niacin freigesetzt wird.
So ernannte man Niacin in den 1930erJahren zum Vitamin. Unter einem solchen versteht man einen Stoff, den man mit der Nahrung aufnehmen muss, weil der Körper ihn nicht selbst synthetisieren kann. Das trifft auf Niacin nur teilweise zu: Der Körper kann es zwar nicht synthetisieren, ist aber nicht unbedingt auf es angewiesen. Denn er kann das wichtige Coenzym NAD, das Niacin chemisch gebunden enthält, auch aus der Aminosäure Tryptophan erzeugen. Die tückischerweise im Mais ebenfalls rar ist.
So ist Niacin streng genommen kein Vitamin. Und in hohen Dosen bewirkt es Erweiterung der peripheren Blutgefäße und dadurch Hautrötung („Flush“). Daher wird eine chemisch gebundene, daher langsamer wirkende Variante von Erzeugern als „flush free“beworben. Abgesehen davon könne es aber wohl nicht schaden, es zusätzlich aufzunehmen, sollte man meinen. Kann es sehr wohl, sagen nun Forscher um Stanley Hazen an der Cleveland Clinic in „Nature Medicine“(19. 2.). Sie berichten, dass ein Abbauprodukt von Niacin, 4PY (für Chemiker: ein Pyridon mit einer Amidgruppe), zu Herz- und Kreislaufkrankheiten wie Atherosklerose beitragen kann – indem es die Synthese eines Proteins ankurbelt, das in den Zellen der Blutgefäße Entzündungen auslöst.
Nicht als Cholesterinsenker empfohlen
Das erkläre ein Paradoxon, sagt Hazen: Niacin wirkt zwar cholesterinsenkend, aber in klinischen Studien konnte kein entsprechender medizinischer Nutzen seiner zusätzlichen Aufnahme nachgewiesen werden. Offenbar ist der neu entdeckte gegenläufige Effekt ein Grund dafür. Laut Hazen zeigte ein Viertel der Testpersonen in seiner Studie zu hohe 4PY-Werte – was wohl nicht nur damit zu tun hat, dass in den USA Nahrungsergänzungsmittel so beliebt sind wie bei uns. Dort wird Niacin nämlich auf Anordnung der Gesundheitsbehörde sogar manchen Getreideprodukten – wie Weizenmehl – zugesetzt.
Natürlich heiße das nicht, dass man fortan Nahrungsmittel mit viel Niacin (vor allem Fleisch, aber auch Nüsse und Hefe) meiden soll, erklärt Hazen. Aber die neue Studie spreche dagegen, es weiterhin zur Cholesterinsenkung zu verschreiben. Und wohl auch dagegen, es in Form von Kapseln zu schlucken.
Wie überhaupt zusätzliche Aufnahme von Vitaminen zumindest bei halbwegs ausgewogener Ernährung sinnlos scheint. Mit einer Ausnahme: An Vitamin D (das streng genommen auch kein Vitamin ist, weil es aus Vorformen synthetisiert wird, wozu Sonnenlicht nötig ist) mangelt es im Winter in unseren Breiten vielen. Da kann es sinnvoll sein, es zusätzlich einzunehmen.